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Was ist die beste Langlauftechnik? - Druckversion

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RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - icheinfachma - 02.11.2016

Ich kann mal kurz skizzieren, wie es im Sprint aussähe, man kann diskutieren, inwiefern das auf den Lauf übertragbar ist.

Der Rücken sollte gerade sein, so dass die Beckenkippung im Wesentlichen auch der Rumpfneigung entspricht. In dieser Haltung kann der Rumpf die beste Körperspannung aufbauen, ein stärkeres Hohlkreuz würde das erschweren.

anteriore Beckenkippung - vorderer Beckenteil bewegt sich nach unten, hinterer nach oben
posteriore Beckenkippung - hinterer Beckenteil bewegt sich nach unten, vorderer nach oben

Die Beckenkippung sollte im Sprint grundsätzlich anterior sein, genaue Winkelangaben kann ich leider nicht machen. Seagrave empfiehlt aber, dass die Gerade, die durch Hüftgelenk und Schultergelenk geht, um ca. 10° nach vorn geneigt sein sollte. Das entspräche einer Beckenkippung von über 20° (von mir grob gemessner Wert anhand von Youtubevideos), wenn man die leichte Hypertlordose in der LWS einbezieht, wie sie in den Zeitlupenaufnahmen von Topsrintern oft sichtbar ist.

Eine zu anteriore Beckenkippung hat den Nachteil, dass einerseits der Kniehub behindert wird, andererseits werden in der vorderen Schwungphase, wenn der US auspendelt, die Beinbeuger dann einer stärkeren exzentrischen Belastung ausgesetzt, was in einer erhöhten Verletzungsgefahr resultiert.

Eine zu posteriore Beckenkippung hat den Nachteil, dass der Hinterstütz dann im Bereich maximaler Hüftstreckung stattfindet, was einen Kraftnachteil mit sich bringt. Das liegt daran, dass die faszialen und muskulären Strukturen, die ien Gelenk umgeben, zum Ende des Bewegungsumfanges hin die Bewegung imme mehr hemmen. Eine gewisse "Beweglichkeitsreserve" wäre also ökonomischer. HIer sei angemerkt, dass z.B. eine Hüftbeugefähigkeit im überdurchschnittlichen Bereich einen guten Kniehub im Sprint begünstigt, auch hier macht sich die "Beweglichkeitsreserve" nützlich.

Daraus ergibt sich also das optimale MIttelmaß an Beckenneigung, das für jeden Menschen aufgrund anatomischer Unterschiede etwas anders ausfallen dürfte.


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - lor-olli - 03.11.2016

Ich denke aber auch, dass die Möglichkeiten zur Körperhaltungsveränderung um so begrenzter werden, je länger die Belastung / Strecke ist. Ich kann den Rumpf nur eine gewisse Zeit in einer nicht natürlichen Vorlage halten, bei entsprechendem Training länger aber trotzdem nur relativ kurz.

Im Sprint ergibt sich eine Vorlage schon aus dem Start und bei entsprechendem Tempo fällt sie auch stärker aus - deswegen kommt der Rumpfmuskulatur beim Sprinter eine solche Bedeutung zu. Langstreckler müssen aber auch mit der Körpermasse kalkulieren, weswegen die Rumpfmuskulatur auch nicht so ausgeprägt ist - trotzdem darf sie nicht vernachlässigt werden (kommt gerade bei Hobbyläufern aber häufiger vor). Der Sprint erfolgt in Maximalanspannung, der Langlauf erfordert eine gewisse Lockerheit um den Energieverbauch pro Zeiteinheit nicht zu sehr in die Höhe zu treiben.

Zweibeiner meistern das Kunststück des Balancehaltens beiläufig und in dieses Muster fällt man automatisch wenn man nicht bewusst dagegen anstrebt. Kann man dagagen antrainieren? Ich denke eher nicht auf lange Frist bezogen, vieles ergibt sich aus dem individuellen Skelett- Sind also Afrikaner "anders aufgebaut"? Ich kenne keine spezielle Untersuchung dazu, lediglich bei den Beinproportionen hat sich ergeben, dass es einen Typus mit relativ längerem Oberschenkel gibt, der überwiegend afrikanischen Urspungs ist. (Kälteresistenz erfordert einen kompakten Körperbau, lässt sich gut an Inuit und anderen Völkern der frostigen Gegenden erkennen - diese haben bei gleicher Körpergröße oft kürzere Gliedmaßen… hat die Bekleidungsindustrie erkannt Wink ) Daraus ergeben sich dann auch Unterschiede in der Höhe des Körperschwerpunktes - im Verhältnis zur Körpergröße - der meist knapp unter dem Bauchnabel liegt. Dagegen lässt sich meiner Meinung nach schwerlich antrainieren…

Anthropologen die hier mitlesen? Die Tochter einer Freundin ist forensische Anthropologin und ihre Arbeit bestand über Jahre praktisch nur aus "Knochenvermessen", es gibt viele Merkmale die kontinentale Unterschiede betreffen - soweit ich weiß auch das Becken und das nicht nur bei Männern zu Frauen. Ergeben sich daraus möglich trainngsmethodische Ansätze …?


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - gera - 03.11.2016

(03.11.2016, 12:16)lor-olli schrieb: Ich denke aber auch, dass die Möglichkeiten zur Körperhaltungsveränderung um so begrenzter werden, je länger die Belastung / Strecke ist. Ich kann den Rumpf nur eine gewisse Zeit in einer nicht natürlichen Vorlage halten, bei entsprechendem Training länger aber trotzdem nur relativ kurz.

 
die Frage stellte sich mir, als ich beim Frankfurt Marathon den Sieger - M-Korir - gesehen habe, er lief mit deutlicher Vorlage.
Nach Deinem 1. Beitrag dazu, dachte ich, Du siehst einige Vorteile dieser Laufhaltung.
in  Deinem 2. Beitrag eher nicht.
Das die Afrikaner im Verhältnis längere Beine haben , ist wohl erwiesen.
Bringt das nicht aber einen etwas nach unten sinkenden KSP mit sich ? , den man vielleicht selbst bei etwas Laufvorlage instinktiv in Balance halten kann. ?
Das die Ausnutzung der Beindruckkraft bei minimaler Vorlage besser ist, dürfte unbestritten sein ( siehe Sprint 9


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - icheinfachma - 03.11.2016

Nein, bei längeren Beinen müsste der KSP ja höher liegen.


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - gera - 03.11.2016

(03.11.2016, 14:27)icheinfachma schrieb: Nein, bei längeren Beinen müsste der KSP ja höher liegen.

ich habe es mehrmals überlegt,
wenn die Beine länger werden, erhöht sich ihr Anteil am gesamtgewicht des Läufers.
Damit sinkt der KSP tiefer unter den Bauchnabel.

Außerdem haben die afrk. Läufer meist einen noch schmächtigeren Oberkörper als die weßen Athleten.
( ganz sicher bin ich mir aber nicht )


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - lor-olli - 03.11.2016

@gera,
kannst Du selbst nachprüfen… eine Strichmännchenzeichnung mit gleicher Gesamtkörpergröße, aber unterschiedlich langen Beinen.

Die Gewichtsdifferenz der unterschiedlich langen Beine ist übrigens bei einem so geringen Körpergewicht wie dem der Marathonies recht gering. Bei sehr muskulösen Beinen, wie etwa bei denen der Sprinter würde ich Dir mit dem Gewicht recht geben, bei den Langstrecklern passt das aber nicht. Die schlanken Beine sind übrigens ein gemeinsames Merkmal aller ausdauernden Säugetiere, bei den Vierbeinern besonders ausgeprägt, weil so die Schwungmasse geringer ist. (die Beine müssen ja relativ zur eigentlichen Geschwindigkeit schneller bewegt werden wenn man Schritte macht - beim Hüpfen jedoch nicht, zeigen etwa Känguruhs mit ihren recht schweren Beinen.)


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - gera - 04.11.2016

@ unruh  ,

Vielleicht kannst Du nähere Angaben zu der von Dir erwähnten Studie machen.
Autor / genauer Titel , Jahr ...

dann könnten wir Details nachlesen.


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - RalfM - 05.11.2016

(03.11.2016, 12:16)lor-olli schrieb: Ich kann den Rumpf nur eine gewisse Zeit in einer nicht natürlichen Vorlage halten, bei entsprechendem Training länger aber trotzdem nur relativ kurz.
Es kommt doch - außer beim Sprint-Start, der wegen seines tiefen Beginns eine nachfolgende Vorlage verlangt - immer nur darauf an, den Körperschwerpunkt perfekt auf eine Gerade mit dem Abstoßvektors der Laufbewegung zu bringen. Die Zahl der Variablen (Körpergröße, Beinlänge, Beckenstand, Proportionen, etc.) iübersteigt deutlich die Anzahl der Bedingungen (eigentlich nur eine: am Schnellsten). Deshalb (Mathematik Mittelstufe) muss es viele Lösungen des Problems geben.

Lor-Olli hat völlig recht. Jede Abweichung vom logisch sauberen Bewegungsablauf kann nur Kraft kosten, wobei es aber sehr viele unterschiedliche Optimierungen des sauberen Bewegungsablaufs gibt.


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - icheinfachma - 05.11.2016

(05.11.2016, 00:39)RalfM schrieb: Es kommt doch - außer beim Sprint-Start, der wegen seines tiefen Beginns eine nachfolgende Vorlage verlangt - immer nur darauf an, den Körperschwerpunkt perfekt auf eine Gerade mit dem Abstoßvektors der Laufbewegung zu bringen. Die Zahl der Variablen (Körpergröße, Beinlänge, Beckenstand, Proportionen, etc.) iübersteigt deutlich die Anzahl der Bedingungen (eigentlich nur eine: am Schnellsten). Deshalb (Mathematik Mittelstufe) muss es viele Lösungen des Problems geben.


Es ist völliger Quatsch, dass der Abstoßvektor in eine Linie mit dem Körperschwerpunkt gebracht werden muss - der Vektor geht von ganz allein durch den Fuß und den KSP hindurch. Ziel im Lauf ist es dagegen, horizontale Bremskräfte zu minimieren und vertikale Kräfte zu maximieren. An horizontalen Abstoßkräften sind immer nur so viel Kräfte nötig wie an horizontalen Bremskräften vorliegen.


RE: Was ist die beste Langlauftechnik? - lor-olli - 05.11.2016

"völliger Quatsch" wäre eine Bemerkung wenn sie den Fakten widerspricht… Wink

Vielleicht ist die Formulierung in dieser Beziehung etwas unpräzise: Der Körperschwerpunkt bildet immer den zu treffenden Punkt für eine Kraft, die der Bewegung des eigenen Körpers gilt (also nicht für Bewegungen wie beim Wurf/Tritt). Für eine optimale lineare Bewegung muss die Kraft also möglichst nah an die Bewegungrichtung unter Berücksichtigung der Schwerkraft herankommen. Dieses Prinzip gilt für für alle Bewegungen, sowohl Sprung wie Lauf oder auch beim Salto.

Laufen ist also ein Kompromiss, eigentlich optimal wäre es sich nur von hinten nach vorn zu stoßen, der Untergrund liegt für gewöhnlich aber im rechten Winkel zur Stoßrichtung (ohne Schwerkraft könnten wir gar nicht laufen!). Wenn nicht, verändern wir die Körperhaltung entsprechend z.B. beim Bergauf- oder Berablauf.

Um auf die Threadfrage zurückzukommen: die beste Lauftechnik ist die, die unter Berücksichtigung der individuellen Ergonomie alle Kräfte die nicht der eigentlichen Vorwärtsbewegung dienen so gering wie möglich zu halten - ideal wäre es eine völlig lineare Laufbewegung zu erzielen (horizontal wie vertikal und ebenfalls richtungsbezogen), unsere Physiologie und der aufrechte Gang sprechen aber dagegen. Sieht man z.b. schnelle Vierbeiner rennen, stellt man fest, dass eine vertikale Bewegung (Höhe des Körperschwerpunktes beim Lauf, nicht bei Sprüngen) extrem gering ist, sie kompensieren dies auch durch eine flexible, sich durchbiegende Wirbelsäule.

Bei Laufvögeln (Strauße etc.) funktioniert es durch relativ weit hinten am Körper liegende Beine (Vogelbeine stehen im Stand schräg) und die dadurch ermöglichten flexibleren Hüftgelenke die die Auf- und Abbewegung minimieren.

Dieses Prinzip der Richtungsstabilität unterscheidet auch die menschlichen Läufer, Anfänger laufen oft noch uneffizient (links-rechts-wackeln, “hüpfen", etc.) der Laufstil wird aber bei jedem länger trainierendem Ausdauerläufer stabiler und trotzdem gibt es individuelle Unterschiede!
Tests am Bildschirm mit Strichmännchen (anonymisierte Körperpunkte realer Läufer) lassen uns (auch nicht Läufer!) mit sehr hoher Treffsicherheit auch sofort erkennen ob da ein Mann oder eine Frau läuft / geht und einen "schönen" Gang hat! Gut ausgebildete Chiropraktiker erkennen sofort Anomalien und können Schlüsse auf Fehlstellungen daraus ziehen! (Habe in England mal einen faszinierenden Vortrag dazu gehört)