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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 11.01.2015

(11.01.2015, 21:22)MZPTLK schrieb: Der Quadri muss sich ja auch fix vom Ago zum Antago wandeln.
Aber dass er nicht oder in nur sehr geringem Masse konzentrisch wirken soll, ist kaum zu glauben.

Ich habe es aber auch schon bei amerikanischen Wissenschaftlern gelesen, wo man auch  nur die exzentrische Form angenommen hat. Komi et al. sind eigentlich für exakte Forschungen bekannt. Es scheint sehr stark vom Tempo abzuhängen. 

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 12.01.2015

(11.01.2015, 23:41)Gertrud schrieb: Es scheint sehr stark vom Tempo abzuhängen.
Wird so sein.
Aber ich bin sicher, er muss in der Kontaktphase immer einen gewissen Tonus halten,
sonst keine Kraftübertragung.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Halloo - 13.01.2015

Zum Thema .......und Konsequenzen fürs Training.
Neben all den gesicherten (oder ungesicherten??) wissenschaftlichen Kenntnissen dürfte es die Trainerschaft vor allem interessieren, was denn nun die Konsequenzen fürs Training sind. Aus dem, was hier zu lesen ist, kann man - bzw. kann ich - nichts schlussfolgern.
Das aber wäre das Entscheidende.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 13.01.2015

(13.01.2015, 10:39)Halloo schrieb: Zum Thema .......und Konsequenzen fürs Training.
Neben all den gesicherten (oder ungesicherten??) wissenschaftlichen Kenntnissen dürfte es die Trainerschaft vor allem interessieren, was denn nun die Konsequenzen fürs Training sind. Aus dem, was hier zu lesen ist, kann man - bzw. kann ich - nichts schlussfolgern.
Das aber wäre das Entscheidende.

Es stimmt, leider sind viele Sachen noch nicht sicher bewiesen. Allerdings schlafen auch die Trainer nicht und haben diese Theorien im Training ausprobiert. Manche Theorien werden dadurch bestätigt, andere eher nicht.

Die Theorie des lombardschen Paradoxons im Sprint wurde in der Praxis erfolgreich umgesetzt. Sprinter wie Bolt, Blake und Konsorten trainieren vor allem ihre Beinbeuger im Vergleich zu den Beinstreckern und sind damit sehr erfolgreich.

Zu genaueren Infos über Powells Training kannst du auf speedendurance.com nachschauen. Wenn du dort deine E-Mail einträgst, bekommst du auf kostenloser Basis einen Monat lang täglich mehrere interessante Pdfs zum Thema Sprinttraining zugesandt, auch mit Details der Trainer Mills (Bolt, Weir) und Francis (Powell, Simpson, Campbell-Brown). Ich kann die Pdf-Dateien hier nicht hochladen, daher der Website-Verweis.

Weiterhin ist auch die Vorhersage aus der Biomechanik, dass bei der Landung die Amortisation (Abfangen des Landesdrucks durch exzentrische Kniearbeit) mit großer Kraft und geringem Nachgeben im Kniegelenk entscheidend ist, erfolgreich in der Praxis ausprobiert. Wenn man sein Sprinttraining durch Krafttraining und Plyometrie ergänzen will, solle man daher einen größeren Anteil exzentrisches Krafttraining und Sprungkrafttraining (z.B. Niedersprünge, Hürdensprünge) machen und einen geringeren Anteil konzentrisches Krafttraining und Sprungkrafttraining (z.B. Standweitsprünge, Kastenaufsprünge, Kugelschocken). Hierzu habe ich eine ausführliche Powerpoint auf Slideshare.net gefunden. Schlüsselwörter müssten Mike Young und Breaking Barriers to Sprint Performance sein. Auch die kann ich nicht mehr finden, habe sie aber auf meinem Laptop.

Diesen Sommer wurden zwei wichtige Studien zum Thema Sprintbiomechanik publiziert. Bisher wurde ein Federmodell für den Springtbodenkontakt angenommen. Das wird jeder kennen. Man hat nachgewiesen, dass dieses Modell auf Dauerläufer und Sprinter im Amateurbereich zutrifft, dass aber professionelle Sprinter einen anderen Kraft-Zeit-Verlauf zeigern. Bei ihnen kommt zu dem Fedeüberffekt noch eine weitere Kraft hinzu, über deren Entstehung man sich noch nicht ganz einig ist. Man weiß nur, dass die Art, wie das Bein abwärts  beschleunigt wird, einen Einfluss hat. Dabei vermutet man, dass eine aktive Vorspannung in Beinbeugern und Waden eine bessere reaktive Arbeitsweise in der rückseitigen Muskelkette bewirkt, was in einer schnelleren Abwärtsbeschleunigung und einem anderen Landeverhalten resultiert. Stichwörter sind hier die schon länger propagierte "Hammer-und-Nagel-Analogie" sowie die Trainingsmethoden Quick leg/ Fast leg, B-Skipping und die Studien zur reaktiven Arbeit der Beinbeuger vor dem Bodenkontakt.

In der Biomechanik hat man verhergesagt, dass bei einer Vergrößerung der vertikalen Krafteinsätze die Geschwindigkeit weiter steigern lässt. Die neuen Technikmodelle kann man sorgfältig studieren (Seagrave - Neurobiomechanics of Sprinting etc) sowie auf Youtube suche (z.B. Sprinting analysis Carmelita Jeter). Auch diese Vorhersage aus der Biomechnanik lässt sich durch praktische Erfahrungen im WEltklassebereich bestätigen. Das wirkt sich auf die Technik aus.

Ein weiterer Punkt ist das Thema Verletzungsanfälligkeit im Zusammenhang mit diesen Trainingsmethoden. Dazu lasse ich lieber Gertrud sprechen (die es aber aus bereits diskutierten Gründen nicht tun wird Wink), die sich damit besser auskennt. Das würde übrigens einen eigenen Thread wert sein, an dem ich mich gern beteiligen würde. Es ist ja nicht so, dass wir anderen gar nichts zu diesem Thema wissen.

Ich hoffe, ich konnte mit den Punkten eine kleine Sammlung geben, was das Sprinttraining von heute anders macht. Es lohnt sich grundsätzlich, sich an dem zu orientieren, was von den Erfolgreichsten bereits angewandt wird und vor der Wissenschaft sollte kein Scheu bestehen, solange sie praxisgetestet wird.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 13.01.2015

(13.01.2015, 16:31)icheinfachma schrieb: Ich hoffe, ich konnte mit den Punkten eine kleine Sammlung geben, was das Sprinttraining von heute anders macht. Es lohnt sich grundsätzlich, sich an dem zu orientieren, was von den Erfolgreichsten bereits angewandt wird und vor der Wissenschaft sollte kein Scheu bestehen, solange sie praxisgetestet wird.

Sie studieren Sport und sind Mitte 20? Ich würde Sie in einer ganz anderen Ecke sehen. Wink 

Der Nur-Hammer-Ansatz ist bewegungsmäßig meines Erachtens falsch! Schauen Sie sich Bolt mal sehr detailliert an! Das ist kein bloßes Rauf-Runter. Ich habe ihn stundenlang analysiert. Allerdings muss man feststellen, dass vieles individuell unterschiedlich ist, da z. B. andere Hebel aufgrund der unterschiedlichen Anatomie bestehen. 

Es kommt hinzu, dass Druck- und Zugspannungen sogar in einem kompletten Muskelverbund unterschiedlich verlaufen. 

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 13.01.2015

(13.01.2015, 19:07)Gertrud schrieb: Sie studieren Sport und sind Mitte 20? Ich würde Sie in einer ganz anderen Ecke sehen. Wink 

18.

Zitat:Der Nur-Hammer-Ansatz ist bewegungsmäßig meines Erachtens falsch!

Mit Hammer-und-Nagel-Analogie spiele ich auf den im Englischen manchmal verwendeten Begriff der hammer-and-nail-analogy. Damit ist einfach nur gemeint, das Bein schon aus der Kniehubposition heraus mit aller Kraft gen Boden beschleunigen muss, sodass man den Boden mit aller Kraft trifft, so wie man einen Hammer schon in der Luft beschleunigt, um den Nagel mit voller Geschwindigkeit zu treffen. Falsch wäre dagegen, den Hammer langsam nach unten zu führen, auf den Nagel aufzusetzen und dann zu drücken. Genauso soll man auch sein Bein nicht passiv auf den Boden fallen lassen und sich dann erst vom Boden abdrücken. Genau das ist es ja, was das Federmodell zulässt. Bei einer aktiven Beschleunigung kommt dagegen noch die Teilmasse des Unterschenkels hinzu, der sich mit dem Federverhalten überlagert. Allerdings weiß man noch nicht genau, was der Sprinter genau machen muss, damit es genau dazu kommt.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - runny - 13.01.2015

(13.01.2015, 19:17)icheinfachma schrieb: Mit Hammer-und-Nagel-Analogie spiele ich auf den im Englischen manchmal verwendeten Begriff der hammer-and-nail-analogy. Damit ist einfach nur gemeint, das Bein schon aus der Kniehubposition heraus mit aller Kraft gen Boden beschleunigen muss, sodass man den Boden mit aller Kraft trifft, so wie man einen Hammer schon in der Luft beschleunigt, um den Nagel mit voller Geschwindigkeit zu treffen. Falsch wäre dagegen, den Hammer langsam nach unten zu führen, auf den Nagel aufzusetzen und dann zu drücken. Genauso soll man auch sein Bein nicht passiv auf den Boden fallen lassen und sich dann erst vom Boden abdrücken. Genau das ist es ja, was das Federmodell zulässt. Bei einer aktiven Beschleunigung kommt dagegen noch die Teilmasse des Unterschenkels hinzu, der sich mit dem Federverhalten überlagert. Allerdings weiß man noch nicht genau, was der Sprinter genau machen muss, damit es genau dazu kommt.

Sprichst du von der max. Speed Phase oder der Beschleunigungsphase?

Zu der max.Speed Phase:
https://www.youtube.com/watch?v=4fjC1Oim0UQ

Zu dem nicht passiv fallen lassen stimme ich dir zu, das Bein wird vor dem Fußaufsatz in die Streckung gebracht, aber das passiert nicht undbedingt sehr schnell. Vor allem wenn du dir Lemaitre im Hintergrund anschaust ist das eher ein gründliches Vorbereiten auf den Fußaufsatz, damit man sich auch wirklich trifft und nicht um in deinen Worten zu sprechen am Nagel vorbeischlägt.

Eine wirklich hohe Beschleunigung erfährt das Bein bei der Bewegung nach vorne in Richtung des größten Kniehubs.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 13.01.2015

Ihr interpretiert alle in diese Analogie, das Bein in der Form eines Hammers zu bewegen - das ist damit nicht gemeint! Es geht lediglich um das kraftvolle Beschleunigen, sodass der Fuß bereits mit hoher Geschwindigkeit auf den Boden auftritt. Der Sinn, das Bein im Hüftgelenk schnell gen Boden zu beschleunigen, liegt unter anderem darin, dass das Hüftgelenk sich kontinuierlich streckt. Es stoppt auch nicht beim Auftreffen des Fußes auf den Boden. Und das geht schneller, wenn das Bein schon schnell gen Boden beschleunigt wird. (Das macht sicher auch Lemaitre so)


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 13.01.2015

(13.01.2015, 21:33)icheinfachma schrieb: Ihr interpretiert alle in diese Analogie, das Bein in der Form eines Hammers zu bewegen - das ist damit nicht gemeint! Es geht lediglich um das kraftvolle Beschleunigen, sodass der Fuß bereits mit hoher Geschwindigkeit auf den Boden auftritt. Der Sinn, das Bein im Hüftgelenk schnell gen Boden zu beschleunigen, liegt unter anderem darin, dass das Hüftgelenk sich kontinuierlich streckt. Es stoppt auch nicht beim Auftreffen des Fußes auf den Boden. Und das geht schneller, wenn das Bein schon schnell gen Boden beschleunigt wird. (Das macht sicher auch Lemaitre so)
Das ist nichts Neues.
Wie sollte man anders sprinten, wenn man 4-5 mal pro Sekunde Druck nach hinten unten auf den Boden bringen will/muss?
Das geht nur mit Kontinuum, nicht mit (kleinen)Päusken.

Zu Konzentrik/Exzentrik:
Es kommt auf den individuell-richtigen Mix an.
Es gibt keine Phase des Sprintens, wo nicht beide im Spiel sind, und es kann sie auch nicht geben.
Dabei ist der ganze Körper in Betracht zu ziehen, und nicht nur der Bereich Hüfte-abwärts.

Die Defizite der Rückseite resultieren vor allem auch aus der viel geringeren Beanspruchung in 'Wohlstands'-Ländern.
Die Leute mussten früher viel mehr gehen und laufen, entsprechend weniger Dysbalancen gab es.
Dies trifft heute noch oft für Entwicklungs- und Schwellenländer zu.

Wenn man sich diverse Sprinter 'alter Zeiten' ansieht, fällt sofort auf, dass  diese schon das Meiste richtig gemacht hatten,
worüber wir hier - zu recht - reden.
Nur ein paar Beispiele: Heinz Fütterer, Manfred Germar, Marlies Göhr, Florence Griffith, usw.
Man könnte meinen, die wären in Jamaica gewesen.

Aber Vorsicht!
Armin Hary, Justin Gatlin und andere laufen 'in einer anderen Abteilung'.

Ich denke, jeder kann von den anderen lernen.
Jedenfalls ist richtig, die durch den Alltag weniger beanspruchte Rückenseite im Sport allgemein mehr anzusprechen.
Und speziell im Sprint-Training umso mehr.
Dafür braucht man kein vermeintliches L. Paradoxon,
sondern eine Analyse richtiger Gewichtung der am Sprint beteiligten 'weichen' Motorik.
Und die wird wohl nie ganz an ihr Ende kommen,
schon gar nicht bezogen auf den einzelnen Sprinter.
Jeder braucht eine andere Gewichtung, einen anderen Mix.
Das kann in der Feinabstimmung nur das gute Trainerauge
und vor allem die Kinästhetik des Sprinters leisten.

Wird die Konzentrik im Verhältnis zur Exzentrik vernachlässigt, geht der Schuss nach hinten los.
Was nützen mir die 1-2 Zehntelsekunden, die ich ab etwa 40 m gewinne, wenn ich die auf den ersten 40 'verschlafe'?
Wichtig ist die Gesamtbilanz..
Das hat auch Herr Wiemann aus der paradoxen Lombardei betont.


Zur (aktiven) Vorspannung der Rückseite:
Mit (bewusst)-aktiv habe ich meine Probleme wegen des obersten Sprintgesetzes der Lockerheit.
Ich hatte woanders geschrieben, dass das - beim entwickelten, automatisierten Sprinter nicht bewusst ablaufen muss/darf,
denn die optimierte Koordination und der eingespielte Rhythmus
bringen eine 'just-in-time-antizipation' für die bessere Arbeitsweise auch der Beinbeuger und Waden mit sich.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 13.01.2015

Ich erinnere mich geschrieben zu haben, dass diese Analogie schon länger propagiert wird. Wer hat gesagt, dass das neu ist? Ich nicht. Was neu ist, hab ich geschrieben ein paar Posts vor diesem.