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800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Druckversion

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RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Atanvarno - 19.10.2017

(19.10.2017, 15:44)dominikk85 schrieb: Ist es denn wirklich so?

1968 (weil ab da tartan und elektro zeitnahme) war der Rekord 1:43,3, heute 1:40,9. Das sind 3,4 Sekunden oder 0,43 pro 100m.

100m: 9,95, 9,58 0,37
200m 19,83,-19,19 0,32/100
400m 0,2/100
800m 0,43/100
1500m 0,47/100
5000m 0,781/100
10000m 0,82/100

Ich sehe da keinen outlier, generell nimmt der Zugewinn mit der strecke leicht zu. Lediglich die 400m stechen da heraus, ich denke man macht den fehler die absoluten Zeitabstände bei den 800m zu sehen und die eher mit den langstrecken zu vergleichen, dabei sind die 800m eher ein langer sprint und ne sekunde ist da schon viel.

Ich fange bei 1962 an, aus drei Gründen
1) da wurde die erste 800m-Zeit erzielt, die aus meiner Sicht auch heute noch konkurrenzfähig ist
2) die 1968er-Sprintweltrekorde sind alle höhenbegünstigt
3) ich will ja grade die Verbesserungen durch Tartan, bessere Spikes, Ernährung mit einbeziehen, um aufzuzeigen, dass sich mit all diesen Faktoren die 800m trotzdem am wenigsten bewegt haben

Dann sieht die Rechnung wie folgt aus

100m: 10,24-9,58 -> 9,77 m/s 10,44 m/s  -> 6,9%
200m 20,61*,-19,19 ->  9,7 m/s 10,42 m/s -> 7,4%
400m 45,07-43,03 -> 8,88m/s 9,3 m/s -> 4,7%
800m 1:44,3-1:40,91 -> 7,67 m/s 7,93 m/s -> 3,4%
1500m 3:35,6-3:26,00 -> 6,96m/s 7,28 m/s -> 4,6%
5000m 13:35,0-12:37,35 -> 6,13m/s 6,60 m/s -> 7,7%
10000m 28:18,2-26:17,54 -> 5,89 m/s 6,34 m/s -> 7,6%

Ich sehe da schon einen Ausreißer.

@tsg78hd
dominikk85 hat sich verschrieben. Der Rekord stand 1968 (wie schon 1962) bei 1:44,3 und dann stimmen die 3,4 Sekunden.

*20,5y auf 200m umgerechnet + 0,24 Aufschlag


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Robb - 19.10.2017

Alleine durch die Limitierung auf 1962 verfälschst du das Ergebnis aber. Wenn du stattdessen 1964 nimmst, bist du über 100m bei 10.06 statt 10.24. Mit 1965 wärst du über 10000m bei 27:39.4 anstatt 28:18 und mit 1966 bei 13:16.6 anstatt 13:35 über 5000m. In den 60er Jahren gabs in einigen Laufdisziplinen absolut sensationelle Weltrekorde, du beziehst den über 800m mit ein, um deine Argumentation zu unterstreichen, ignorierst aber die anderen.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Atanvarno - 20.10.2017

10.06-9.58 -> 5%
13:16,6 12:37,35 -> 5,1%
27:39,4 26:17,54 -> 5,1%

800m 1:44,3-1:40,91 ->  3,4%

Was genau verfälsche ich an der Aussage, dass die 800m sich deutlich weniger verbessert haben?


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - gera - 20.10.2017

ich will mal einen anderen Aspekt erwähnen.
Ich würde mal behaupten, die Stars der 1960-70 Jahre hatten bessere Zeiten auf der Unterdistanz hier also 400 m.
Die haben das gemacht, was wir heute von unseren nicht ganz Topleuten über 200 m erwarte, also mal wechseln auf die längere Strecke.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Jo498 - 20.10.2017

Jemand der sich richtig Arbeit machen will (bzw. hat das vermutlich schon mal jemand gemacht) könnte die Entwicklung einzelner WR (und noch besser auch der Breite, etwa den Schnitt der 10 oder 20 Weltjahresbesten) graphisch darstellen. Man könnte sowohl extreme Verbesserungen wie die mittleren Steigerungen, die nicht durch Ausreißer verzerrt werden, erkennen. Denke schon, dass die 800m schon seit den späten 50ern da auffallen würden. Es ist zwar nicht so verwunderlich, dass bei längeren Strecken noch recht viel Luft für Rekorde war. Aber im Rückblick ist es erstaunlich, dass die 800 in den 60ern schon so schnell gelaufen wurden. Wenn die Untersuchungen über die Energiebereitstellung und die entsprechend ideale Rennaufteilung korrekt sind, ist etwa Kempers Rekordlauf ganz suboptimal, da deutlich negativer Split.

Was ich bei 800m jedenfalls noch bemerkenswert finde (betrifft allerdings "nur" die Zeit seit Coes Weltrekord von 1981):

Ein Läufer unter 1:41
Fünf unter 1:42 innerhalb von 37 Jahren, mit einer Pause von 12 Jahren (84-96, interessanterweise eine Zeit, in der die WR von 1500-10000 regelmäßig verbessert wurden)
Elf unter 1:42,5
D.h. eine Leistung im Bereich von Coes WR 1981 brächte einen Läufer 37 Jahre später immer noch in die Top 5-6 aller Zeiten.

Selbst im Längsschnitt ergibt sich eine "Breite in der Spitze" erst bei Zeiten langsamer als 1:42,5.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Atanvarno - 20.10.2017

@gera
Man kann auch die Gegenposition einnehmen. Die früheren 800m-Stars waren mehrheitlich auch sehr gute 1500m-Läufer, das ist heute fast gar nicht mehr der Fall Wink

Es läuft auf die von jo498 angesprochene Problematik hinaus:

Zitat:Das ist schon interessant, weil die 800m ja wegen der komplexen Energiebereitstellung die mit am schwierigsten optimal zu laufende Strecke sind.

Man muss eben Grundschnelligkeit und Ausdauer optimal kombinieren.

Nochmal zur Statistik: wenn man meint, dass die Betrachtung allein der Weltrekorde kein schlüssiges Bild liefern kann, finden sich hier
https://trackandfieldnews.com/discussion/showthread.php?123222-Development-trends-in-men-s-individual-Olympic-events
die Durchschnittswerte der Top 100 seit 1976. Der Ersteller der Statistiken zieht für die 800m folgendes Fazit

Zitat:Strange event, showing practically no development since 1983. Not influenced by rabbited races (when did it start? - I don't remember), not influenced by awakening of Africa. [...] Perhaps 800m is a difficult event for human beings as it is a compromise between speed and endurance. 1996 is the best year so far, but the margins are small.



RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Jo498 - 20.10.2017

Auch der potentielle Einfluss von unerlaubten Mitteln scheint vernachlässigbar, da die enstprechenden "Rekordwellen" und ausbleibenden Steigerungen nach verschärften Kontrollen nicht erkennbar sind. (Der Unterschied zu den dutzenden Damen, die in den 70ern/80ern 1:55er Zeiten rannten, ist frappierend. Hätte es ein wirksames Mittel gegeben, dürfte man aus den 1980ern nicht zwei oder drei vereinzelte Peak performances (Coe, Cruz) erwarten, sondern viele Zeiten wenigstens um 1:42,5)

Ändert allerdings alles nichts daran, dass Kempers damalige Leistung (ebenso der 1000m-Record aus derselben Zeit, anscheinend immer noch die drittbeste Zeit eines Deutschen) superstark war und der Mangel an stabilen deutschen sub 1:46 oder gar sub 1:45-Läufern in den letzten Jahren beklagenswert ist.

Bzgl. des Links: Interessant hier über 1500m "Practically no development from 1983 to 1995" in den Mittelwerten der Top 100, also in einer Zeit, in der an der Spitze der WR sechsmal um insgesamt fast 4 sec. verbessert wurde!

https://trackandfieldnews.com/discussion/showthread.php?123222-Development-trends-in-men-s-individual-Olympic-events


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Jo498 - 20.10.2017

Snell 800/Meile
Juantorena 400/800 (allerdings seit Harbig wohl der einzige 400/800 Rekordler, der auf 400 wirklich Weltspitze gewesen ist)
Coe 800/1500
Kipketer 800 only? (weder die bei wikipedia angegebene 400 noch die 1500-Zeit sind auch nur annähernd Weltklasse)
Rudisha 400/800

Für superschnelle Rekordzeiten mag der 400/800-Typ leicht im Vorteil sein. Aber die Langlebigkeit der Rekorde von Snell und Coe relativiert das auch wieder, so dass ich keinen klaren Vorteil des 400/800-Typs sehe. Vielleicht zeigt sich die Besonderheit der Strecke auch dadurch, dass sich bei den allerbesten im WR-Bereich und kurz dahinter zunehmend ein Typ abzeichnet, der auf dieser Strecke sehr klar besser ist als auf jeglicher Nachbarstrecke.

In D waren die besten 800m-Läufer der 60er bis 80er Kemper, Beyer und Wülbeck eher 800/1500 Läufer.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - gera - 20.10.2017

ich glaube, Statistiken helfen hier nicht viel weiter.
Zu unterschiedlich sind in den verschiedenen Jahren die Einflussfaktoren, wie Doping/besserer Bahnen...
Ich hatte mal versucht solche Einflussfaktoren für die Disziplinen 100/Weit/Hoch auf meiner website ( Robb kennt die Adresse auswendig ) zu quatifizieren, mit dem Ergebnis, dass die grundlegenden athletischen Fähigkeiten seit 50 Jahren kaum größer geworden sind.
Vielleicht waren die damaligen Athleten einfach härter gegen sich selbst,hatten mehr Profil als Athlet und weniger in facebook.


RE: 800m: Warum schlechter als vor 50 Jahren? - Jo498 - 25.10.2017

LR interview mit Johnny Gray, dessen US-Rekord von 1985 (Koblenz) fast so alt ist wie Wülbecks DR (und mit 1:42,60 ein Stück schneller, Gray war der vierte Läufer sub 1:43).
Interessanterweise ist er den Rekord mit nahezu gleichschnellen Runden gelaufen (wenn er sich richtig erinnert lt. Interview 51,2x und 51,3x), was doppelt interessant ist, da Gray sonst für front running und extrem schnelle erste Runden (sub 50, selbst bei Endzeiten von 1:44-45) bekannt war. Das lässt mich schon wenig an der statistisch und im Prinzip auch physiologisch belegbaren Weisheit der (deutlich) schnelleren ersten Runde zweifeln. (Bei Kemper könnte man noch argumentieren, dass bei knapp 1:45 die splits noch nicht so relevant sind wie bei extrem schnellen Rennen.)

http://www.letsrun.com/news/2017/10/johnny-gray-talks-american-800-record-32-years-considered-taking-drugs-thoughts-ajee-wilson/