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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Infomaterial Training und Technik - MZPTLK - 21.11.2014

(21.11.2014, 14:02)Gertrud schrieb: Ich denke oft darüber nach, wie viele Reserven Menschen aufgrund der Gehirnstrukturen und Neuroplastizität noch haben. Die LA-Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Man muss von den 100% beim Kind zur Verfügung stehenden Neuronen mehr als jetzt ins Erwachsenenalter retten und diejenigen, die vorhanden sind, richtig befeuern. Das geht alles nur durch sehr frühzeitiges Benutzen. Dazu gehört aber eben auch ein enormes Wissen hinsichtlich der eigentlichen Strukturen. Die Verfeinerung des Trainings in funktioneller Hinsicht muss ein wesentlicher Bestandteil jedes Trainers sein.
Das wäre wünschenswert im Hinblick auf Leistungsoptimierung frühzeitig selektierter prädestinierter AthletInnen.

Aber wenn wir das zu Ende denken, bewegen wir uns da nicht zumindest teilweise in fragwürdigem oder sogar gefährlichem Gelände?
Stichworte: Elitezüchtung, Bevormundung/Manipulation/Zwang(?) Minderjähriger, Instrumentalisierung(an und mit denen kann man viel Geld verdienen) - bis hin zu Gen-Manipulation?

Um das auf die Beine zu stellen, bedarf es einer üppigen Finanzierung(das hatten wir schon) und vor allem einer möglichst weitreichenden Organisation durch den Staat, wen sonst? Will der das - genauer: die Gesellschaft - wirklich?


RE: Infomaterial Training und Technik - icheinfachma - 21.11.2014

(21.11.2014, 14:18)MZPTLK schrieb: Aber  ist auch egal, es gibt 2 Möglichkeiten:
1. Das Paradoxon 'existiert', dann muss die Anatomie neu geschrieben werden. Aber dann folgt daraus auch wiederum, dass es kein Paradoxon ist.
2. Es existiert nicht, dann müssen sich einige auf die Suche nach dem wahren Muskelzusammenspiel in der ominösen Winkelphase machen, und das kann ja nicht so schwer sein, oder?

Man kann seit den 80ern rechnerisch bewiesen, dass die beinstreckende Wirkung in einem bestimmten Modell möglich ist (Wiemann - Präzisierung des LOMBARDschen Paradoxons in der Funktion der ischiocruralen Muskeln beim Sprint, 1991) und auch Geräte gebaut, in denen das Ganze funktioniert. Außerdem ist nachweisbar, dass sich der M. biceps femoris caput longum bei sich vergrößerndem Kniewinkel verkürzt und dass er elektromyografisch nachweisbare Aktivität aufweist. Bis dahin ist absolut nichts paradox.

Ein Problem dabei ist, ob sich das einfache Modell auf die Wirklichkeit übertragen lässt (2D vs. 3D). Auch ungeklärt ist, ob das, was man für das Caput longum errechnet hat, auch für Semitendinosus und Semimembranosus gilt, denn die haben eine tw. andere Anatomie. Da ist immer noch nichts Paradoxes dran.

Als paradox hat Lombard 1904 befunden, dass die Ischios so groß und stark wie der Quadrizeps sind, aber ihnen nur ein Anheben der Ferse zugerechnet wurde. Das ist meinem Verständnis nach das Paradoxon und der Rest ist gar nicht widersprüchlich. Um das Paradoxon aufzulösen, ging er deswegen davon aus, dass die Ischios noch andere Funktionen haben müssen, die einen großen Krafteinsatz erfordern.


RE: Infomaterial Training und Technik - hkrueger - 21.11.2014

(21.11.2014, 15:36)icheinfachma schrieb:
(21.11.2014, 14:18)MZPTLK schrieb: Aber  ist auch egal, es gibt 2 Möglichkeiten:
1. Das Paradoxon 'existiert', dann muss die Anatomie neu geschrieben werden. Aber dann folgt daraus auch wiederum, dass es kein Paradoxon ist.
2. Es existiert nicht, dann müssen sich einige auf die Suche nach dem wahren Muskelzusammenspiel in der ominösen Winkelphase machen, und das kann ja nicht so schwer sein, oder?

Man kann seit den 80ern rechnerisch bewiesen, dass die beinstreckende Wirkung in einem bestimmten Modell möglich ist (Wiemann - Präzisierung des LOMBARDschen Paradoxons in der Funktion der ischiocruralen Muskeln beim Sprint, 1991) und auch Geräte gebaut, in denen das Ganze funktioniert. Außerdem ist nachweisbar, dass sich der M. biceps femoris caput longum bei sich vergrößerndem Kniewinkel verkürzt und dass er elektromyografisch nachweisbare Aktivität aufweist. Bis dahin ist absolut nichts paradox.

Ein Problem dabei ist, ob sich das einfache Modell auf die Wirklichkeit übertragen lässt (2D vs. 3D). Auch ungeklärt ist, ob das, was man für das Caput longum errechnet hat, auch für Semitendinosus und Semimembranosus gilt, denn die haben eine tw. andere Anatomie. Da ist immer noch nichts Paradoxes dran.

Als paradox hat Lombard 1904 befunden, dass die Ischios so groß und stark wie der Quadrizeps sind, aber ihnen nur ein Anheben der Ferse zugerechnet wurde. Das ist meinem Verständnis nach das Paradoxon und der Rest ist gar nicht widersprüchlich. Um das Paradoxon aufzulösen, ging er deswegen davon aus, dass die Ischios noch andere Funktionen haben müssen, die einen großen Krafteinsatz erfordern.

Sehr schön! Das ist klar, verständlich, strukturiert dargestellt und auf den Punkt gebracht! Thumb_up

Muss sagen, dass ich deine Beiträge immer gerne lese und möchte dir dafür ein Kompliment machen!


RE: Infomaterial Training und Technik - MZPTLK - 21.11.2014

(21.11.2014, 15:36)icheinfachma schrieb:
(21.11.2014, 14:18)MZPTLK schrieb: Man kann seit den 80ern rechnerisch bewiesen, dass die beinstreckende Wirkung in einem bestimmten Modell möglich ist (Wiemann - Präzisierung des LOMBARDschen Paradoxons in der Funktion der ischiocruralen Muskeln beim Sprint, 1991) und auch Geräte gebaut, in denen das Ganze funktioniert. Außerdem ist nachweisbar, dass sich der M. biceps femoris caput longum bei sich vergrößerndem Kniewinkel verkürzt und dass er elektromyografisch nachweisbare Aktivität aufweist. Bis dahin ist absolut nichts paradox.

Ein Problem dabei ist, ob sich das einfache Modell auf die Wirklichkeit übertragen lässt (2D vs. 3D). Auch ungeklärt ist, ob das, was man für das Caput longum errechnet hat, auch für Semitendinosus und Semimembranosus gilt, denn die haben eine tw. andere Anatomie. Da ist immer noch nichts Paradoxes dran.

Als paradox hat Lombard 1904 befunden, dass die Ischios so groß und stark wie der Quadrizeps sind, aber ihnen nur ein Anheben der Ferse zugerechnet wurde. Das ist meinem Verständnis nach das Paradoxon und der Rest ist gar nicht widersprüchlich. Um das Paradoxon aufzulösen, ging er deswegen davon aus, dass die Ischios noch andere Funktionen haben müssen, die einen großen Krafteinsatz erfordern.
Die Ischios sind weit entfernt von der Stärke der Quadris.
Lombard, bzw. Wiemann nahmen nicht nur die Beugerfunktion an und vermuteten noch andere Funktionen, ohne diese zu identifizieren.
NmM sollte man nicht gleich was als Paradoxon bezeichnen, was man (noch) nicht versteht.
Paradoxon klingt konstituierend, allgemeingültig.


Wenn man was rechnerisch beweisen kann, bildet das in der Bio-Mechanik selten, eigentlich nie die ganze Wirklichkeit ab.
In der Mechanik - siehe die gebauten Geräte - funktioniert das meistens,. weil das simplifizierte Modelle sind. die sich exakt vermessen lassen.

Keiner der von Dir genannten Muskel kann eine Aufgabe erfüllen, die für ein sogenanntes Paradoxon erforderlich wäre, denn keiner kann in welcher Position auch immer eine autonome Streckfunktion am Kniegelenk leisten, das ist anatomisch ausgeschlossen.

Die Ischios haben nicht nur eine beugende Funktion, sondern eine koordinierende (Halte-)Funktion im Muskel-Verbund.
Will man den KSP mit den unteren Extremitäten vom Boden wegdrücken(dies geschieht bei allen leichtathletischen Disziplinen), benötigt man die Hüft-, Knie- und Fuss-Strecker.
Fällt nur eine Komponente aus, ist Ende.

Eine Kniestreckung kann man in der Maschine (fixiert liegend) überwiegend  durch die Quadris machen,
aber wir sind ja bei der Leichtathletik, und da müssen die Hüftstrecker und die Ischios mitarbeiten.
Isternixe mit Paradoxon, wie Du auch schon richtig gesagt hast.


RE: Infomaterial Training und Technik - Gertrud - 21.11.2014

(21.11.2014, 15:06)MZPTLK schrieb: Das wäre wünschenswert im Hinblick auf Leistungsoptimierung frühzeitig selektierter prädestinierter AthletInnen.

Aber wenn wir das zu Ende denken, bewegen wir uns da nicht zumindest teilweise in fragwürdigem oder sogar gefährlichem Gelände?
Stichworte: Elitezüchtung, Bevormundung/Manipulation/Zwang(?) Minderjähriger, Instrumentalisierung(an und mit denen kann man viel Geld verdienen) - bis hin zu Gen-Manipulation?

Um das auf die Beine zu stellen, bedarf es einer üppigen Finanzierung(das hatten wir schon) und vor allem einer möglichst weitreichenden Organisation durch den Staat, wen sonst? Will der das - genauer: die Gesellschaft - wirklich?

Es muss bei Kindern immer noch spielerisch ankommen und Spaß machen. Es darf absolut kein Zwang sein. Ich halte etwas von Angeboten, nicht von Züchtung. 

Gertrud


RE: Infomaterial Training und Technik - Gertrud - 21.11.2014

(21.11.2014, 15:36)icheinfachma schrieb: Man kann seit den 80ern rechnerisch bewiesen, dass die beinstreckende Wirkung in einem bestimmten Modell möglich ist (Wiemann - Präzisierung des LOMBARDschen Paradoxons in der Funktion der ischiocruralen Muskeln beim 
Als paradox hat Lombard 1904 befunden, dass die Ischios so groß und stark wie der Quadrizeps sind, aber ihnen nur ein Anheben der Ferse zugerechnet wurde. Das ist meinem Verständnis nach das Paradoxon und der Rest ist gar nicht widersprüchlich. Um das Paradoxon aufzulösen, ging er deswegen davon aus, dass die Ischios noch andere Funktionen haben müssen, die einen großen Krafteinsatz erfordern.

das caput longum des biceps femoris bewirkt eigentlich, wenn man ihn auf das Hüftgelenk und das Kniegelenk in zwei Muskeln unterteilt, am Hüftgelenk als Strecker und am Kniegelenk als Beuger. In Wirklichkeit fungiert er in diesem Fall aber an beiden Gelenken als Strecker. Das hat er mit paradox bezeichnet.

Gertrud


RE: Infomaterial Training und Technik - MZPTLK - 21.11.2014

(21.11.2014, 17:18)Gertrud schrieb: das caput longum des biceps femoris bewirkt eigentlich, wenn man ihn auf das Hüftgelenk und das Kniegelenk in zwei Muskeln unterteilt, am Hüftgelenk als Strecker und am Kniegelenk als Beuger. In Wirklichkeit fungiert er in diesem Fall aber an beiden Gelenken als Strecker. Das hat er mit paradox bezeichnet.
 Verstehe ich nicht, etwas unglücklich formuliert...?


RE: Infomaterial Training und Technik - MZPTLK - 21.11.2014

(21.11.2014, 17:13)Gertrud schrieb: Es muss bei Kindern immer noch spielerisch ankommen und Spaß machen. Es darf absolut kein Zwang sein. Ich halte etwas von Angeboten, nicht von Züchtung.
Das wollte ich Dir persönlich auch nicht unterstellt haben.
Ich wollte nur für eventuelle Konsequenzen sensibilisieren, wenn man sowas konsequent verfolgt.


RE: Infomaterial Training und Technik - Hellmuth K l i m m e r - 21.11.2014

(21.11.2014, 14:02)Gertrud schrieb: Ich denke oft darüber nach, wie viele Reserven Menschen aufgrund der Gehirnstrukturen und Neuroplastizität noch haben. Die LA-Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen. Man muss von den 100% beim Kind zur Verfügung stehenden Neuronen mehr als jetzt ins Erwachsenenalter retten ...
Der so extrem intensive und spaßige Disput (u.a. MZPTLK vs. G. Sch.) veranlasst mich spontan, auf ein winziges Zeitungsfoto zu schauen, das seit Jahren an meinem Laptop klebt: Ein älterer Herr mit wirren Haaren (übrigens dem Sänger Reinhard Lakomy nicht unähnlich) stellt fest: 
Wir nutzen nur 10% unseres geistigen Potentials. Das Zitat war vom alten A. Einstein.
Ob das auch auf die Ausnutzung des körperlichen Potential zutrifft - wie hier scheinbar vermutet - bezweifle ich stark. Wink
H. Klimmer / sen.


RE: Infomaterial Training und Technik - Gertrud - 22.11.2014

(21.11.2014, 18:27)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Der so extrem intensive und spaßige Disput (u.a. MZPTLK vs. G. Sch.) veranlasst mich spontan, auf ein winziges Zeitungsfoto zu schauen, das seit Jahren an meinem Laptop klebt: Ein älterer Herr mit wirren Haaren (übrigens dem Sänger Reinhard Lakomy nicht unähnlich) stellt fest: 
Wir nutzen nur 10% unseres geistigen Potentials. Das Zitat war vom alten A. Einstein.
Ob das auch auf die Ausnutzung des körperlichen Potential zutrifft - wie hier scheinbar vermutet - bezweifle ich stark. Wink
H. Klimmer / sen.

In diesen defizitären Zivilisationszeiten werden auch viele motorische Neurone nicht befeuert. Letztens war eine Lehrerin mit ihrem vielleicht 3-4 Jahte alten Kind im Lehrerzimmer. Ich habe einen Papierball gemacht und es werfen lassen. Es hat nur eine Hand benutzt. "Und jetzt auch die andere Hand!" Das hat es mit Begeisterung gemacht und zurückgeworfen. So geht es doch auf allen Ebenen. Denken Sie nur mal an die Beweglichkeit bei den Kleinen und was davon später übrig bleibt! Letztens habe ich Halt bei einem libanesischen Hartz IV-Empfänger (ehemals Arbeiter an unserem Gymnasium) mit seinen vier Kindern gemacht (zwischen 4-6 J.). Wir haben kleine Gegenstände als Hürden aufgestellt und alle möglichen Übungen und Wettkämpfe durchgeführt. Sie wollten gar nicht aufhören. "Wann kommst du wieder?" Ich sehe diese Potentiale vielfach nicht ausgenutzt. Ich schaue manchmal in der Halle bei der Kleinkinder-LA zu. Diese Kinder haben später einen enormen Vorsprung. Es wäre sehr gut, wenn es das flächendeckend und auch eine wissenschaftiche Lobby dahinter gäbe. 

Gertrud