Zum Abschied eine Reminiszenz...
„Mein größter Erfolg? Die vielen Niederlagen zu verkraften.“
Eine erzählte Bilanz
Das mit der Hochspringerei begann 1959 in Ruta, einem unbedeutenden Durchfahrtsort der Via Aurelia, zwischen La Spezia und Genua. Im Internat „Mare e Monti“ hoch über dem ligurischen Badeort Camogli war im Morgennebel beim Frühsport ein Hochsprungwettkampf anberaumt, und es siegte der erst 12 Jahre alte Thomas mit überlegenen 1m28 - im lupenreinen Western Roll. Landung auf den Füßen in einer Sandgrube, wie es damals nicht anders vorzustellen war. So wurde der kecke Blondschopf aus Germania endlich dafür rehabilitiert, dass er beim Fußball nur zum Torwart taugte – was ihm allerdings auch viele Sympathien einbrachte, denn wer kicken kann, der empfindet den Posten zwischen den Pfosten als Degradierung. Thomas konnte springen und vor allem fangen (Völkerball-Erfahrung!) und so nahm er manch anderem die Schmach der Verbannung ins Gehäuse ab. Was er nicht ahnen konnte: Es sollte sein Schicksal werden – das Hochspringen. Mit 14 sprang er in Ascona, seiner neuen Tessiner Heimat, 1m40 hoch. Und als er im Februar 1966 in der Sporthalle Berlin-Schöneberg mit 1m85 zum ersten Mal seine Körpergröße von 1m84 übersprang war er schon 19 Jahre alt. Aber er hatte inzwischen erfahren, dass der berühmte Valerie Brumel, damals Weltrekordler mit 2m28 und Olympiasieger von Tokio, mit 14 Jahren auch nur 1m40 geschafft hatte. Und so rechnete Thomas Z. sich aus: Wenn ich jedes Jahr 10cm höher komme, bin ich 1968 bei 2m10 angelangt und für die Olympischen Spielen in Mexiko City startberechtigt. Und so ähnlich ist es dann ja auch gekommen. Mit 15 Jahren sprang er 1m50, mit 16j 1m65, mit 17j 1m73 (Schülerrekord für Paris und Isle de France) und mit 18j 1m80.
Der Olympiatraum war im Kino gekeimt. Im „Cinema Otello“ von Ascona (wo Thomas am „Collegio Papio“ - einem von Benediktinern geleiteten Gymnasium - drei Jahre Schüler war) lief der offizielle Film der Spiele von Rom mit einer ausführlichen Reportage vom 10-Kampf-Duell zwischen dem farbigen US-Amerikaner Raffer Johnson und seinem chinesischen Kommilitonen aus Formosa („National-China“, heute Taiwan) Michael Young. Hier stand allerdings nicht nur die bewundernswerte sportliche Leistung der Athleten im Blick, sondern trat auch der Olympische Geist von Friede, Fairness, Freundschaft, Rassengleichheit und Völkerverständigung zutage. Ähnlich wie schon zwischen den Weitspringern Lutz Long und Jesse Owens in Berlin 1936. Aber davon wusste Thomas damals noch nichts. Er war nur zutiefst berührt von diesen humanistischen Werten. Und das machte ihn zum Olympianer - auch wenn er es nie geschafft hätte, einmal dabeizusein. Dabeisein – ja. Mehr wollte er gar nicht. Kein Star sein, wie sein Vater, der berühmte, beliebte Geiger Helmut und dessen Kollegen, die er Onkel und Tante nannte. Sein eigenes Bühnentalent reichte anscheinend nicht dafür aus, es ihnen gleichzutun. Und so wurde der Sport für Thomas zur Schwimmweste, ja zum Rettungsboot seiner Lebenskreuzfahrt. Und die Hochsprunganlage zu seiner Bühne. Von seinem Sprung über 1m85 war in der Zeitung zu lesen. Das empfand er als aufregende Genugtuung für die Verbannung aus der Glamourwelt seines Vaters, für die Degradierung zum normalen Abc-Schützen und Pennäler. Und gleich in Kontakt und in einem Artikel genannt mit der Spitzenklasse, denn Sieger des Wettkampfes war mit neuem Deutschen Hallenrekord von 2m12 Ingomar Sieghart, sein späterer Mentor und Olympiakollege. Im selben Jahr ging es noch auf 1m95 und zum 15. Platz in der Deutschen Jahres-Bestenliste, Als Junioren-Vizemeister, wurde er gleich für einen Länderkampf nominiert. Seine Sporttasche mit den Spezialschuhen landete aber im falschen Flugzeug, und so kam er nicht zum Einsatz. Dafür aber wurde er zu den DLV-Lehrgängen bei Bundestrainer Werner Bähr eingeladen. Sein Talent war unverkennbar und so fand er direkt Aufnahme in den B-Kader. Und hier erst lernte er, wie man den Straddle richtig springt.
Auch wenn im nächsten Jahr mehrfach 2m (BL 2m02) zu Buche standen, war die Entwicklung doch enttäuschend. Mehrmals musste er sich bei gleicher Höhe (2m oder 2m01) mit dem 2. Platz begnügen. Und bei den DM in Stuttgart reichten seine 2m nur zum sechsten Platz. Ein Jahr darauf wurde die Olympianorm von 2m09 vom DLV auf 2mal 2m12 angehoben. Was Thomas an Selbstvertrauen fehlte, das vermittelten ihm die Kollegen wie Ralph Drecoll (6. in Tokyo 1964) Wolfgang Schillkowski, Gunther Spielvogel und inzwischen Freund und Förderer Ingomar Sieghart – die Rekordspringer der mittleren Sechziger Jahre. Dass der Neuling aus Berlin einen von ihnen aus der Olympiamannschaft verdrängen könnte, haben sie aus wahrer Fairness in Kauf genommen. Oder aus gefestigtem Selbstvertrauen. Es kam insofern anders, als Verletzungen ihr Schicksal besiegelten.
Beim ersten Lehrgang im Januar 1967 sprang Thomas zum ersten Mal 2m und im Januar 1968 zum ersten Mal in seinem Leben 2m10. Und das gleich zweimal hintereinander. Das Tor nach Olympia war aufgestoßen. Doch es folgten schwache Ergebnisse. Bei den Hallen-DM nur 2m03, Wochen später 2m04, und nach 2m08 beim Ostersportfest im Münchner Dantestadion blieb der Durchbruch lange aus. Im späten Mai warf ihn Pfeifersches Drüsenfieber zurück. Dann doch 2m09 im Berliner Mommsenstadion, erstmals auf einem improvisierten Kunststoffboden. Den US-Meister im Vergleichskampf Berlin vs. University of Utah besiegt. Und dann kam die Nacht im Stuttgarter Neckarstadion: 15.000 Zuschauer, Leichtathletik-Stars aus aller Herren Länder, Weltklasse Leistungen im Habstundentakt, und mitten drin der Hochsprung. 2m im ersten Versuch gerissen. Dann die erste Sternstunde im Hochspringerleben des ThZ: 2m04, 2m07 und 2m10 im ersten Versuch. Locker, haushoch. Bestleistung, zum zweiten Mal die IOC-Norm erfüllt. Vielleicht komm ich damit ja doch schon in die Olympiamannschaft. Gänsehaut. Nieselregen, intensives Warmlaufen auf der Gegengeraden. Das Publikum schien zu ahnen was kommen würde: 2m12 im ersten Versuch. Zugerufene Ermunterungen von den Rängen. Und wie in Trance 2m14! Mit etwas mehr Konzentration und Können wäre sogar der neue Deutsche Rekord von 2m17 liegengeblieben. In einem WK dreimal Bestleistung und 2x Olympianorm. Das müsste doch reichen.
Es kam aber gar nicht erst zum Härtefall, denn knapp drei Wochen später wurde Thomas mit 2m12 auch noch Deutscher Meister. Der Traum war erfüllt, die Rechnung war aufgegangen.
Wenn ein Traum sich erfüllt, blüht alsbald der nächste auf. In Flagstaff (Arizona, USA), wo die Deutsche Olympiamannschaft in den Wochen vor den Olympischen Spielen in Mexiko trainierte und sich an die dünne Luft der Höhenlagen gewöhnen sollte, gab es einen Testwettkampf, den Thomas mit 2m13 gewann. Und später im Olympischen Dorf auf dem Leichtathletikgelände vor der Mensa begegneten sich die Hochspringer aller Nationen zum heimlichen Trainingsvergleich. Thomas, meist in Straßenschuhen spontan dazustoßend, verblüffte sie alle, Aktive wie Trainer, indem er aus halbem Anlauf, also mit drei, vier Schritten, alle Trainingshöhen meisterte, ohne überhaupt Notiz davon zu nehmen, wie hoch diese tatsächlich waren. Die freudige Erregung, die Euphorie – das Hochgefühl, hier dabeizusein, beflügelten ihn spontan und unbewusst, ja schleichend.
Sie beschlichen ihn sozusagen und ließen ihn jede Demut vergessen. Schon fing Thomas an, von einer Medaille zu träumen. Naiv und unerfahren wie er war, glaubte er den Kollegen und Experten, dass er das Zeug dazu habe. Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Der Vorkampf, bei welchem schließlich seine Bestleistung gerade mal genug gewesen wäre, schien ihm nur noch eine lästige Pflichtübung, bei der es vor allem darum ging, Kräfte für den Endkampf um die Medaillen zu sparen. Und als die Stunde der Wahrheit schlug, warf er all seine bisherigen Erfahrungen und Lehren über Bord und anstatt der vielen Sprünge, von denen er wusste dass er sie gebraucht hätte, um seine Technik perfekt abzurufen, machte er so wenig wie möglich Sprünge. Anstatt bei 2m stieg er verwegen erst bei 2m06 in den Wettkampf ein, kam auch gut rüber. Ebenso über 2m09. Aber dann, bei 2m12 versagte sein Können und er schaffte diese Höhe nicht mehr. Sie hätte für den Einzug ins Finale gereicht, hätte für ihn einen wahrhaftigen Olympischen Erfolg bedeutet (im Endkampf gestanden zu haben, für immer Olympia-Finalist zu sein). So aber war er nur kläglich ausgeschieden, während seine beiden Vorbilder, die er vor 3 Monaten bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin mit eben dieser Höhe noch geschlagen hatte, die Qualifikation überstanden und tags darauf im Endkampf die Plätze 7 und 9 belegten. Für Thomas blieb nur der fade Trost, dank seiner wenigen Versuche immerhin der Beste aller Ausgeschiedenen geworden zu sein. Geknickt und beschämt saß er am nächsten Abend auf der Tribüne in der Hochsprungkurve und musste auch noch mit ansehen, wie der Rückwärtsflieger, dieser Wahnsinnige, mit seinem Sieg auch noch die ganze Hochsprungwelt auf den Kopf stellte. Seine Hochsprungwelt war gegen alles was er, Thomas, in dieser Hinsicht für vernünftig hielt und sein Leben lang halten sollte, zertrümmert. Aber das konnte er, wie vieles Andere im Leben, damals noch nicht einmal ahnen, geschweige denn verstehen und verkraften. Und so wurde diese Stunde im Estadio Olímpico de Méjico ciudad zum entscheidenden Knick in seiner Karriere – als Sportler wie als arbeitender Mensch. Und der Knick in seiner Laufbahn als liebender Mensch war auch nicht fern: Das erotische Glück würde ihn auch bald verlassen. Die Freundin, die Fans, die Presse, die Funktionäre wandten sich reihenweise von ihm ab. Sein Studium hatte auch seinen Sinn verloren. Aus dem Olympiaträumer war ein Olympiaversager geworden. Das mühsam mit den sportlichen Erfolgen aufgebaute Selbstvertrauen war wie ein Kartenhaus (das es ja war) in sich zusammengefallen. Noch einmal und nicht zum letzten Mal musste Thomas ganz unten anfangen.
Und es gelang nie wieder so wie beim ersten Versuch.
„Mein größter Erfolg? Die vielen Niederlagen zu verkraften.“
Eine erzählte Bilanz
Das mit der Hochspringerei begann 1959 in Ruta, einem unbedeutenden Durchfahrtsort der Via Aurelia, zwischen La Spezia und Genua. Im Internat „Mare e Monti“ hoch über dem ligurischen Badeort Camogli war im Morgennebel beim Frühsport ein Hochsprungwettkampf anberaumt, und es siegte der erst 12 Jahre alte Thomas mit überlegenen 1m28 - im lupenreinen Western Roll. Landung auf den Füßen in einer Sandgrube, wie es damals nicht anders vorzustellen war. So wurde der kecke Blondschopf aus Germania endlich dafür rehabilitiert, dass er beim Fußball nur zum Torwart taugte – was ihm allerdings auch viele Sympathien einbrachte, denn wer kicken kann, der empfindet den Posten zwischen den Pfosten als Degradierung. Thomas konnte springen und vor allem fangen (Völkerball-Erfahrung!) und so nahm er manch anderem die Schmach der Verbannung ins Gehäuse ab. Was er nicht ahnen konnte: Es sollte sein Schicksal werden – das Hochspringen. Mit 14 sprang er in Ascona, seiner neuen Tessiner Heimat, 1m40 hoch. Und als er im Februar 1966 in der Sporthalle Berlin-Schöneberg mit 1m85 zum ersten Mal seine Körpergröße von 1m84 übersprang war er schon 19 Jahre alt. Aber er hatte inzwischen erfahren, dass der berühmte Valerie Brumel, damals Weltrekordler mit 2m28 und Olympiasieger von Tokio, mit 14 Jahren auch nur 1m40 geschafft hatte. Und so rechnete Thomas Z. sich aus: Wenn ich jedes Jahr 10cm höher komme, bin ich 1968 bei 2m10 angelangt und für die Olympischen Spielen in Mexiko City startberechtigt. Und so ähnlich ist es dann ja auch gekommen. Mit 15 Jahren sprang er 1m50, mit 16j 1m65, mit 17j 1m73 (Schülerrekord für Paris und Isle de France) und mit 18j 1m80.
Der Olympiatraum war im Kino gekeimt. Im „Cinema Otello“ von Ascona (wo Thomas am „Collegio Papio“ - einem von Benediktinern geleiteten Gymnasium - drei Jahre Schüler war) lief der offizielle Film der Spiele von Rom mit einer ausführlichen Reportage vom 10-Kampf-Duell zwischen dem farbigen US-Amerikaner Raffer Johnson und seinem chinesischen Kommilitonen aus Formosa („National-China“, heute Taiwan) Michael Young. Hier stand allerdings nicht nur die bewundernswerte sportliche Leistung der Athleten im Blick, sondern trat auch der Olympische Geist von Friede, Fairness, Freundschaft, Rassengleichheit und Völkerverständigung zutage. Ähnlich wie schon zwischen den Weitspringern Lutz Long und Jesse Owens in Berlin 1936. Aber davon wusste Thomas damals noch nichts. Er war nur zutiefst berührt von diesen humanistischen Werten. Und das machte ihn zum Olympianer - auch wenn er es nie geschafft hätte, einmal dabeizusein. Dabeisein – ja. Mehr wollte er gar nicht. Kein Star sein, wie sein Vater, der berühmte, beliebte Geiger Helmut und dessen Kollegen, die er Onkel und Tante nannte. Sein eigenes Bühnentalent reichte anscheinend nicht dafür aus, es ihnen gleichzutun. Und so wurde der Sport für Thomas zur Schwimmweste, ja zum Rettungsboot seiner Lebenskreuzfahrt. Und die Hochsprunganlage zu seiner Bühne. Von seinem Sprung über 1m85 war in der Zeitung zu lesen. Das empfand er als aufregende Genugtuung für die Verbannung aus der Glamourwelt seines Vaters, für die Degradierung zum normalen Abc-Schützen und Pennäler. Und gleich in Kontakt und in einem Artikel genannt mit der Spitzenklasse, denn Sieger des Wettkampfes war mit neuem Deutschen Hallenrekord von 2m12 Ingomar Sieghart, sein späterer Mentor und Olympiakollege. Im selben Jahr ging es noch auf 1m95 und zum 15. Platz in der Deutschen Jahres-Bestenliste, Als Junioren-Vizemeister, wurde er gleich für einen Länderkampf nominiert. Seine Sporttasche mit den Spezialschuhen landete aber im falschen Flugzeug, und so kam er nicht zum Einsatz. Dafür aber wurde er zu den DLV-Lehrgängen bei Bundestrainer Werner Bähr eingeladen. Sein Talent war unverkennbar und so fand er direkt Aufnahme in den B-Kader. Und hier erst lernte er, wie man den Straddle richtig springt.
Auch wenn im nächsten Jahr mehrfach 2m (BL 2m02) zu Buche standen, war die Entwicklung doch enttäuschend. Mehrmals musste er sich bei gleicher Höhe (2m oder 2m01) mit dem 2. Platz begnügen. Und bei den DM in Stuttgart reichten seine 2m nur zum sechsten Platz. Ein Jahr darauf wurde die Olympianorm von 2m09 vom DLV auf 2mal 2m12 angehoben. Was Thomas an Selbstvertrauen fehlte, das vermittelten ihm die Kollegen wie Ralph Drecoll (6. in Tokyo 1964) Wolfgang Schillkowski, Gunther Spielvogel und inzwischen Freund und Förderer Ingomar Sieghart – die Rekordspringer der mittleren Sechziger Jahre. Dass der Neuling aus Berlin einen von ihnen aus der Olympiamannschaft verdrängen könnte, haben sie aus wahrer Fairness in Kauf genommen. Oder aus gefestigtem Selbstvertrauen. Es kam insofern anders, als Verletzungen ihr Schicksal besiegelten.
Beim ersten Lehrgang im Januar 1967 sprang Thomas zum ersten Mal 2m und im Januar 1968 zum ersten Mal in seinem Leben 2m10. Und das gleich zweimal hintereinander. Das Tor nach Olympia war aufgestoßen. Doch es folgten schwache Ergebnisse. Bei den Hallen-DM nur 2m03, Wochen später 2m04, und nach 2m08 beim Ostersportfest im Münchner Dantestadion blieb der Durchbruch lange aus. Im späten Mai warf ihn Pfeifersches Drüsenfieber zurück. Dann doch 2m09 im Berliner Mommsenstadion, erstmals auf einem improvisierten Kunststoffboden. Den US-Meister im Vergleichskampf Berlin vs. University of Utah besiegt. Und dann kam die Nacht im Stuttgarter Neckarstadion: 15.000 Zuschauer, Leichtathletik-Stars aus aller Herren Länder, Weltklasse Leistungen im Habstundentakt, und mitten drin der Hochsprung. 2m im ersten Versuch gerissen. Dann die erste Sternstunde im Hochspringerleben des ThZ: 2m04, 2m07 und 2m10 im ersten Versuch. Locker, haushoch. Bestleistung, zum zweiten Mal die IOC-Norm erfüllt. Vielleicht komm ich damit ja doch schon in die Olympiamannschaft. Gänsehaut. Nieselregen, intensives Warmlaufen auf der Gegengeraden. Das Publikum schien zu ahnen was kommen würde: 2m12 im ersten Versuch. Zugerufene Ermunterungen von den Rängen. Und wie in Trance 2m14! Mit etwas mehr Konzentration und Können wäre sogar der neue Deutsche Rekord von 2m17 liegengeblieben. In einem WK dreimal Bestleistung und 2x Olympianorm. Das müsste doch reichen.
Es kam aber gar nicht erst zum Härtefall, denn knapp drei Wochen später wurde Thomas mit 2m12 auch noch Deutscher Meister. Der Traum war erfüllt, die Rechnung war aufgegangen.
Wenn ein Traum sich erfüllt, blüht alsbald der nächste auf. In Flagstaff (Arizona, USA), wo die Deutsche Olympiamannschaft in den Wochen vor den Olympischen Spielen in Mexiko trainierte und sich an die dünne Luft der Höhenlagen gewöhnen sollte, gab es einen Testwettkampf, den Thomas mit 2m13 gewann. Und später im Olympischen Dorf auf dem Leichtathletikgelände vor der Mensa begegneten sich die Hochspringer aller Nationen zum heimlichen Trainingsvergleich. Thomas, meist in Straßenschuhen spontan dazustoßend, verblüffte sie alle, Aktive wie Trainer, indem er aus halbem Anlauf, also mit drei, vier Schritten, alle Trainingshöhen meisterte, ohne überhaupt Notiz davon zu nehmen, wie hoch diese tatsächlich waren. Die freudige Erregung, die Euphorie – das Hochgefühl, hier dabeizusein, beflügelten ihn spontan und unbewusst, ja schleichend.
Sie beschlichen ihn sozusagen und ließen ihn jede Demut vergessen. Schon fing Thomas an, von einer Medaille zu träumen. Naiv und unerfahren wie er war, glaubte er den Kollegen und Experten, dass er das Zeug dazu habe. Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Der Vorkampf, bei welchem schließlich seine Bestleistung gerade mal genug gewesen wäre, schien ihm nur noch eine lästige Pflichtübung, bei der es vor allem darum ging, Kräfte für den Endkampf um die Medaillen zu sparen. Und als die Stunde der Wahrheit schlug, warf er all seine bisherigen Erfahrungen und Lehren über Bord und anstatt der vielen Sprünge, von denen er wusste dass er sie gebraucht hätte, um seine Technik perfekt abzurufen, machte er so wenig wie möglich Sprünge. Anstatt bei 2m stieg er verwegen erst bei 2m06 in den Wettkampf ein, kam auch gut rüber. Ebenso über 2m09. Aber dann, bei 2m12 versagte sein Können und er schaffte diese Höhe nicht mehr. Sie hätte für den Einzug ins Finale gereicht, hätte für ihn einen wahrhaftigen Olympischen Erfolg bedeutet (im Endkampf gestanden zu haben, für immer Olympia-Finalist zu sein). So aber war er nur kläglich ausgeschieden, während seine beiden Vorbilder, die er vor 3 Monaten bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin mit eben dieser Höhe noch geschlagen hatte, die Qualifikation überstanden und tags darauf im Endkampf die Plätze 7 und 9 belegten. Für Thomas blieb nur der fade Trost, dank seiner wenigen Versuche immerhin der Beste aller Ausgeschiedenen geworden zu sein. Geknickt und beschämt saß er am nächsten Abend auf der Tribüne in der Hochsprungkurve und musste auch noch mit ansehen, wie der Rückwärtsflieger, dieser Wahnsinnige, mit seinem Sieg auch noch die ganze Hochsprungwelt auf den Kopf stellte. Seine Hochsprungwelt war gegen alles was er, Thomas, in dieser Hinsicht für vernünftig hielt und sein Leben lang halten sollte, zertrümmert. Aber das konnte er, wie vieles Andere im Leben, damals noch nicht einmal ahnen, geschweige denn verstehen und verkraften. Und so wurde diese Stunde im Estadio Olímpico de Méjico ciudad zum entscheidenden Knick in seiner Karriere – als Sportler wie als arbeitender Mensch. Und der Knick in seiner Laufbahn als liebender Mensch war auch nicht fern: Das erotische Glück würde ihn auch bald verlassen. Die Freundin, die Fans, die Presse, die Funktionäre wandten sich reihenweise von ihm ab. Sein Studium hatte auch seinen Sinn verloren. Aus dem Olympiaträumer war ein Olympiaversager geworden. Das mühsam mit den sportlichen Erfolgen aufgebaute Selbstvertrauen war wie ein Kartenhaus (das es ja war) in sich zusammengefallen. Noch einmal und nicht zum letzten Mal musste Thomas ganz unten anfangen.
Und es gelang nie wieder so wie beim ersten Versuch.
Dem nach höherem Strebenden ist nichts zu hoch sondern alles zu nieder. (vonmia)