Leichtathletikforum.com
Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

+- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com)
+-- Forum: Leichtathletikforen (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=1)
+--- Forum: Training im Spiegel der Sportwissenschaft (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=21)
+--- Thema: Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung (/showthread.php?tid=675)



RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 24.04.2015

(24.04.2015, 16:36)Gertrud schrieb: Besser wäre ein Vergleich im vollen Max-Sprint-Bereich. Da ist Usain Bolt vorbildlich. Es ist immer die Frage, von welcher Seite man das "Pferd" aufzäumt: von oben nach unten oder unten nach oben. Die Auswirkungen sind enorm.

Gertrud

Das Video zeigt den gesamten Sprintlauf vom Start bis zum Zieleinlauf.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 24.04.2015

(24.04.2015, 13:33)La Vicu schrieb: Erst einmal hat doch icheinfachma von den „... wichtigsten Kniestrecker(n) im Sprint jenseits des Startabschnittes..." gesprochen. Das relativiert deine Frage schon einmal etwas.

Aber die Frage meinerseits ist, wieso im Zusammenhang mit den Ischios beim Sprint immer nur von der kniestreckenden Funktion dieser Muskeln (bei leicht gebeugtem Kniegelenk und bei „Führung“ des Endes der freien kinematischen Kette) geredet wird? Die Ischios sind beim Sprint die wichtigsten hüftstreckenden Muskeln, aber nur solange Vortrieb zu erzeugen ist. Dass sie dabei gleichzeitig auch kniestreckend wirken (nur bei leicht gebeugtem Knie wohlgemerkt), scheint doch sinnvoll, würden sie doch sonst die Funktion der  Vastus-Gruppe in der Stützphase beeinträchtigen. Sobald der Bodenkontakt am Ende der Stützphase verloren geht, verlieren die Ischios ihren Aktionsauftrag.
Einverstanden.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 24.04.2015

Ich finde es richtig klasse, wie sich die Diskussion jetzt entwickelt.
Grosses Dankeschön an Gertud, Icheinfachma, La Vicu und V.B!


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 24.04.2015

@icheinfachma: Justin Gatlin - Hustensaft hin oder her - ist einfach ein Supersprinter, der etwas andere Akzente setzt.
Ob mehr rauszuholen wäre, wer kann das wissen?
Sicher hat er mit 32 alles Mögliche bereits ausprobiert und das zusammengefügt und optimiert, was ihm am besten tut.
Mir gefällt jedenfalls seine Art zu laufen sehr gut, das hatte ich auch schon woanders beschrieben.

Ich bin sowieso der Meinung, dass man im fortgeschrittenen Sprinteralter nicht mehr soviel ändern kann/sollte.

Beim Werfen kann man noch mit 70 neue Techniken oder Technikmodifizierungen lernen.
Die meisten glauben das leider nicht.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 24.04.2015

Wie könnten wir eine Dominanz des M. biceps femoris caput longum verhindern, also wie könnte Übungsgut aussehen, das die Mm. semimembranosus und semitendinosus stärker beansprucht, sodass das Bein nicht übermäßig außenrotiert wird?

Fest steht: Semitendinosus und Semimembranosus unterstützen die Innenrotation der Tibia und damit des gesamten Beines, Biceps femoris die Außenrotation der Tibia und Caput longum damit auch des gesamten Beines. Im Anhang sind semitendinosus und semimembranosus noch einmal zu sehen. Ich verweise an dieser Stelle auch auf das doccheck flexicon, wo man sich die Animationen auf diesen Seiten mal anschauen kann: http://flexikon.doccheck.com/de/Musculus_biceps_femoris
http://flexikon.doccheck.com/de/Musculus_semimembranosus
http://flexikon.doccheck.com/de/Musculus_semitendinosus

Demnach müsste ein entsprechendes Übungsgut doch mit einer Innenrotation stattfinden, wenn das der einzige Punkt ist, in dem sich die Muskeln unterscheiden? Dazu käme dann noch das von mir skizzierte Dehnen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 24.04.2015

(24.04.2015, 17:18)icheinfachma schrieb:
(24.04.2015, 16:36)Gertrud schrieb: Besser wäre ein Vergleich im vollen Max-Sprint-Bereich. Da ist Usain Bolt vorbildlich. Es ist immer die Frage, von welcher Seite man das "Pferd" aufzäumt: von oben nach unten oder unten nach oben. Die Auswirkungen sind enorm.

Gertrud

Das Video zeigt den gesamten Sprintlauf vom Start bis zum Zieleinlauf.
Entschuldigung, da habe ich geschlafen! Ich habe es wahrscheinlich immer weggeklickt. Wobei ein Bein extremer als das andere in der Außenrotation ist.

Ich habe mir die Bilder noch einmal intensiv angesehen. Man muss schon ganz genau hinsehen und vergleichen. Fraser-Pryce rotiert das gesamte Becken und nimmt dabei die Beine mit, so dass es sich eigentlich um keine echte ausgeprägte Außenrotation handelt. Die Bewegung wird eher aus der Hüfte heraus gestartet. Jeter bewegt Bein und Hüfte simultan. Usain Bolt zeigt ein noch ganz anderes Phänomen. Er bewegt die Hüften oben-vor-unten-hinten-oben, während sich die Beine gerade nach vorne bewegen. Die Hüften bewegen sich wie ein "Schwunghammer". Bei Usain Bolt ist von Pronation nichts zu sehen. Es spricht alles für eine gut ausgebildete nervale Stimulierung und Verbindung der Strukturen.

Gertrud 


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - La Vicu - 24.04.2015

Inzwischen sind heute in den Posts so viele brisante Themen angesprochen worden, dass man kaum noch mitkommt, zu allem, was persönlich interessiert, Stellung zu nehmen. Zuerst einmal zu den Animationen, die icheinfachma anempfiehlt:
 
Diese scheinen für Sprintbelange nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Generell ist in allen drei Animationen das Becken zu weit aufgerichtet dargestellt. Beim aufrechten Stand ist die Ebene, die sich durch die Spina iliaca anterior superior und die Spina iliaca posterior superior bilden lässt gegenüber der Horizontalen um etwa 10° nach vorn geneigt (s. z.B. Debrunner 1988), in den Animationen aber um mindestens 5° nach hinten. Das hat u.a. zur Folge, dass die Ursprungspunkte der Ischios fast schon unter der Hüftgelenksachse zu liegen kommen, statt deutlich dorsal (hinter) der Senkrechten durch die Hüftgelenksachse. Aus diesem Grunde erscheint der Kraftarm der Ischios (senkrechter Abstand der Ischio-Zugrichtung von der Hüftgelenkachse) wesentlich kleiner, als er im aufrechten Stand in Wirklichkeit ist. Hinzu kommt, dass beim Sprint eine gewisse Sprintvorlage das Becken zusätzlich etwas nach vorn kippt und damit den Kraftarm der Ischios zusätzlich vergrößert.
 
Weiterhin ist fragwürdig, dass der Text zu den Animationen die hüftstreckende Funktion der Ischios zwar erwähnt, in den Animationen sich die Hüftgelenke bei einer Kontraktion der Ischios aber beugen, obwohl kein Anlass für eine paradoxe Funktion vorliegt.
 
Beide Monita könnten für einen Zweifler durchaus Anlass sein, die hüftbeugende und damit vortriebsschaffende Funktion der Ischios beim Sprint in Frage zu stellen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.04.2015

Die Ischios arbeiten im Grunde komplett in den front mechanics. Hier kommt es auf das L.P. im Bodenkontakt an, wobei das Becken sich in Vorwärtsneigung befindet, der Kraftarm also vergrößert ist. Die doccheck-Animation zeigt nicht die Phase des L.P.. Anhand von Aufzeichnungen kann ich genau die "Trainingssünden" orten.

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.04.2015

(24.04.2015, 22:17)La Vicu schrieb: Inzwischen sind heute in den Posts so viele brisante Themen angesprochen worden, dass man kaum noch mitkommt, zu allem, was persönlich interessiert, Stellung zu nehmen. Zuerst einmal zu den Animationen, die icheinfachma anempfiehlt:
 
Diese scheinen für Sprintbelange nicht uneingeschränkt empfehlenswert.

Die Animationen waren auch, genau wie die Bildanhänge, zur Orientierung gedacht. Ich weiß, dass es eine Menge Leser gibt, die hier passiv mitlesen, aber nicht immer alles nachvollziehen können. Das war bei mir anfangs auch der Fall. Deswegen werde ich versuchen, Bilder und Verweise einzufügen, was ich früher nicht gemacht habe. In den Animationen konnte man die Muskeln sehr gut dreidimensional aufggearbeitet, aus zwei Richtungen und in Bewegung sehen, das ist den zweidimensionalen Abbildungen überlegen.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - La Vicu - 25.04.2015

(25.04.2015, 06:48)Gertrud schrieb: Die Ischios arbeiten im Grunde komplett in den front mechanics. Hier kommt es auf das L.P. im Bodenkontakt an, wobei das Becken sich in Vorwärtsneigung befindet, der Kraftarm also vergrößert ist.

Gut, dass ich du mir das bestätigst. Um wie viel Grad Vorwärtsneigung gegenüber dem aufrechten Stand handelt es sich ungefähr?

(25.04.2015, 06:48)Gertrud schrieb: Die doccheck-Animation zeigt nicht die Phase des L.P.. Anhand von Aufzeichnungen kann ich genau die "Trainingssünden" orten. 

Das ist mir schon klar. Trotzdem erklärt es nicht, warum hier eine Hüftbeugung unter dem Einfluss der ischiokruralen Muskeln demonstriert wird.