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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 22.04.2015

Ich hatte die Frage schon früher gestellt und nun wieder:
Hat man in den letzten 20 Jahren verlässliche, nachvollziehbare, aussagekräftige Daten produziert?

Zufrieden kann man mit den alten ja nicht sein, liegt es an verloren gegangenem Interesse?
Liegt es daran, dass man immer noch nicht in der Lage ist, hieb- und stichfeste Daten zu  bekommen?

Ganz besonders wundert es mich, dass es keine Daten von deutschen Sprintern gibt, oder werden die unter Verschluss gehalten?
Was sind die Gründe?
Alles etwas obskur.

Auf Basis der bisher publizierten fragwürdigen Werte halte ich es für noch zu riskant, spezifizierte Schlüsse für die Trainingspraxis abzuleiten.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 22.04.2015

(22.04.2015, 19:57)MZPTLK schrieb: Auf Basis der bisher publizierten fragwürdigen Werte halte ich es für noch zu riskant, spezifizierte Schlüsse für die Trainingspraxis abzuleiten.

Wenn man die Anatomie und die Sprinttechnik von Weltklasseathleten genau studiert hat, kann man sehr viel für das Training ableiten. Nur darin liegt die Crux. Man muss sehr viele Zusammenhänge recherchieren und kennen. Wir hinken in vielem einfach hinterher. Die besten Sprintpublikationen gibt es sicherlich nicht in Deutschland.

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 22.04.2015

(22.04.2015, 21:16)Gertrud schrieb: Wenn man die Anatomie und die Sprinttechnik von Weltklasseathleten genau studiert hat, kann man sehr viel für das Training ableiten.
Grundsätzlich einverstanden, aber man sollte den Hustensaft-Faktor abziehen.
Ohne laufen sie anders.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - La Vicu - 22.04.2015

(22.04.2015, 19:57)MZPTLK schrieb: Ich hatte die Frage schon früher gestellt und nun wieder:
Hat man in den letzten 20 Jahren verlässliche, nachvollziehbare, aussagekräftige Daten produziert?

Zufrieden kann man mit den alten ja nicht sein, liegt es an verloren gegangenem Interesse?
Liegt es daran, dass man immer noch nicht in der Lage ist, hieb- und stichfeste Daten zu  bekommen?

Ganz besonders wundert es mich, dass es keine Daten von deutschen Sprintern gibt, oder werden die unter Verschluss gehalten?
Was sind die Gründe?
Alles etwas obskur.

Auf Basis der bisher publizierten fragwürdigen Werte halte ich es für noch zu riskant, spezifizierte Schlüsse für die Trainingspraxis abzuleiten.

In den wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt es –zig „…verlässliche, nachvollziehbare, aussagekräftige…“ Befunde über spezielle Probleme, nur, man muss sich darum bemühen; denn es gibt kaum jemanden, der diese Befunde dem „Praktiker“ mundgerecht serviert. Darum muss man sich selbst bemühen.
Zum Beispiel in der Datenbank:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed
 
Gibt man hier im Suchfeld die interessierenden Begriffe ein, z.B. „EMG sprint hamstrings“, bekommt man mehr Beiträge, als man verkraften kann. Z.B.:
 
Ono T, Higashihara A, Shinohara J, Hirose N4, Fukubayashi T.: Estimation of tensile force in the hamstring muscles during overground sprinting. Int J Sports Med. 2015 Feb; 36 (2):163-8.
 
Albertus-Kajee Y, Tucker R, Derman W, Lamberts RP, Lambert MI.: Alternative methods of normalising EMG during running. J Electromyogr Kinesiol. 2011 Aug; 21 (4):579-86.
 
Chumanov ES, Heiderscheit BC, Thelen DG.: The effect of speed and influence of individual muscles on hamstring mechanics during the swing phase of sprinting. J Biomech. 2007; 40 (16):3555-62.

Und wenn man mit der Zusammenfassung (abstract) nicht zufrieden ist, kann man sich den „full text article“ beschaffen. Aber das Lesen, Verstehen, In-die-Traningspraxis-integrieren muss man dann schon selbst.
 
Oder auch mal nur bei „Tante Google“ anklopfen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 22.04.2015

Danke, La Vicu. Das scheint ja was zu sein.
Aber könntest Du das nicht in ein paar Sätzen zusammen fassen?
Ich bin sicher nicht der einzige den ganzen Tag mit vollkommen anderen Themen befasste Berufstätige, der andere Prioritäten setzen muss.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - W. Kronhard - 22.04.2015

(22.04.2015, 21:42)La Vicu schrieb: In den wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt es –zig „…verlässliche, nachvollziehbare, aussagekräftige…“ Befunde über spezielle Probleme, nur, man muss sich darum bemühen; denn es gibt kaum jemanden, der diese Befunde dem „Praktiker“ mundgerecht serviert. Darum muss man sich selbst bemühen.
Zum Beispiel in der Datenbank:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed
 
Gibt man hier im Suchfeld die interessierenden Begriffe ein, z.B. „EMG sprint hamstrings“, bekommt man mehr Beiträge, als man verkraften kann.
[...]

Leut, das ist eine sehr umfangreiche Beschäftigungstherapie. Hilft keinen Schritt im Training weiter. Daher uninteressant für mich.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - lor-olli - 23.04.2015

Zitat:Und wenn man mit der Zusammenfassung (abstract) nicht zufrieden ist, kann man sich den „full text article“ beschaffen. Aber das Lesen, Verstehen, In-die-Traningspraxis-integrieren muss man dann schon selbst.
Der Transfer geht noch deutlich darüber hinaus…
Man muss sich im Klaren sein, dass schon die Datengewinnung eine nicht unerhebliche Fehlerquelle darstellt! Das Prinzip der EMG Messung hat sich nicht verändert, die Technik ist nur deutlich weiter entwickelt (Auflösung und Empfindlichkeit), ABER wir müssen immer noch interpolieren, da die Daten in der Gesamtheit eben nicht im Mukel selbst, sondern über die Haut gewonnen wird.

Man kann auch direkt am Muskel messen, (Akkupunkturnadeln etwa sind sehr fein, bei "erfahrenem Stecher" ist der Schmerz kaum spürbar = Eigenerfahrung), diese Messungen dienen dazu ein System einmal zu kalibrieren, bzw. um Fehler bei der kutanen Messung zu ermitteln. Solche Messungen am aktiven System Muskel sind allerdings nur am einzelnen Muskel möglich, sonst haben wir das Problem welches auch die Quantenmechaniker beschäftigt: Messen, ohne die Ergebnisse durch die Messung zu beeinflussen (Schrödingers Katze), wer würde mit einem Bein voller Nadeln schon sprinten, es sei denn auf der Flucht vor DEM Arzt Wink.

Die reinen Zahlenwerte lassen sich, denke ich, doch heute recht gut ermitteln und sie sind mit denen der 80er Jahre durchaus vergleichbar. Allerdings ist die Aufgabe der Interpretation nicht trivial (wer erinnert sich an den Versuch im Physikunterricht mit einem Doppelpendel und der (nicht lösbaren) Berechnung der "chaotischen"  Bewegung… http://de.wikipedia.org/wiki/Doppelpendel)

Klar, das Bein pendelt nicht frei oder chaotisch, aber die Variablen sind auch "einige" mehr, ist das Verstehen schon komplex, wird eine trainingstechnische Umsetzung wieder zum try-and-error-Verfahren. Das ist allerdings weder neu noch schlecht, denn wir lernen nun mal bevorzugt aus Erfahrung, auch wenn uns die Forschungen und Untersuchungen beim Verständnis sehr helfen.

Anmerk.: Lohnt sich doch immer mal wieder ins Forum zu schnuppern, der Artikel von Ono, Higashira et al. war mir unbekannt - ist aber auch recht "druckfrisch" - Dank an La Vicu


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 23.04.2015

(23.04.2015, 08:36)lor-olli schrieb: Man muss sich im Klaren sein, dass schon die Datengewinnung eine nicht unerhebliche Fehlerquelle darstellt!
ABER wir müssen immer noch interpolieren, da die Daten in der Gesamtheit eben nicht im Mukel selbst, sondern über die Haut gewonnen wird.

...wer würde mit einem Bein voller Nadeln schon sprinten, es sei denn auf der Flucht vor DEM Arzt Wink
Wenn man mit Interpolieren verlässliche Daten generieren könnte, wäre viel gewonnen.
Ist aber nicht so, und solange man aus allen beteiligten Muskeln nicht unmittelbar Daten während der vollen action generieren kann,
bleibt die Forschung sehr mit Vorsicht zu geniessen.

Das wäre kein grosses Problem, wenn es um die Optimierung von Antrieben für Mofas oder die Verbesserung von Wirkungsgraden bei Windkraftwerken ginge.

Aber kann es sein, dass wir hier über Menschen reden?


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - lor-olli - 23.04.2015

Um dem eigentlichen Thema des threads gerechter zu werden muss man konstatieren: Der Trainer von heute ist nicht mehr so sehr Generalist, sondern es wird von ihm eine ganze Spezialistenschar in Personalunion erwartet.
-       Er soll sich mit der neuesten Forschung auskennen (wer nur mal “Google“ fragt was alles so zum Thema erscheint, staunt und / oder verliert die Fassung, wie soll man DAS mehr als nur grob sichten),
-       Er soll den “Mediziner geben“ und im Vorfeld mögliche Verletzungen des Athleten erkennen (zugegeben, langjährige Trainer haben hier mehr Erfahrungswerte, aber sind Athleten heute zwangsläufig unmündig in Fragen der eigenen Gesundheit?),
-       Er sollte am besten auch die Ernährung steuern (-10kg, kein junkfood, keine raffinierten Zucker etc.)
-       Er sollte günstiger weise ausgebildeter Psychologe sein (Wenn man V. Sailer über  V. Bauer sprechen hört, passt das Wink)
-       Und selbstverständlich sollte er als Trainer in der Lage sein den Athleten zur Höchstleistung zu treiben, äh trainieren. (“klotzen“ allein bringt es nicht)
-       Das Ganze dann noch mit perfekter sozialer Kompetenz in jeder Krisensituation
-        Und die wohl wichtigste Eigenschaft: er (gern auch sie) muss mit den Verbandsstrukturen perfekt harmonisieren…
 
Leider lässt sich in dieser Kette vom Betroffenen Trainer keine “Auswahl“ treffen und insbesondere der Letzte Punkt stellt das oberste Gebot dar… Ich sehe die Gefahr, dass wenn wir so weitermachen, die “Typen“ aussterben, wir erhalten eine Trainergeneration der Marke “neue Lehrergeneration“ – funktioniert vielleicht für die Masse, aber im Spitzensport sind die Besten nun mal oft eigene Typen (bedeutet aber nicht, dass sie nicht trotzdem kompatibel sind)
 
Trainer sind und müssen Generalisten sein und bleiben – keine “Fitnessberater“, gesundheitliche Miseren alleine ihnen zuzuschreiben ist wenig hilfreich, wenn sogar Mediziner und Forscher nicht einer Meinung sind.
 
Die Frage ist doch: Ist die Verletzungsproblematik in Relation zur Menge der Sport Treibenden heute wirklich so viel größer? Es gibt keine so breite Basis in der Leichtathletik mehr, wo Ausfälle in der Spitze schnell kompensiert werden, weswegen die Einzelfälle stärker ins Gewicht fallen. Obendrein wird in den socialmedia jeder Schnupfen diskutiert, vor 30 Jahren war ein Athlet zwischenzeitlich einfach mal “weg vom Bildschirm“.
 
Weiter muss die Frage lauten, wie wirken sich die veränderten Lebensgewohnheiten insgesamt aus? (viel Sitzen, viel industriell zubereitete Nahrung, erhöhter Stresslevel wegen Reizüberflutung und ständiger Erreichbarkeit, zunehmender Konkurrenzdruck SCHON IN DER JUGEND und ich nehme da die guten zukünftigen Spitzensportler nicht aus!) Die Cortisolwerte (Stress) bei Kindern sind in einigen Fällen Anlass zur Sorge, Ernährung und Konsum bedienen epigenetische Schalter, alles Faktoren die das Verletzungsrisiko erhöhen können.
 
Was hat das mit “Lombard“ zu tun? Recht einfach, dieses Paradoxon relativiert sich in seiner Bedeutung, wenn man die Kette der Fakten betrachtet – nichts desto trotz muss man es ja nicht ignorieren, aber ein ganzes Training danach ausrichten? Wink Die guten Trainer machen vieles aus einer richtigen Intuition heraus, viel Wissen hilft meist, wenn man sich davon weder erdrücken noch irritieren lässt – wir sprinten, egal wie “paradox“ unser Laufapparat zu funktionieren scheint.
 
Bleibt die Frage die seit der Erstellung des threads im Raum schwebt: Was macht man konkret um Lombard genüge zu tun und das Training effektiver und vielleicht auch weniger verletzungsanfällig zu gestalten?

Irgendwelche Revolutionen im Anmarsch?


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - La Vicu - 23.04.2015

(22.04.2015, 22:07)W. Kronhard schrieb:
(22.04.2015, 21:42)La Vicu schrieb: In den wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt es –zig „…verlässliche, nachvollziehbare, aussagekräftige…“ Befunde über spezielle Probleme, nur, man muss sich darum bemühen; denn es gibt kaum jemanden, der diese Befunde dem „Praktiker“ mundgerecht serviert. Darum muss man sich selbst bemühen.
Zum Beispiel in der Datenbank:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed
 
Gibt man hier im Suchfeld die interessierenden Begriffe ein, z.B. „EMG sprint hamstrings“, bekommt man mehr Beiträge, als man verkraften kann.
[...]

Leut, das ist eine sehr umfangreiche Beschäftigungstherapie. Hilft keinen Schritt im Training weiter. Daher uninteressant für mich.

Wenn du neue Erkenntnisse in dein Training einbauen willst, bleibt dir nichts anderes übrig. Glaub nicht, ein anderer würde diese Beschäftigung für dich übernehmen; denn keiner weiß, wonach du suchst - falls du überhaupt suchst.