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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 17.01.2015

(17.01.2015, 16:44)icheinfachma schrieb: Manche Dinge kann man durch Erfahrung als Sportler oder Trainer herausfinden, andere Dinge nur mit wissenschaftlichen Methoden. Meine Fragestellung bezieht sich auf ein eindeutig wissenschaftliches Problem.
Du hast (noch?) einen ziemlich eingeschränkten Wissenschaftsbegriff, sorry.

Die mittelalterlichen Kathedralenbauer haben nie eine Uni von innen gesehen.
Frag heute mal einen Archi oder BauIng('Wissenschaftler'), wie die das gemacht haben, und warum die Buden nach 700 Jahren immer noch stehen.
(Frag aber bitte nicht die 'Wissenschaftler', die mit der Elbphilharmonie befasst sind/waren.
Diese Hütte wird, wenn alles 'gut'geht, 7 Jahre später als geplant fertig sein))


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 17.01.2015

(17.01.2015, 16:53)MZPTLK schrieb:
(17.01.2015, 16:44)icheinfachma schrieb: Manche Dinge kann man durch Erfahrung als Sportler oder Trainer herausfinden, andere Dinge nur mit wissenschaftlichen Methoden. Meine Fragestellung bezieht sich auf ein eindeutig wissenschaftliches Problem.
Du hast (noch?) einen ziemlich eingeschränkten Wissenschaftsbegriff, sorry.

Ich sehe da keine Einschränkung. Ich sehe auch keinen Bezug zwischen Kathetralenbau und der Fragestellung zur Reaktivität. Sicher, du hättest durch Sprinttraining herausgefunden, ob deine Muskeln gerade besonders reaktiv sind oder nicht, du würdest erfühlen, welche Muskeln gerade innerviert sind und sicher könntest du auch rein aus dem Gefühl und der unermesslichen Erfahrung aus deinem Training genau sagen, ob gerade das lombardsche Paradoxon in deinem Körper stattfindet. Wozu braucht man denn Wissenschaft, wenn man doch bloß ein bisschen trainieren braucht, und sofort die biologischen und physikalischen Zusammenhänge im Körper richtig zu verstehen? Da sehe ich schon eher Einschränkungen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Hellmuth K l i m m e r - 17.01.2015

(17.01.2015, 16:44)icheinfachma schrieb: Manche Dinge kann man durch Erfahrung als Sportler oder Trainer herausfinden, andere Dinge nur mit wissenschaftlichen Methoden.

Meine Fragestellung bezieht sich auf ein eindeutig wissenschaftliches Problem.

Dieses "wissenschaftliche Problem" (auch das "LP") ist in meinen Augen   s o   unwichtig, geradezu nichtig - zumindest für die Leistungsentwicklung von Spitzen-Sprintern.
Viel besser sollte man sich mit der muskulären Entwicklung (o. Anabolika!!!), der Athletik, der wirklich harmonischen Ausbildung der Sportler/Sprinter beschäftigen.
Manche Sportwissenschaftler, auch Trainer suchen krampfhaft nach (abwegigen) Bewährungs(Forschungs-)Feldern auf dem schon abgegrasten Feld trainingsmethodischer Forschungen - und übersehen das Naheliegende. Undecided Macht endlich Schluss mit dieser ..sch.. Diskussion.


H. Klimmer / sen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 17.01.2015

(17.01.2015, 16:59)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Dieses "wissenschaftliche Problem" (auch das "LP") ist in meinen Augen   s o   unwichtig, geradezu nichtig - zumindest für die Leistungsentwicklung von Spitzen-Sprintern.
Viel besser sollte man sich mit der muskulären Entwicklung (o. Anabolika!!!), der Athletik, der wirklich harmonischen Ausbildung der Sportler/Sprinter beschäftigen.

Ich gehe bei solchen Sachen immer davon aus, dass die grundlegenden Sachen (Athletik, Technik, ...) bereits richtig gemacht werden im Training. Von dort aus kann man dann nach weiteren, speziellen Wegen suchen und das gerne auch unter Einbezug der Wissenschaften. Man muss sich nicht auf das bereits Bekannte beschränken, sondern kann über den Horizont hinausdenken.

Das Lombard'sche Paradoxon halte ich dagegen für wichtig, wenn man bedenkt, dass die Literatur (und damit meine ich nicht nur Wiemann) die Muskeln M. gluteus maximus, Mm. ischiocrurales und M. adductor magnus nebst den Hüftbeugern als am einflussreichsten auf den Sprint ansieht.

Für das Sprinttraining interessiert mich die Aktivität aller beteiligten Muskeln. Als Haupttrainingsmittel betrachte ich das Sprinten, das Technik- und Koordinationstraining und das Antrainieren einer Ausdauergrundlage. Dafür ist die Kenntnis des LP sicher nicht vonnöten. Alles andere (Krafttraining, Plyometrie) sehe ich als Ergänzung an, um Muskelschwächen auszugleichen (die schwachen u. oft verletzungsanfälligeren Beinbeuger etwa), um vielfältigere Reize zu setzen und um nachhaltiger zu trainieren. Da kann man das Wissen ums LP und um Verletzungen gezielt einsetzen. Zusätzlich dazu ist bei manchen Sportlern noch die Beseitigung von Fehlhaltungen u. Fehlstellungen nötig, um ein Training zu ermöglichen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 17.01.2015

(17.01.2015, 15:26)icheinfachma schrieb: Es wurde schon gefühlte 10.000 Mal geschrieben, dass die ischiocruralen Muskeln bei fixiertem Fuß das Oberende der Tibia nach hinten ziehen und damit das Knie strecken - jetzt kommst du mit einem Ansatz vor dem Knie. 
Das wurde doch nie bestritten. Du solltest meine Postings vielleicht auch mal lesen.
Die feinen, aber entscheidenden Unterschiede bestehen nmM darin,
- dass die Ischios in einem SEHR ungünstigen Winkel auf die Tibia wirken und somit nicht nur aufgrund ihrer im Vergleich zum Quadri wesentlich geringeren Energetik wenig Streckeffekt ausüben können. Deine Formulierung des Nachhintenziehens ist daher aus 2 gravierenden Gründen sehr schmeichelhaft für die Wirkungsweise
- dass das nicht autonom passiert. Dafür wäre wie gesagt eine andere Vertäuung erforderlich, aber das wäre im Sinne des Antagonismus dysfunktional


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 17.01.2015

(17.01.2015, 16:59)icheinfachma schrieb: Sicher, du hättest durch Sprinttraining herausgefunden, ob deine Muskeln gerade besonders reaktiv sind oder nicht, du würdest erfühlen, welche Muskeln gerade innerviert sind und sicher könntest du auch rein aus dem Gefühl und der unermesslichen Erfahrung aus deinem Training genau sagen, ob gerade das lombardsche Paradoxon in deinem Körper stattfindet. Wozu braucht man denn Wissenschaft, wenn man doch bloß ein bisschen trainieren braucht, und sofort die biologischen und physikalischen Zusammenhänge im Körper richtig zu verstehen? Da sehe ich schon eher Einschränkungen.
Das Eine geht ohne das Andere nicht und alles zusammen ist Wissenschaft.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 17.01.2015

Im Gegenteil setzen die Ischios in einem wesentlich günstigeren Winkel am Bein an als die Quadris. Die Quadris haben einen ungünstigen Hebel, weil sie sehr nah am Oberende der Tibia ansetzten und aber den gesamten Unterschenkel bewegen müssen. Der Hebelarm Knie-Ansatzstelle Quadriceps ist deutlich kürzer als der Hebelarm Knie-Fuß. Die ischiocruralen Muskeln beim LP dagegen ziehen in der Mitte des gesamten Beines. Die Hebelarme (Ansatzstelle - Fuß sowie Ansatzstelle - Hüftgelenk) sind sehr groß und daher können sie die Knie auch sehr kräftig strecken, obwohl einen geringeren Querschnitt haben als die Quadriceps. Das zeigt ja auch die vektorielle Zerlegung der Kräfte, die die Ischios auf das Knie übertragen. Man sollte auch bedenken, dass das Lombard'sche Paradoxon nur bei gleichzeitiger Hüftstreckung wirken kann.

Zu deiner Bemerkung von vorhin, keiner könne eine Aussage zum LP treffen - Bei uns an der Uni wird das LP ganz normal gelehrt. Zum Beispiel im Rahmen der Gang- und Laufanalyse des Menschen oder in den Biomechanikseminaren, dort incl. Berechnungen. In der Medizin ist ein Ausfall der Quadriceps bekannt. Die betroffenen Personen können trotzdem gehen (rate mal womit- richtig, den Ischios), kippen aber beim Zurücklehnen mit Kniebeugung zusammen, weil das LP bei kleinen Knieweinkeln nicht wirken kann. Um auch den Klimmer'schen und sich von der Wissenschaft distanzierenden "Praxiserfahrungen" gerecht zu werden: Wenn du dich hinstellst, kannst du auch sehr gut erfühlen, dass du sowohl mit angespannten als auch mit vollkomnen entspannten Quadriceps stehen kannst. Du siehst es auch an der Kniescheibe, die bei kontrahierten Quadriceps seitlich verrutscht wird.  Beim Sprint ist der Quadriceps sehr schnell nicht mehr aktiv (EMG), es gibt eine beträchtliche Phase des Stützes, bei der die Quadriceps nicht mehr innerviert werden und nur noch die Ischios infrage kommen. Die Quadriceps kontrahieren oft sogar weit unterhalb ihrer maximalen Kraft, womit sie nie das Körpergewicht auffangen könnten. Athleten wie Powell haben eine recht geringe Kraft in den Quadriceps. Z.B. springt Powell im Standweitsprung unter 3m. Das hinderte ihn offenbar nicht daran, Weltrekord zu laufen. Stattdessen trainiert er (und unzählige andere WK-Sprinter) überwiegend die rückseitigen Muskeln.

Verstehst du, was ich mit Ignoranz bzw. Leugnung meine?


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 17.01.2015

(17.01.2015, 17:16)MZPTLK schrieb: Die feinen, aber entscheidenden Unterschiede bestehen nmM darin,
- dass die Ischios in einem SEHR ungünstigen Winkel auf die Tibia wirken und somit nicht nur aufgrund ihrer im Vergleich zum Quadri wesentlich geringeren Energetik wenig Streckeffekt ausüben können. 

1. Die vielen "guten" Praktiker haben eine Menge Operationen produziert; folglich reicht die Praxis allein nicht aus.

2. Die Wissenschaft kann nicht nur begleitend helfen. Sie kann auch in vielen Fällen Sachen recherchieren, die uns Praktikern aus wissenschaftlichem Wissensmangel nicht geläufig sind. In den USA gibt es diese Verquickungen im Hochschulbereich mehr, weil man dort gezwungen ist, als Wissenschaftler in der Leichtathletik z. B. auch Praxisstunden zu geben. Hier gibt es kaum Schnittstellen.

3 Das Ideal liegt sicherlich in der Mitte, dass man beide "Tastaturen" bedient. 

4. Nach langer Zeit ist man erstmalig im DLV-Mainstream darauf gekommen, dass im Sprint etwas nicht richtig läuft. Das ist gut so! Man hat wohl Nachforschungen unternommen.

5. Wenn man nach der Wissenschaftslage unsere Leichtathletik anschaut, dann finden viele Disziplinen vor allem im Kniegelenk in ungünstigen Winkeln statt. Die Ischios wirken zwar in einem ungünstigen Winkel, aber sie verstärken das Problem nicht, sondern sorgen für einen Ausgleich. Das ist der große Unterschied. Das kann man nur aus der Wissenschaft wissen. Das lehrt uns die Praxis nicht!!! 

6. Lasst ichfachma so bleiben, wie er ist! Er will wissen, warum er etwas tut und das finde ich gut so! Thumb_up

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 17.01.2015

(17.01.2015, 16:59)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Macht endlich Schluss mit dieser ..sch.. Diskussion.
Enverstanden. Bis Gertrud und icheinfachma mit ihren Professoren kommen....


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 17.01.2015

(17.01.2015, 17:38)MZPTLK schrieb: Das Eine geht ohne das Andere nicht und alles zusammen ist Wissenschaft.

Solange es um das Endprodukt Training(sgestaltung) geht. Da müssen Praxis und Theorie zusammenspielen. Aber wenn es einfach nur darum geht, herauszufinden, ob ein häufiges Dehnen die Reaktivität herabsetzt, ohne Hintergedanken, das in die Praxis umzusetzen, ist man bei einem Herrn Klimmer siche an der falschen Adresse. Der kann warme Strümpfe emfpehlen und erklären, mit welchen Ansätzen man die Weitsprungtechnik lernt (was ich auch wertschätze, da solche Erfahrungswerte wichtig sind für Sportler), aber nicht zelluläre Zusammenhänge erklären. Praxis kommt ins Spiel, wenn man herausfinden möchte (vorausgesetzt der von mir vermutete Zusammenhang stimmt), wieviel man denn eigentlich Dehnen sollte und was zu viel ist. Das geht dann nur über Probieren und nicht am eigenen Leib, sondern über Jahre an vielen Sportlern.