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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.11.2014

(25.11.2014, 20:17)MZPTLK schrieb: Denn bald kommt der nächste Professor um die Ecke und erzählt uns, dass wir laufen sollen wie ein Flusspferd(50 km/h),
das Bolt die Hacken zeigt.

Fehlt zum Elefant und Flusspferd noch das Nashorn, dann sind die Dickhäuter komplett ;-)

Aber da Wiemann seine Aussagen beweisen kann, glaube ich ihm. Mich beweisen verstellen halte ich für unklug. Was er nicht beweisen kann, sagt er ausdrücklich in den Diskussionen seiner Arbeiten. Welche Muskeln wann aktiv sind und welche nicht, weiß man aber sehr genau. Die richtigen Musklen zu trainieren ist nicht schwer. Die richtigen Muskeln richtig zu trainieren schon. Und da kommt dann eben Neurologie und Motorik ins Spiel. Aber selbst das kann nicht Aufgabe des Trainers sein, sondern er tut vielleicht gut daran, sich die ausgearbeiteten Fakten zu Gemüte zu führen und dann sein Übungsgut zu gestalten. Nur vom Lombard'schen Paradoxon ausgehend irgendwelches Übungsgut zu entwerfen, wäre wohl nicht so sinnvoll, als wenn man sich die weiterführende Literatur durchliest (Wiemann hat vor einer ganzen Weile publiziert und mittlerweile wurde sein Stoff aufgegriffen) und sich so die Überlegungen spart, die Neurowissenschaftler schon in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. So kommt man den folgerichtigen Trainingsmethoden immer näher. Da bekommt man dann schonmal fertige Ideen für Übungen serviert.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

@icheinfachma: Ich glaube den Lombardsatz nicht, und die EMG-Daten sind Beweis-untauglich.

Aber machternixe.
Nicht böse sein,
und immer dran denken:

Life is funny
Sky is sunny
Bees make honey

(Alvin Lee, 1969)


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.11.2014

(25.11.2014, 21:44)T-Willy schrieb:

Von der European Speed Conference in Sutton Coldfield,England 8.-9-11.14

Autor Ben Rosenblatt:

 was meint ihr hierzu?

Zitat:"Exercises should be selected to improve the
biomechanical determinants of performance
NOT
Replicate movement patterns..."

Kommentare?

Die Bewegungsmuster nachzuahmen ist auch gar nicht möglich. Um den Rückwärtszug des Sprints nachzubilden, müsste man berücksichtigen, dass der Fuß erst nach unten beschleunigt wird, dabei die ischiocruralen Musklen den nach vorn auspendelnden Unterschenkel per Dehnungsreflex umlenken und  dann der Fußaufsatz mit Körpergewicht kommt, der Fuß auf einem Untergrund sich rückwärts bewegt, und das während einer ex-konzentrisschen Kniestreckung. Dann müsste noch die Kontralateralität (Vorwärtszug des anderen Beines) und die Arm- und Oberkörperbewegung abgebildet werden, denn das ZNS speichert Bewegungsmuster kombiniert inclusive propriozeptiver Informationen ab.

Es ist wie mit einer Landkarte: Sie ist ein Modell der Vogelperspektive, sie kommt der Wahrheit immer näher, je größer der Maßstab ist, doch der Realität entspricht 1:1 nur die Realität oder vielleicht eine Landkarte im Maßstab 1.

So kann man die Sprintbewegung auch nur im Sprinten selbst wiederfinden. Es geht aber auch gar nicht darum, die Sprintbewegung exakt nachzubilden, denn dafür ist ja das Sprinten selbst schon da, sondern genau darum, was in dem Zitat steht: Bestimmte Komponenten der Sprintaktivität isoliert (zwangsweise) zu trainieren.

Warum man das Sprinten und Ausdauerlaufen an sich durch Krafttraining und spezifische plyometrische und non-plyometrische Schnellkraftübungen ergänzt hat ja bekannte Gründe. (Akzentsetzung zur Betonung von Stärken und Ausgleichen von Schwächen, jenachdem; gelenkschonendere Ergänzung des Laufens und Springens; Körperspannung lernen; Muskeln trainieren, die aufgrund suboptimaler Sprinttechnik nicht voll zum Einsatz kommen, aber gekräftigt werden müssen, um überhaupt gewisse technische Fehler zu beheben (Abduktorentraining bei adduziertem Fußaufsatz mit der Folge verstärkter Pronation und Hüftgelenksinstabilität etwa) und so weiter. Das schreit förmlich danach, nicht die Bewegung exakt zu kopieren.

Man kann aber eben sinnvoll darüber diskutieren, ob die ein oder andere Übung in irgendeiner Hinsicht in dieser Weise zu gebrauchen wäre, ob man sie beibehalten, ersatzlos streichen, durch bessere Lösungen ersetzen oder ienfach nur die Verhältnismäßigkeit verschieben sollte.

So kann man sich Gedanken machen, was koordinativ-konditionelle Schwächen bei Sprintern sind (tendenziell für die Allgemeinheit und individuell für den Einzelnen) und dann nach Übungsgut suchen, welches geeignet ist, diese Dinge auszugleichen, und insbes. z.B. bei Fr. Schäfer zusätzlich orthopädisch vertretbar ist.

Und da sollte dann die Diskussion ansetzen. Ich sehe drei mögliche Ansätze:

1. Fertige Sprinter haben trainingsbedingte Verletzungen und Fehlerbilder (Technik etc.). Es wird der Zusammenhang zw. bestimmten Trainingsmethoden und negativen Folgen gesucht und dann nach Alternativen gesucht, die diese Folgen vermeiden. Diesen Ansatz bezieht Fr. Schäfer scheinbar in ihre Überlegungen ein.

2. Man geht ganz frei von der Grundlage des Laufens aus. Eine Ausgstaltung des Laufens hinsichtlich Periodisierung, Ausdauer-Schnelligkeits-Verteilung etc. ist schon soweit untersucht, dass man dort bestimmte Programme übernehmen kann, aber auch von hochintensiven + umfangreichen Programmen absehen sollte (stattdessen nur eins von beiden). Dann kann man schauen: Was braucht man noch außer Laufen? Und da setzen dann die obigen Gründe für Akzentsetzung etc. an. Da kann man dann zum Beispiel die These aufstellen: Sprinter in einer bestimmten Zielgruppe neigen zu einem außenrotierten Fußaufsatz und Überpronation. Das müsste man auf Richtigkeit überprüfen. Dann könnte man das Übungsgut dagegen entwickeln. Oder man stellt fest: Sprinter neigen zu Beinbeugerzerrungen in der Phase des exzentrischen (Ischios) Abbremsen der Unterschenkel in der Luft. Dann könnte man den Dehnungsverkürzungszyklus durch Übungen wie Quick Legs und B-Skips trainieren und so die Muskulatur auf die entspr. Bewegung hintrainieren.

3. Man verfolgt den Ansatz, das Sprinten an sich ist eine zu einseitige Belastung, die auch bei physiologischer Übungsausführung zu Verschleiß führt und muss deswegen insbesondere im Grundlagentraining durch unspezifische, aber dennoch in irgendeiner Form zielführende Übungen tw. ersetzt werden. Das ist ein anerkannter Grundsatz leichtathletischer Periodisierung. Das hieße, dass man dann nicht speziell nach Schwächen sucht, sondern alle Anforderungen des Sprints isoliert trainiert. Wie weit man dabei unspezifisch werden kann und was zu sprintentfernt ist, sollte die Erfahrung zeigen.

Ich denke, man tut gut daran, alle drei Ansätze zu kombinieren, das Akzeptieren und Korrigieren von vorhandenen Programmen (1), das Ausgleichen von Schwächen (2) und das Verteilen des Sprinttrainings auf andersbelastende, aber dennoch zielführende Übungen (3). Sagt mal was dazu.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

@icheinfachma:
Thumb_upThumb_upThumb_up
Du wirst immer besser!


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.11.2014

Man darf natürlich die Akzentverschiebungen, die teilweise im internationalen Sprint stattfinden, nicht beiseite schieben oder übersehen, also immer hübsch aufmerksam sein! Man sollte grundsätzlich andere für fähig halten, an der Schraube zu drehen, was immer wieder eine Aufforderung zur eigenen Wissensoptimierung sein sollte. 

Es gibt so verdammt kluge Köpfe. Manchmal müsste der Tag mehr als 24 Stunden haben. Smile Wann kommt die Zeit, dass man Gehirnfestplatten von guten Trainern und Wissenschaftlern kaufen und integrieren kann - und möglichst direkt nach der Geburt, wenn es noch die doppelte Neuronenanzahl gibt, auf die eigene Festplatte ziehen kann?  (Scherz zu nächtlicher Stunde!) Wink

Gertrud 


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - T-Willy - 26.11.2014

(25.11.2014, 22:33)icheinfachma schrieb: [viel richtiges]
Top BeitragThumb_up
Wie du in Punkt 3 schon schreibst,sehe auch ich im Grundlagentraining durchaus Platz für unspezifisches Übungsgut( Stichworte Sicherstellung von Variation /Vermeidung von Monotonie usw).
Allerdings sollte dieses unspezifische Übungsgut eher dem Grundlagentraining vorbehalten bleiben,denke ich!


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Halloo - 26.11.2014

(25.11.2014, 22:09)MZPTLK schrieb: @icheinfachma: Ich glaube den Lombardsatz nicht, und die EMG-Daten sind Beweis-untauglich.

Aber machternixe.
Nicht böse sein,
und immer dran denken:

Life is funny
Sky is sunny
Bees make honey

(Alvin Lee, 1969)

Und das gilt auch noch länger als ten years after Thumb_up


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 26.11.2014

(25.11.2014, 23:31)Gertrud schrieb: Man darf natürlich die Akzentverschiebungen, die teilweise im internationalen Sprint stattfinden, nicht beiseite schieben oder übersehen, also immer hübsch aufmerksam sein! Man sollte grundsätzlich andere für fähig halten, an der Schraube zu drehen, was immer wieder eine Aufforderung zur eigenen Wissensoptimierung sein sollte.
Klar, aber die Medaille hat zwei Seiten.
Man sollte diese Innovationsangebote nicht denkfaul abtun,
sondern immer auf Herz und Nieren prüfen.
Und dann kommt man entweder auf Lehrreiches und Nützliches,
andererseits aber auch schon mal auf Irrungen und Wirrungen
oder auf zwar grundsätzlich Bedenkenswertes, aber der Teufel hat die Details verhext.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 26.11.2014

(25.11.2014, 15:11)Wlad(Posting von Diskusmann) schrieb: Es gibt wenige Übungen die das Üben. Die besten sind nicht bekannt. Die von V. Bauer ist nicht die Beste, weil ohne Druck ins Bein, im Sprint haben wir aber Druck, sogar enormen manchmal. Besonders im Dreisprung."
Vollkommen richtig!
Ohne oder mit wenig Druck ins Bein bis in den Boden hinein ist eine Übung,
die die Ischios sprintgerecht involvieren und konditionieren soll,
grossenteils für die Miezekatze.

Wlads Bezug zum Dreisprung ist absolut lehrreich.
Die Sprinter können wirklich viel von den Dreispringern lernen,
insbesonders von Jonathan Edwards.
Ein sehr schneller Mann mit sehr schnellem Fussaufsatz bei gleichzeitig sehr hohem Druck.
Das entspricht auch den durch die Forschung identifizierten möglichen Stellschrauben:
Die Frequenz ist viel weniger verbesserungsfähig als die Schrittlänge,
und das funktioniert vor allem mit Drucksteigerung bei gleichzeitiger Kontaktverkürzung unter 1/10 Sekunde.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 26.11.2014

(25.11.2014, 15:11)Wlad(Posting von Diskusmann) schrieb: Es gibt wenige Übungen die das Üben. Die besten sind nicht bekannt. Die von V. Bauer ist nicht die Beste, weil ohne Druck ins Bein, im Sprint haben wir aber Druck, sogar enormen manchmal. Besonders im Dreisprung.
Positiv ist erst einmal, dass sich einer Gedanken macht. Das harte Aufschlagen der Hacke empfinde ich als sehr hart für den Fersenbereich. Ich würde mich über Achillessehnenprobleme und Haglundfersen nicht wundern. Für C. Nytra wäre das wahrscheinlich das absolute Aus. Solche Dinge muss man nicht provozieren. Das Gerät an sich ist gut, wenn es anders benutzt wird und ein anderer Fußaufsatz in einer anderen Lage durchgeführt würde. 

Das zweite Gerät - Ich nenne es mal das Schlittschuhgerät, weil der Fuß/die Füße gleitet/gleiten. - ist aus meiner Sicht mehr für den Startabschnitt, wobei bei der beidbeinigen Version die Füße stark vor dem KSP aufsetzen. Es entspricht insofern nicht der Sprintbewegung, weil der Fuß gleitet und der Oberkörper relativ am "Turm" bleibt. Wir sehen aber im Sprint keinen festen Oberkörper, sondern einen etwas flexiblen vor/ zurück (anatomische Gründe) und vor allem nach lateral, was Michael Johnson bei Bolt in dem Ausmaß moniert (?!). Usain Bolt beherrscht wie kein anderer Sprinter der Weltklasse den dreidimensionalen Sprint!!!

Gertrud