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Lombardsches Paradoxon - theoretische Erörterung - Druckversion

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RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 23.11.2014

(23.11.2014, 23:12)icheinfachma schrieb: Vor allem kann man auch die Maximal- und Schnellkraft der Rumpfmuskeln trainieren, was mit den Kraftausdauerübungen, die sonst angewandt werden, kaum passiert. Ein Sprinter, Springer oder Werfer braucht aber Rumpfmuskeln, die schnelle und heftige Stöße und Verdrehungen auffangen können

Calisthenics-Athleten haben nach ein paar Jahren alle ein außergewöhnliche Maximalkraft in den Muskelgruppen des Oberkörpers, die man mit einem Hantel- und Maschinentrainining auch nicht besser bekommen könnte. (siehe Interview unten)
Bitte nicht böse sein, aber:
Als Grundlagen- und/oder Ergänzungstraining sicher gut, aber was ist bitte neu daran? Ich denke, nur der Name, es lässt sich besser vermarkten.

Bitte keine heftigen(!) Stösse und Ver(!!)drehungen!
Und wenn schon, dann mehr auf actio-Qualitäten achten.

Aussergewöhnliche Maximalkraft mag ja für Normal-Sterbliche zutreffen, aber wir reden hier doch wohl über den(Hoch-)Leistungsbereich, und da kann ich Dir zumindest für den Bereich Wurf garantieren, dass man mit Fremdbelastung noch eine gewaltige Schippe drauftut.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 23.11.2014

(23.11.2014, 23:19)Gertrud schrieb: Ich kann nicht! Wer das sagt, setzt sich selbst Grenzen. Denk an die Hummel! Die Hummel hat 0,7m² Flugfläche bei 12g Gewicht. Nach den Gesetzen der Aerodynamik ist es unmöglich, bei diesem Verhältnis zu fliegen. Die Hummel weiß das aber nicht und fliegt einfach!!! (Habe ich mir mal irgendwo notiert) Wäre es nicht herrlich, wenn es uns in der LA auch so ginge? Wink
Das Beispiel darf man nicht ernst nehmen, denn es unterschlägt die hohe Schlagfrequenz und die effektive Führung der Flügel.
Aber egal, ich bin skeptisch, was in der Leichtathletik los wäre, wenn wiir - um im Bild zu bleiben - im Blindflug loslegen würden.
Ikarus-Absturz?


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 23.11.2014

(23.11.2014, 23:30)MZPTLK schrieb: Bitte nicht böse sein, aber:
Als Grundlagen- und/oder Ergänzungstraining sicher gut, aber was ist bitte neu daran? Ich denke, nur der Name, es lässt sich besser vermarkten.

Es ist in den vergangenen Jahrzehnten eine etablierte Sportart geworden, die überwiegend in einer Straßenkultur ausgeübt wird. Neu daran ist, dass kein Leichtathlet solche Übungen absolviert. Gerade den Sportlern, die keinen Kraftraum haben, sowie den Übungsleitern, die im Winter keine tartanierte Laufhalle, sondern eine stinknormale Turnhalle haben, kann das nützen. Dass Turnen gerade im Wintertraining der Werfer, Mehrkämpfer und  Stabhochspringer gang und gäbe ist, ist mir nicht neu, aber aber außer den Stabhochspringern werden wohl die wenigsten Leichtathleten ihr Oberkörperkrafttraining (!) auf diese Weise abdecken (va. Sprinter und Springer nicht).

Zitat:Bitte keine heftigen(!) Stösse und Ver(!!)drehungen!
Und wenn schon, dann mehr auf actio-Qualitäten achten.

Bei jeder Landung wirkt das Vielfache des Körpergewichtes auf den Sprinter. Um den Oberkörper zu stabilisieren, ist Kraftausdauer fehl am Platz. Gerade ein Dreispringer sackt sichtbar im Rumpf ein, da ließe sich sicher noch daran arbeiten. Wenn das keine Stoßbelastungen sind, was ist es dann? Ich habe übrigens auch geschrieben, dass Stöße und Verdrehungen durch die Rumpfmuskeln abgefangen, nicht erzeugt werden müssen. Schaue man sich einmal die Arbeit der unteren Rückenmusklen und seitlichen Bauchmuskeln beim Kugelstoß an, wenn sich der Rumpf mit einer Drehbewegung aufrichtet. Da müssen die Rumpfmuskeln stabilisieren, dass sich Hüfte und Schulterachse nicht gegeneinander verwringen. Und das braucht Maximal- und Schnellkraft.

Zitat:Aussergewöhnliche Maximalkraft mag ja für Normal-Sterbliche zutreffen, aber wir reden hier doch wohl über den(Hoch-)Leistungsbereich, und da kann ich Dir zumindest für den Bereich Wurf garantieren, dass man mit Fremdbelastung noch eine gewaltige Schippe drauftut.
Zum einen sind in diesem Forum ein paar wenige Normalsterbliche aktiv und in der Amateurleichathletik auch und zum anderen kann man mit bestimmten Übungen im Einwiederholungsbereich trainieren. Ob man an irgendeiner Stange oder an einer Hantel hängt, 1Wdh. bleibt 1Wdh.. Das im Wurfbereich noch andere spezifische Übungen dazugehören, habe ich erwähnt. Bei einem Sprinter und Springer ist das aber nicht schlimm (welcher Sprinter macht sich die Mühe und entwickelt sprintspezifisches Armübungsgut? Das machen die meisten noch nicht mal für die Beine.) Die Alternativen Bankdrücken und Standumsetzen klingen jedenfalls nicht nach Athletik und funktioneller Kraft (und das im Maximalkraftbereich).

Man kann seine Maximalkraft via IK in den Beinen durch Sprung- und Sprintbelastungen nahezu ausreizen. Das gilt für die plyometrischen Arm- und Rumpfaktivitäten im Turnen und Calisthenics auch.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 24.11.2014

@icheinfachma:
Sehr gut argumentiert, jetzt wird auch vieles klarer.
Inhaltlich liegen wir dicht beieinander.

Ich bin 'old school', das heisst, ich bin als Kind noch auf Bäume geklettert, bin auf wilden Ponys und Ziegenböcken geritten, habe (illegal natürlich) unterirdische Gänge und 4m hohe Natursteinburgen gebaut, habe im Winter auf dünnem Eis Hockey gespielt, um prompt einzubrechen und völlig durchnässt 5 km nach Hause zu tigern, usw.

Von daher sind mir alle möglichen und unmöglichen Bewegungen in der Natur bekannt, und ich finde es sehr gut, dass man sowas wiederbelebt, auch wenn teilweise zuviel Booaahey drum gemacht wird.

Dass Du die Armarbeit beim Sprint für ausbaufähig hältst, finde ich gut.
Dazu gehört auch die Rumpfkräftigung, wofür Calisthenics sich sehr gut eignen.
Aber die Leistungs-Werfer brauchen eben noch mehr Power in dem Bereich.

Dass die Reaktivfähigkeiten unbedingt (hoch-)entwickelt werden sollten, ist klar,
aber ich wollte darauf hinweisen, dass zur Amortisationsphase unbedingt die Aktiv-Antizipation gehört. Sonst kommt man für einen Bruchteil einer Sekunde zu spät.
Bob Beamon lacht mich jetzt aus, aber das war ein Naturwunder.

Ansonsten: Grosses Kompliment, mach weiter so!


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 24.11.2014

(23.11.2014, 17:14)MZPTLK schrieb: Es kommt nix, weder von den Professoren noch von den Protagonisten im Forum.
Ich glaube, ich muss doch mal Kurzurlaub machen und den Fall klären.
Melde mich ab auf eine einsame Waldhütte(ohne Keller).

Die Sprintmaschinen von Valerij Bauer gehen in etwa in diese Richtung. Es gab oder gibt auch eine Telekosgeschichte mit viel Gestänge, die mal vor einigen Jahren in Leichtathletiktraining abgebildet war, die auch in etwa dieses Bewegungsmuster beinhaltet. Es gibt einiges, dass man mit viel Fantasie gebrauchen kann. Man kann auch selbst Übungen basteln. 

Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 24.11.2014

(24.11.2014, 20:07)Gertrud schrieb:
(23.11.2014, 17:14)MZPTLK schrieb: Es kommt nix, weder von den Professoren noch von den Protagonisten im Forum.
Ich glaube, ich muss doch mal Kurzurlaub machen und den Fall klären.
Melde mich ab auf eine einsame Waldhütte(ohne Keller).
Die Sprintmaschinen von Valerij Bauer gehen in etwa in diese Richtung. Es gab oder gibt auch eine Telekosgeschichte mit viel Gestänge, die mal vor einigen Jahren in Leichtathletiktraining abgebildet war, die auch in etwa dieses Bewegungsmuster beinhaltet. Es gibt einiges, dass man mit viel Fantasie gebrauchen kann. Man kann auch selbst Übungen basteln.
Neues aus der Waldhütte:
Der Schornstein raucht.
Aber das ist nicht der Ofen, sondern meine Birne. Big Grin


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Diskusmann - 25.11.2014

Im Folgenden veröffentliche ich hier ohne Kommentar die Meinung von "Wlad" zu diesem Thema. Er hat mich autorisiert, diesen Text hier einzustellen, ohne selbst in die Diskussion eingreifen zu wollen. Ich will seine Sicht auf die Dinge in diesem Fall aber niemandem vorenthalten, weil ich einige Überlegungen ganz interessant finde.

"Lombardsches Paradoxon ist ein völliger Quatsch. Wieder eine Spinnerei eines Wissenschaftlers. Es gibt einfaches Grundwissen: Ein Muskel, der hinter einem Gelenk den Ursprung und Ansatz hat, kann niemals das Gelenk alleine strecken. Und das haben die zweigelenkige Ischiocrurale Muskeln. Was solche Muskeln aber tatsächlich können, ist, bei der Streckung stabilisierend mitzuwirken. Was aber die Funktion des Streckens neuronal sehr erschwert. Denn, die Antagonisten, die in diesem Fall eine Aufgabe erledigen, sehr gut koordinativ mitarbeiten müssen. Das ist für das Gehirn äusserst schwer.
Es gibt wenige Übungen die das Üben. Die besten sind nicht bekannt. Die von V. Bauer ist nicht die Beste, weil ohne Druck ins Bein, im Sprint haben wir aber Druck, sogar enormen manchmal. Besonders im Dreisprung."


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - Gertrud - 25.11.2014

1.    Professor Wiemann hat die mathematische Berechnung dazu geliefert.
 http://www.biowiss-sport.de/paradox.PDF
Das würde ich nicht einfach als Quatsch abtun. Entscheidend scheint wohl die "Führung", das Widerlager, zu sein.
 
2.    Einen Satz bei Prof. Wiemann finde ich allerdings als sehr bemerkenswert. „Da die paradoxe Wirkung der ischiocruralen Muskeln mit größeren Winkeln steigt, sollte die Stützphase mit relativ gestreckten Kniegelenken realisiert werden." Folglich trainiert man doch mit der Tiefkniebeuge an der Wirksamkeit im Sprint in der Ansteuerung der ausschlaggebenden Muskulatur vorbei.
 
3.    Die ischiocrurale Muskulatur unterliegt einem Sonderfall, da sie weit weg vom Hüftgelenk ihre Ursprünge hat und somit nicht direkt hinter dem Oberschenkelknochen liegt. Zudem setzen die drei Muskeln sehr unterschiedlich an Schien- und Wadenbein an. Der semitendinosus-Ansatz geht weit nach vorne zum pes anserinus superficialis und wird teilweise umgelenkt, was Prof. Wiemann als Schwachpunkt in den mathematischen Berechnungen sieht, da dort immer vektoriell verfahren wird.
 
4.    Erst einmal habe ich geschrieben, dass Bauers Geräte in diese Richtung gehen. Ich habe die beiden Geräte akribisch mit den Sprintphasen verglichen. Ich selbst würde auch modifizieren. Wenn man innovativ ist, kann man diese Phasen schon nachstellen. Bei akribischer Suche findet man vielleicht oder sicherlich die richtige Gerätelösung.Wink

5. Außerdem gibt es eindeutige EMG-Beweise, dass die ischiocrurale Muskulatur gerade in den frontside mechanics in der Abwärtsbewegung und im Stütz ausschlägt. Hier handelt es sich eindeutig nicht um eine Beugebewegung!!! Es entsteht sogar ein exzentrischer Moment gegen die Schwerkraft.

Trotzdem schöne Grüße nach Hamburg!
 
Gertrud


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - MZPTLK - 25.11.2014

Wlad:  Ein Muskel, der hinter einem Gelenk den Ursprung und Ansatz hat, kann niemals das Gelenk alleine strecken. Und das haben die zweigelenkige Ischiocrurale Muskeln. Was solche Muskeln aber tatsächlich können, ist, bei der Streckung stabilisierend mitzuwirken.

Exakt. Wie ich mir schon einen Wolf schrob: autonom geht es anatomisch nicht, sondern nur im Muskel-Verbund.


RE: Lombardsches Paradoxon und Konsequenzen fürs Training - icheinfachma - 25.11.2014

Dann müsste man sich aber kritisch fragen: Wenn die ischiocruralen Muskeln nur die Beinstreckung unterstützend wirken, welche Muskeln leisten dann die Hauptarbeit? Die Mm. vasti sind bereits während der Landung inaktiv, wie sich elektromyographisch nachweisen lässt.