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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.04.2015

(25.04.2015, 08:33)La Vicu schrieb:
(25.04.2015, 06:48)Gertrud schrieb: Die Ischios arbeiten im Grunde komplett in den front mechanics. Hier kommt es auf das L.P. im Bodenkontakt an, wobei das Becken sich in Vorwärtsneigung befindet, der Kraftarm also vergrößert ist.

Gut, dass ich du mir das bestätigst. Um wie viel Grad Vorwärtsneigung gegenüber dem aufrechten Stand handelt es sich ungefähr?

Das scheint individuell unterschiedliche zu sein - wahrscheinlich auch nach anatomischem Bau.

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.04.2015

(24.04.2015, 14:02)icheinfachma schrieb: Ich meinte Stephen Francis. ...Ich glaube schon, dass wir von ihm eine Scheibe abschneiden können.
Zitat:Ich gehe davon aus, dass Spitzensprinter ungedopt und ohne 'LP' um die 10,0 laufen können.
Rechnet man den Hustensaft rein, kommen Zeiten um die 9,8 raus.

Mit 'LP' wären wir bei 9,65-9,70....

Interessant, das erklärt die geringen Leistungsunterschiede zwischen den Sprintern, die ihre Beinbeuger kräftig mittrainieren und denen, die es nicht tun. ...
Geht es vielleicht gar nicht um Hypertrophie, sondern viel mehr um IK? Warum dann eine Quadricepshypertrophie?

Meine Hypothese: Die verkürzten lateralen Anteile erfahren in der Abwärtsbeschleunigung des Beines bis zum Bodenkontakt einen stärkeren Dehnungsreflex, kontrahieren infolgedessen stärker (als die medialen Anteile) und sind dominant, bewirken also die Außenrotation. Demnach wäre ein Dehntraining der lateralen Ischiocrurales-Anteile und evtl. ein Krafttraining für die medialen Anteile zielführend für eine gerade Beinführung.  Weiterhin können wir durch häufige Wiederholung Bewegungen einschleifen. Ständige Korrektur bei Lauf-ABC-Übungen wie Quick Legs und B-Skipping wäre sicher auch gewinnbringend.

Ich bin gespannt auf eurer Wissen zu diesem Thema: Vielleicht können wir meinen Ansatz weiterentwickeln, vielleicht müssen wir ihn aber auch verwerfen.
Da sind wir mittendrin.
Von Francis kann man sich sicherlich was abgucken.

Die Werte mit/ohne 'LP' sind Schätzungen von mir,
wobei ich davon ausgehe, dass alle Spitzensprinter die Ischios mehr oder weniger (gezielt) trainieren.
Man schaue sich die Trainings an, es gibt kaum Sprintübungen, die die Ischios 'umschiffen'(sogar die Kniebeugen nicht Big Grin).

Woran erkennt man (Quadrizeps-)Hypertrophie?
Schwierig, es gibt natürliche Quadri-Bullen und gezüchtete.
Und es gibt sehr schnelle 'dünne' Sprinter(Ottey), die sicher auch an ihren Quadris gearbeitet haben.
Es kommt auf die Qualität und Wirkungsweise an.

Nämlich: Kraft-Lastverhältnis, inter- und innermuskuläre Koordination, Innervationsgeschwindigkeit, Tonusauf- und Abbau just-in-time, Weglassen/Minimieren von kontraproduktiven Bewegungen....
Eine gerade Beinführung wäre nach der Mechanik optimal, nach der Biomechanik nicht unbedingt, weil die Morphologie des individuellen Bewegungsapparates eine erzwungene gerade Beinführung mit Leistungseinbussen 'bestrafen' würde.
Richtig ist aber, dass man nicht erzwingt, aber in die erwünschte Richtung  trainiert.

Du hast einen wichtigen Punkt angesprochen: die über die Jahrtausende und durch die Lebensweise entstandene Verkürzung und Atrophie der Ischios bei vielen Menschen müssen  beim Sprinttraining ins Kalkül gezogen werden.
Darum sehe ich ja auch ein Steigerungspotetial von 1-1/2 Zehntel.

Man muss aber relativieren, eben weil die Ischios so lange 'zurückgeblieben' sind, kann man sie nicht mal eben so schnell tunen, wie es sich manche (Bio-)Mechaniker theoretisch vorstellen.

V.B. hatte ja sehr viel Entwicklungspotential gesehen, aber auch betont, dass man über einen längeren Zeitraum vernünftig dosieren muss.

Dein Ansatz ist richtig, aber ich glaube nicht, dass er so neu ist.
Das Dehnen ist nmM auch und gerade bei einigen Sprintern etwas 'aus der Mode' gekommen, mehr und richtig ausgeführt würde gut tun.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - W. Kronhard - 25.04.2015

(25.04.2015, 08:33)La Vicu schrieb: Das ist mir schon klar. Trotzdem erklärt es nicht, warum hier eine Hüft[b]beugung unter dem Einfluss der ischiokruralen Muskeln demonstriert wird.
[/b]

Wenn ich darf versuche ich Überlegungen als Klärung zu schreiben.

Bitte alle Aussagen immer aus der konkreten Situation zu betrachten. Diese Betrachtung gib auch neue Erkenntnisse fürs Training.

Genau genommen gibt es keine Hüftbeugung mit Hilfe der Ischios. Genau so wenig wie Kniestreckung nur mit Ischios, es sind nur situationsbedingte mitwirkende Erscheinungen (mehr Schein als Sein): Bei "LP" durch Bodenkontakt und anderen Muskelspannungen, und bei der "Ischio-Hüftbeugung" umgekehrt, durch bodenkontaktloses Bein und wenig Spannung anderer Muskeln.
Wie kommt die Kniebewegung nach vorne im zweiten Fall zustande? 
Nur durch die Anziehungskraft der Erde, in der Schwerelosigkeit nicht vorhanden. 
Um das zu verstehen sollte man den Schwerpunkt des Beines (Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß zusammen, ermitteln). dann sieht man dass er hinter dem Hüftgelenk befindlich ischt. Also existiert dann ein normaler Drang durch Gravitation (Rotation durch Gravitation "ggg") dieses Schwerpunktes unter das Hüftgelenk zu fallen. Das sehen wir auch bei der Verkürzung der Ischios in dieser Position. Um die Bewegung zu verhindern miss man spannen den Hintern (Gesäß) Bingo! Punkte?!
Also ist es nur eine Kniebewegung nach vorne in der Beugung, ähnlich wie der Kniezug nach Hinten im Bodenkontakt bei Pseudo-LP.

Manöööö!!!!

Ischt bisschen umständlich, aber hoffentlich verständlich für Verstehende und Verstand entwickelnde. 
Da sind wir wieder beim Thema: Wissen und Verstand. Ich weiss es, hab´s nur nicht verstanden! "GGG"  

PS. Und der Francis kann und muss das auch noch (von mir) lernen. Nur seine Stoffkenntnisse brauche ik net! Es gibt auch Wissen was der Sport nicht braucht!!!!


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - La Vicu - 25.04.2015

(24.04.2015, 14:02)icheinfachma schrieb: -Das Ideal ist ein weder nach innen- noch nach außen rotiertes Bein. Wir haben oft das Fehlerbild der Außenrotation in der Phase zwischen Kniehubposition und Bodenkontaktphase. Vgl. meinen Video-Upload: Fraser mit Außenrotation, Jeter in kribbelgänsehauterzeugender Perfektion. https://vid.me/SYGZ Während der Bodenkontaktphase dreht sich das Bein wieder in die normale Position. Probleme sind eine durch außenrotierten Fußaufsatz begünstigte Überpronation und eine seitliche Belastung des Knies.

Ich schlage folgende Lösung vor:
Wir denken uns eine Dehnübung: Im einbeinigen Stand liegt das nach vorn  angehobene, gestreckte Spielbein auf einem Hocker auf. Durch Vorbeugen dehnen wir unsere Beinbeuger des Spielbeines. Wir stellen fest, dass bei Innenrotation des Beines die lateralen Anteile (biceps fem. cap. longum) und bei Außenrotation die medialen Anteile (semitendinosus, semimembranosus) stärker gedehnt werden. Gleiches gilt übrigens für ein Nachhintenschieben der Spielbeinbeckenhälfte (lateral stärkere Dehnung) oder ein Nachvornschieben derselben (medial stärkere Dehnung).
Bei den Sitzmenschen (Schüler, ...) sind wohl aus irgendeinem Grund die lateralen Anteile verkürzter als die medialen. Meine Hypothese: Die verkürzten lateralen Anteile erfahren in der Abwärtsbeschleunigung des Beines bis zum Bodenkontakt einen stärkeren Dehnungsreflex, kontrahieren infolgedessen stärker (als die medialen Anteile) und sind dominant, bewirken also die Außenrotation. Demnach wäre ein Dehntraining der lateralen Ischiocrurales-Anteile und evtl. ein Krafttraining für die medialen Anteile zielführend für eine gerade Beinführung.  Weiterhin können wir durch häufige Wiederholung Bewegungen einschleifen. Ständige Korrektur bei Lauf-ABC-Übungen wie Quick Legs und B-Skipping wäre sicher auch gewinnbringend.

Im Hinblick auf eine „Muskelverkürzung“ sollte man präzisieren. In der Regel wird der Begriff benutzt, um eine verminderte Dehnfähigkeit zu beschreiben. Diese hat aber mit einer Verkürzung irgend welcher Muskelabschnitte wenig zu tun. Die funktionelle Länge eines Muskels lässt sich nicht durch Dehntests und das dabei auftretende Spannungsgefühl feststellen, sondern muss durch Krafttests (MVCs in unterschiedlichen Dehnungszuständen) diagnostiziert werden.
 
Der Muskeldehnungsreflex ist eine Reaktion des Muskels auf eine unvorhergesehene Verlängerung (Dehnung) des Muskels durch eine äußere Kraft. Bei der Abwärtsbeschleunigung des Beines bis zum Bodenkontakt handelt es sich jedoch um eine Willkürkontraktion der beteiligten Muskeln. Diese werden seitens der Koordinationszentren im Hirn durch eine Vorausinnervation (Gamma-Innervation) auf die für die Aktion notwendigen Längen- bzw. Dehnungszustände vorbereitet. Dabei berücksichtigen diese Koordinationszentren die jeweiligen Dehnungs- und Längenzustände der Muskeln, so dass die Muskeln (insbesondere bei Aktionen in einem konstanten Umfeld wie beim Sprint) nicht auf unvorhergesehene Störgrößen durch Dehnungsreflexe antworten müssen. D.h., die Koordinationszentren „wissen“ durch vorherige Aktionen um die morphologischen Zustände der Muskeln, so dass die von den Zentren losgeschickten Kontraktionsbefehle daraufhin angepasst sind.
 
Ein regelmäßig angewendetes Dehntraining verbessert die Muskeldehnfähigkeit durch Anpassungen seitens der gedehnten Person an die Dehnungsspannungsempfindung. In bisherigen umfangreichen Studien zur Wirkung des Dehntrainings konnte keine Beseitigung von „Muskelverkürzungen“ oder ein langfristiges überdauerndes Absenken der passiven Muskelspannung nachgewiesen werden.
 
Vermutlich sind die unbeabsichtigten Längsachsenrotationen von Ober- und Unterschenkel und Ab- und Adduktionen beim Sprint durch abweichende Gelenkachsen und/oder Besonderheiten der angeborenen Bewegungsprogramme verursacht. Aber das sind –wie gesagt – reine Hypothesen, auf die man keine Trainingsmaßnahmen stützen sollte.
 


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.04.2015

(25.04.2015, 11:03)W. Kronhard schrieb: Um das zu verstehen sollte man den Schwerpunkt des Beines (Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß zusammen, ermitteln). dann sieht man dass er hinter dem Hüftgelenk befindlich ischt. Also existiert dann ein normaler Drang durch Gravitation (Rotation durch Gravitation "ggg") dieses Schwerpunktes unter das Hüftgelenk zu fallen. Das sehen wir auch bei der Verkürzung der Ischios in dieser Position. Um die Bewegung zu verhindern miss man spannen den Hintern (Gesäß) Bingo! Punkte?!
Also ist es nur eine Kniebewegung nach vorne in der Beugung, ähnlich wie der Kniezug nach Hinten im Bodenkontakt bei Pseudo-LP.

das scheint das größte Problem beim deutschen Sprint zu sein.

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - La Vicu - 25.04.2015

(25.04.2015, 11:03)W. Kronhard schrieb: Wie kommt die Kniebewegung nach vorne im zweiten Fall zustande? 
Nur durch die Anziehungskraft der Erde, in der Schwerelosigkeit nicht vorhanden. 

… aber nur, wenn im gleichen Augenblickh die Ischios ihre Kontraktion einstellen. Dann würde aber auch der Unterschenkel wieder „herunterfallen“ – wenn nicht andere Muskeln, etwa der kurze Bizepskopf, helfen.
 
Es ist richtig, bei allen Beurteilungen der Wirkungsweise von Muskelkontraktionen stets die vorherrschende äußere mechanische Situation (Schwerkraft, Trägheitskraft, Stützreaktion …) mit zu berücksichtigen.
Geht man nur von der Gliederkette Becken, Oberschenkel, Unterschenkel + Fuß aus und nimmt an, dass der Fuß keinen Bodenkontakt hat, wirken bei einer Kontraktion der ischiokruralen Muskeln auf die beiden Muskelansatzstellen (Sitzbeinhöcker einerseits, Wadenbeinköpfchen + innerer oberer Schienbeinknorren andererseits) gleich starke Kräfte, aber mit entgegengesetzter Wirkungsrichtung (Die Wirkung des kurzen Bizepskopfes soll in der folgenden Betrachtung nicht mitberücksichtigt werden). Die drehende Wirkung (= Drehmoment) auf Hüft- bzw. Kniegelenk wird jeweils bestimmt durch den jeweiligen Kraftarm, der in der Ausgangsstellung bei hängendem Bein im Hüftgelenk mehr als doppelt so groß ist wie im Kniegelenk. Also ist aus das Drehmoment der ischiokruralen Muskeln zu Beginn der Bewegung im Hüftgelenk mehr als doppelt so hoch (im Sinne einer Hüftstreckung) wie im Kniegelenk (im Sinne einer Kniebeugung). Die Schwerkraftmomente des Unterschenkels auf Kniegelenk und Hüftgelenk sind zu Beginn der Aktion gleich groß. Somit müsste sich zu Beginn der Aktion auf Grund des größeren Hüftgelenkmomentes der ischiokruralen Muskeln zuerst eine Hüftstreckung bemerkbar machen, noch bevor sich das Drehmoment der IM im Kniegelenk gegen das Schwerkraftmoment im Kniegelenk durchsetzt und das Kniegelenk zu beugen beginnt. Mit fortschreitender Kontraktion vergrößert sich das Schwerkraftmoment im Kniegelenk durch den Transport der Unterschenkelmasse nach dorsal, bis sich der Unterschenkel in der Waagerechten befindet. Gleichzeitig vergrößert sich durch die Drehbewegung des Unterschenkels der Kraftarm der IM im Kniegelenk und damit auch das Drehmoment der IM im Kniegelenk. Ab der Waagerechten verkleinern sich sowohl das Scherkraftmoment und IM-Kraftmoment im Kniegelenk. Erst unter der Bedingung, dass im Laufe des Kniebeugens beim Überwinden des Schwerkraftmomentes des Unterschenkels das Muskelkraftmoment im Kniegelenk größer werden sollte als das Muskelkraftmoment im Hüftgelenk, dürfte sich eine Hüftbeugebewegung ergeben.
 
Ich jedenfalls kann im aufrechten einbeinigen Stand den Unterschenkel bis über die Waagerechte nach hinten beugen, ohne dass das Knie sich nach vorn bewegt und ohne dass sich die geringste Anspannung im Gesäßmuskel ertasten lässt – ein Hoch auf die Ischios, die auch ohne Hilfe anderer Muskeln das Knie beugen und die Hüfte strecken können,.--- Ein Loblied auf die Ischios!


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - W. Kronhard - 25.04.2015

(25.04.2015, 14:39)La Vicu   schrieb: Ich jedenfalls kann im aufrechten einbeinigen Stand den Unterschenkel bis über die Waagerechte nach hinten beugen, ohne dass das Knie sich nach vorn bewegt und ohne dass sich die geringste Anspannung im Gesäßmuskel ertasten lässt – ein Hoch auf die Ischios, die auch ohne Hilfe anderer Muskeln das Knie beugen und die Hüfte strecken können,.--- Ein Loblied auf die Ischios!

Einerseits! 
Anderseits wird das Gehirn sagen: Teufelszeug!
Warum sorum? 
Weil bei der Ausschaltung (Lahmlegung des Quadriceps, tsss) fällt man wie Frau auf die, hübsche oder auch nicht, Schnauze. 
Also ziehen die Ischios das Knie zurück mit gleichzeitig angespannten Antagonisten der Oberschnkenvorderseite (Qu....). Oh je!
Also um nach vorne zu kommen muss die Hintere-Seite sich verkürzen und die Vordere GLEICHZEITIG UNTER SPANNUNG NACHGEBEN. Genau diese Gehirnarbeit ist auch das größte Problem im Sprint, also TEUFELSZEUG. Und für die Ischios auch.

Nun würde ich von Euch Schlaumeiers Vorschläge der Übungen gerne lesen, die das Vorgehen, egal im Sprint oder woanders, vernünftig üben.
Juhuuuu, dann hat es hier alles auch einen Sinn für Amateurtrainer, die keine Zeit zur Eigenforschung haben, gefunden!Fahne AngryAngelTongueThumb_up


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.04.2015

(25.04.2015, 11:05)La Vicu schrieb: Im Hinblick auf eine „Muskelverkürzung“ sollte man präzisieren. In der Regel wird der Begriff benutzt, um eine verminderte Dehnfähigkeit zu beschreiben. Diese hat aber mit einer Verkürzung irgend welcher Muskelabschnitte wenig zu tun. Die funktionelle Länge eines Muskels lässt sich nicht durch Dehntests und das dabei auftretende Spannungsgefühl feststellen, sondern muss durch Krafttests (MVCs in unterschiedlichen Dehnungszuständen) diagnostiziert werden.
 
Der Muskeldehnungsreflex ist eine Reaktion des Muskels auf eine unvorhergesehene Verlängerung (Dehnung) des Muskels durch eine äußere Kraft. Bei der Abwärtsbeschleunigung des Beines bis zum Bodenkontakt handelt es sich jedoch um eine Willkürkontraktion der beteiligten Muskeln. Diese werden seitens der Koordinationszentren im Hirn durch eine Vorausinnervation (Gamma-Innervation) auf die für die Aktion notwendigen Längen- bzw. Dehnungszustände vorbereitet. Dabei berücksichtigen diese Koordinationszentren die jeweiligen Dehnungs- und Längenzustände der Muskeln, so dass die Muskeln (insbesondere bei Aktionen in einem konstanten Umfeld wie beim Sprint) nicht auf unvorhergesehene Störgrößen durch Dehnungsreflexe antworten müssen. D.h., die Koordinationszentren „wissen“ durch vorherige Aktionen um die morphologischen Zustände der Muskeln, so dass die von den Zentren losgeschickten Kontraktionsbefehle daraufhin angepasst sind.
 
Ein regelmäßig angewendetes Dehntraining verbessert die Muskeldehnfähigkeit durch Anpassungen seitens der gedehnten Person an die Dehnungsspannungsempfindung. In bisherigen umfangreichen Studien zur Wirkung des Dehntrainings konnte keine Beseitigung von „Muskelverkürzungen“ oder ein langfristiges überdauerndes Absenken der passiven Muskelspannung nachgewiesen werden.

Mir ist der Unterschied zwischen der funktionellen Muskellänge und der Dehnbarkeit durchaus bewusst, zu dem Thema habe ich mich schon vor längerer Zeit auführlich belesen. Auch was ein Dehnungsreflex ist, brauchst du mir nicht erklären.

Du schreibst, dass in der Abwärtsbeschleunigung kein Dehnungsreflex wirkt. Das ist falsch. Es findet durch das gleichzeitige Nacht-unten-beschleunigen des Oberschenkels und das trägheitsbedingte Auspendeln des Unterschenkels eine schnelle Vergrößerung des Kniewinkels statt. Dadurch wirkt ein Dehnungsreiz auf die ischiocruralen Muskeln. Die bremsen das Auspendeln ab, bevor eine völlige Kniestreckung bis zum Gelenkanschlag erreicht wird.

Vgl.:
-THE DYNAMIC LOAD ON HAMSTRING MUSCLES DURING SPRINTING, Yu Liu et al., ohne Jahresangabe (aber nach 2009)
-EMGs aus Relative activity of hip and knee extensors in sprinting - implications for training, Wiemann et al., 1995

Anschließend wird der Kniewinkel bis zum Erreichen des Bodenkontaktes sogar wieder verkleinert. Der Dehnungsreflex hat auch den Effekt, dass das Bein anschließend mit großer Kraft unter dem Körper durchgezogen wird.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.04.2015

(25.04.2015, 17:05)W. Kronhard schrieb: Weil bei der Ausschaltung (...) Quadriceps (...) fällt man (...) auf die (...) Schnauze. 
Also ziehen die Ischios das Knie zurück mit gleichzeitig angespannten Antagonisten der Oberschnkenvorderseite (...).
Also um nach vorne zu kommen muss die Hintere-Seite sich verkürzen und die Vordere GLEICHZEITIG UNTER SPANNUNG NACHGEBEN.

Das stimmt nicht. Man kann auch bei gelähmtem Quadrizeps gehen und stehen. (Orthopädie, Bernhard Heimkes, Georg-Thieme-Verlag, 2003, S. 58)


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.04.2015

(25.04.2015, 21:37)icheinfachma schrieb: Anschließend wird der Kniewinkel bis zum Erreichen des Bodenkontaktes sogar wieder verkleinert. Der Dehnungsreflex hat auch den Effekt, dass das Bein anschließend mit großer Kraft unter dem Körper durchgezogen wird.
Kannst Du genauer angeben, wie gross die Kraft ist?
Was bedeutet genau 'unter dem Körper durchziehen'?
Der Dehnungsreflex kann doch wohl in der Kontaktphase nicht mehr von kriegswichtiger Bedeutung sein,
weil er bis dahin abgeklungen ist und die exzentrische Wirkung des Schwunges vergleichsweise gering
sein dürfte. Huh