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'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - Druckversion

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'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - MZPTLK - 11.03.2014

Seit längerer Zeit zeichnet sich bei ambitionierten Athlet/Innen ein Trend zum 'Staatsamateur' - Dasein ab. Angesichts des schärfer wehenden Windes in der Berufswelt 'flüchten' viele in den sicheren, wärmenden Schoss von Polizei, BW oder BP, die Biathleten haben es vorgemacht.
Abgesehen davon, dass vielleicht nicht jede® mit Herzblut die Uniform anzieht, lautet die entscheidende Frage: wenn wir soweit sein sollten, dass die Alternative zum 'Staatsamateur' das Karriereende ist, entfernt sich die (Leistungs-)Leichtathletik nicht immer mehr von der Breite der Gesellschaft? Gibt es kaum noch Chancen für talentierte Athlet/Innen, sich als Studenten, Azubis oder Vollzeitberufler leistungssportlich zu betätigen?
Oder soll es gar Hartz 4 richten, wenn man keine gutsituierten Eltern hat? Angry


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - Atanvarno - 11.03.2014

Thomas Wessinghage, Siggi Wentz, Steffen Brandt (sind die Beispiele, die mir grade einfallen, es gibt sicherlich noch mehr) haben erfolgreich Leistungssport getrieben und ein Medizinstudium abgeschlossen. Es geht also, aber es ist sicher nicht einfach.
Leider sind die Studiengänge heutzutage auch wesentlich stärker verschult, d.h. der Gestaltungsspielraum des Studenten ist geringer geworden und damit ist es auch schwieriger ein zeitaufwändiges Hobby in den Studienalltag zu integrieren.

Florian Orth studiert Zahnmedizin, hat aber auch schon erkennen lassen, dass das sicherlich nicht optimal für den Sport ist.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - MZPTLK - 11.03.2014

Es geht ja nicht nur um den Zeitaufwand im engeren Sinne(je nach Disziplin 15-25 Stunden/Woche), hinzu kommen der Regenerationsaufwand(längerer Schlaf, Massagen,etc), Lehrgänge, Trainingslager, Wettkämpfe. Währenddessen können meine Berufskollegen/-Konkurrenten im Freie-Wirtschafts-Job zusätzlich Gas geben(Überstunden, Fortbildung, Ausland, etc.).
Wenn ich aber einen Beruf habe, der mich nur 'Medium' fordert(Sorry, Polizei, BW, BP) und mir ermöglicht, während der Dienstzeiten zu trainieren, komme ich viel leichter in eine Work-Life-Balance.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - Atanvarno - 11.03.2014

Die Frage ist immer: wie wichtig ist mir der berufliche Aufstieg. Auch wer ein bißchen länger als die Regelstudienzeit studiert, keine 10 Praktika bei Topfirmen hat und nicht fließend kantonesisch spricht, kann ein gutes Auskommen finden.
Macht einen der 1000er mehr auf dem Gehaltszettel wirklich glücklich, oder macht das Bewusstsein, alles, was sportlich möglich war, aus sich herausgeholt zu haben ebenso glücklich oder glücklicher?

Keinesfalls zu empfehlen ist sicherlich, nur auf die Karte Sport zu setzen. Aber das Studium ein bißchen strecken, oder den Berufseinstieg etwas später legen, warum nicht? Geld ist nicht alles im Leben.

Für nicht sinnvoll halte ich es, nur zu Polizei, BW, BG zu gehen, weil man dort rundumversorgt Sport treiben kann. Für fünf Jahre Leistungssport sollte man sich nicht ein Leben lang mit einem Job unglücklich machen, der einen nicht erfüllt.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - MZPTLK - 11.03.2014

@Ata: Sehe ich im Grunde genauso, aber die Menschen ticken heute anders als vor 30 oder 50 Jahren. Einerseits notgedrungen wegen der verschärften Arbeitsmarktlage, ausserdem wegen der gewandelten gesellschaftlichen Leitbilder und Akzeptanzen. Ich sehe aber auch gerade deswegen einen Ansatzpunkt und eine Chance für die Leichtathletik, die - dopingfrei - prädestiniert ist, in den Hintergrund geratene Werte
denjenigen anzubieten, die die Schnauze voll haben, sich von sinnarmen, aufgeblasenen und manipulativen Entertainmentmaschinen zudröhnen zu lassen.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - runny - 11.03.2014

Ausschnitt aus folgendem Interview:
http://www.badische-zeitung.de/leichtathletik-regional/quentin-seigel-die-schallmauer-durchbrechen--61052037.html

BZ: Sie sind Lehramtsstudent an der Universität Freiburg. Wie sieht Ihr Trainingsalltag aus, und wie bringen Sie diese Anforderungen in Ihrem persönlichen Wochenplan unter?

Seigel: Da muss man sehr organisiert sein. Ich fahre drei bis vier Mal pro Woche mit dem Zug nach Freiburg, vormittags findet das Studium statt, nachmittags ist Training in Offenburg. Das ist schon kräftezehrend. Dazu kommt noch die geistige Beanspruchung an der Uni. Aber ich brauche das Studium, ich könnte nicht einfach nur Sport machen.

Vor allem die geistige Belastung im Studium sollte man nicht unterschätzen - eine Sache leidet immer, nach einer anstrengden Trainingseinheit am Vorabend kann man nunmal nicht mit voller Konzentration in der Vorlesung sitzen. Ebenso ist ein qualitativ hochwertiges Training nach einem langen Tag in der Uni nicht möglich.

Hier sehe ich im übrigen auch die großen Differenzen z.B. im Sprint zu anderen Nationen. Die Amis und Jamaikaner haben bei Großereignissen zum größten Teil Vollprofis am Start - in Deutschland ist das schlichtweg finanziell nicht lukrativ.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - Robb - 12.03.2014

Wie haben es deutsche Athleten dann früher in die Weltklasse geschafft? Hary und Kaufmann sind zwei Musterbeispiele, damals durften Leichtathleten mit dem Sport kein Geld verdienen, Kaufmann war Realschullehrer und hatte ein Musikstudium (Klavier?). Damals gabs sicher auch noch keine Sportförderung wie heute und regelmäßige Trainingslager im warmen Ausland waren wohl kaum möglich. Wie also haben es diese Athleten damals geschafft, teilweise sogar schneller zu laufen als die besten Deutschen heute?

@runny: In den USA gibt es aber keinerlei staatliche Sportförderung, man kann sich mit dem Sport die Ausbildung finanzieren, wer aber nach dem Abschluß weiter Leichtathletik betreiben will, muß dies selbst finanzieren, also Profi werden, sich Sponsoren suchen und im Sommer Meetings abklappern, Antritts- und Preisgelder kassieren.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - Doberaner - 12.03.2014

Es gibt auch für das Studium Wege, Leistungssport und Ausbildung miteinander in Einklang zu bringen. Einige Hochschulen sind Partnerhochschulen des Spitzensports und gewähren den Kaderathleten größtmögliche Freiheiten im Bezug auf das Gestalten ihres Studium (andere Fristen, flexible Prüfungen usw.).
Bei uns profitierten zwei Studenten davon. Einer (Segler) hat bereits seinen Abschluss gemacht; der andere (Ruderer, Olympiateilnehmer) "kämpft" noch.

Manchmal muss man nur miteinander reden...

Interessant ist es allerdings erst nach dem Studium: der Bachelor ist nach vier, mit Überlänge max. sechs Jahren fertig und Mitte 20. Da muss ein Arbeitgeber schon sehr tolerant bzw. begeisterter Fan sein, wenn die Karriere dann weitergehen soll!


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - Piroschka - 12.03.2014

Das größte Problem diesbezüglich ist das Zeitmanagement. Das Problem in Deutschland ist im Vergleich zur USA beispielsweise, dass die Infrastruktur für Leistungssport neben einem Vollzeitjob, Studium oder Ausbildung ziemlich schlecht ist. Wenn in den USA die meisten Athleten nicht für Vereine, sondern für Uni's starten auf deren Campus sie leben oder zumindest in unmittelbarer Nähe zu diesem, kann ich auch ohne weiteres in 5-10 min morgens vor der Vorlesung in den Kraftraum und habe nach oder zwischen den Vorlesungen genug Zeit mich auszuruhen für eine Zweite Einheit. Das ist natürlich viel schwieriger, wenn ich am Tag allein durch Sachen zusammenpacken, auspacken, einpacken und Fahrtzeiten bis zu 2 - 3 Stunden verliere. 

Die Frage muss daher eigentlich eher sein: Eignet sich die deutsche Vereinsstruktur eigentlich für Leistungssport? MM nach: Nein! Selbst an OSP's ist kein 24h Training möglich. Und genau da liegt auch ein weiteres Problem. Eigentümer der Einrichtungen, denen der OSP angegliedert ist, ist zumeist die Kommune. Folglich werden diese genau so bürokratisch geführt. Aber so funktioniert Leistungssport auf höchstem Niveau eben nicht. Der menschliche Körper ist eben kein Beamter.

Entscheidend ist es zuvorderst best mögliches Training in Wohnortnähe bzw. arbeitsnah zu ermöglichen. Dazu könnte es bspw. eine Vereinbarung mit Fitnessstudios geben, dass Athleten diese zu best. Sonderkonditionen nutzen können. Zudem müsste man auch einen besseren Zugang zu universitären Einrichtungen schaffen. 

Auf jeden Fall sollten Athleten aber ab einem bestimmten Leistungsniveau, unabhängig von den Arbeitszeiten städtischer Angestellten, unbeschränkter Zugang zu den Stützpunkten gewährt werden. Dies könnte beispielsweise durch ein Kartensystem am Eingang erreicht werden.

Ein weiteres Problem ist auch, dass die Gelände der weiterführenden Schulen zumeist zu klein sind und nicht über ausreichend Sportstätten verfügen. Ein Rasenplatz mit Rundbahn sollte für jede Schule innerhalb von 15 min zu Fuß zu erreichen sein.


RE: 'Staatsamateuere' - Rettung der Leichtathletik? - lor-olli - 12.03.2014

Da es noch keiner gemacht hat, hier ein link (ein Wunder, dass ich das in einem Blatt welches ich für gewöhnlich nicht lese, gefunden hab…)
Vom Olympiastar zum Sozialfall


So etwas, sollte eigentlich ohne wirkliches Verschulden des Athleten nicht passieren, wozu taugen denn die ganzen "Berater", die sich den Top-Leuten gern aufdrängen? Leistungssport ist kein Beruf, bzw. ein Beruf auf Abruf (keine Sicherheiten, Verletzungen, Leistungsknicks etc.), DASS sollte einem Sportler immer klar gemacht werden. Klar das sieht man mit 18 oder 20 ganz anders....