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Bundesjugendspiele abschaffen ..... - Druckversion

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RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - Pollux - 04.07.2015

Du hast ja schon bemerkt, dass alle diejenigen, welche den sportlichen Wettbewerb als einen Bildungsinhalt schätzen, irgendwie alte Griechen sind. Ginge man von der bürgerlichen Gesellschaft der Neuzeit aus, würden Diszipilinen wie der Sport als völlig unproduktiv gelten. Ein Adam Smith hätte den Sport nicht als ein Bildungsmedium akzeptiert: vor allem, wenn es nur noch darum gehen sollte, Menschen für die Welt des ökonomischen Wettbewerbs fit zu machen. (Obwohl dieser Bockmist erst im 20. Jahrhundert aufs Tapet kommt. Smith wäre vor dieser Instrumentalisierung der Bildung wahrscheinlich noch zurückgeschreckt) Denn immerhin wäre den Zeitgenossen von Smith noch die Gewissheit geläufig gewesen, dass sportliche Wettbewerbe sich durch ihren Selbstzweckcharakter auszeichnen. Sie sind, im Gegensatz zu ökonomischen Wettbewerben, nicht genuin dadurch definiert, dass sie gut für etwas anderes sind. 

In diesem Sinn bleibt man noch jenem antiken Selbstverständnis nah, das – und glücklicherweise immer noch - das moderne Bildungsverständnis dominiert - weshalb Bildung nicht mit Ausbildung ineins fällt. Und wenn man sich im Westen für Jugend trainiert... begeisterte, dann deshalb, weil man Spaß am sportlichen Wettbewerb hatte. Und natürlich daran, nach Berlin zu fahren. So etwas zu fördern, macht auch bildungsmäßig Sinn. Und es ist bestimmt nicht irgendwelchen kranken Hirnen entsprungen, die meinten, durch den Sport erziehe man Menschen zu globalisierungskonformen Wesen. Aber selbst wenn: in einer solchen Denke fällt der Sport irgendwann ebenfalls unter den Tisch. Was ja eigentlich auch richtig ist: Im Grunde ist er völlig unnütz. Dass hier Leistungen und Leistungsbereitschaft gefördert wird, zeichnet ihn nicht gegenüber Mathe, Physik und Deutsch aus. Außerdem ist der sportliche Leistungsbegriff ohnehin prekär. Vor allem in Sachen Wettbewerb. Denn dort sind  immer auch Glück, Pech, Zufall, glückliche Umstände und das launische Machwerk der Natur im Spiel. Mit leichtathletischem Denken sollte man sich also nicht zum Narren des Zeitgeists machen. Es bringt ohnehin nix. Der Herr Klimmer hat das verstanden! Wie der Herr Harting das sieht, weiß ich nicht. 


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - MZPTLK - 04.07.2015

Mann Pollux, so viel irregeleiteter Schwurbelwurbel am frühen Samstagmorgen!
Ich hoffe, dass Deine Verbildung mit den Jahren zu mehr Durch- und Weitsicht führt.
Wird aber ein langer und steiniger Weg.


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - Pollux - 04.07.2015

Big GrinBig GrinBig GrinBig GrinBig GrinBig GrinBig Grin Alles klar, MZ! Musst mir nur noch die Zeit lassen, bis dass zum Thema ein inhaltliches Statement von dir vorliegt. 


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - MZPTLK - 04.07.2015

Ein kurzes, knackiges Statement im Voraus:
Wer die BJS ersatzlos, ohne Alternativvorschlag, abschaffen will,
lehnt Leistungsvergleiche, Leistungsstreben, Umgehenlernen mit Erfolg und Misserfolg, usw. ab.

Und er ist als Eltern, Pädagoge, Gesellschaft nicht willens und/oder in der Lage,
diese lebenswichtigen und manchmal sogar(über-)lebensnotwendigen Eigenschaften zu vermitteln.

Den versagenden Eltern kann man das Kinderkriegen und die verkorkste Verziehung nicht verbieten,
aber die sogenannten Pädagogen sollten ihr Lehrgeld zurück zahlen und lieber Taxifahrer oder Nachtwächter werden.

Bezeichnenderweise kommen solche Vorschläge auf und werden immer lauter,
wenn die Probanden physisch und psychisch immer weniger leistungsfähig werden.


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - Pollux - 05.07.2015

Aber bevor du die Schwindsucht des Leistungsgedankens und das Versagen beim Kinderkriegen verhinderst, ohne dass der Zulauf zum Taxifahrer- und Nachtwächterberuf das Lehrgeld der Pädagogen auffrisst, berücksichtigst du aber bitte noch die nüchterne Stellungnahme der Kultusministerkonferenz etc.  

„Die Kultusministerkonferenz (KMK) sieht allerdings keinen Anlass, die 1951 eingeführten Schulwettbewerbe abzuschaffen oder auch nur die Teilnahme auf Freiwilligkeit umzustellen. Schon seit 15 Jahren könnten die Bundesjugendspiele «nicht mehr nur als «Wettkampf», sondern auch als spielerischer «Wettbewerb» und als vielseitiger «Mehrkampf» durchgeführt werden», sagte ein KMK-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Den Spaßfaktor betonte auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD): Die Bundesjugendspiele sollten «Lust auf Sport und Bewegung machen und nicht Leistungsdruck erzeugen. Ziel muss es sein, alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen, insbesondere die, für die der Sport kein Lieblingsfach ist.» Die Deutsche Sportjugend sieht Schulen in der Pflicht, Demütigungen zu verhindern. «Durch ein Training im Sportunterricht lernen Schülerinnen und Schüler, dass man die eigene sportliche Leistung verbessern kann, und gewinnen Erfolgserlebnisse. Der faire Umgang miteinander kann hier ebenso trainiert werden.»

(Echo, 5.7.2015) 


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - MZPTLK - 05.07.2015

(05.07.2015, 00:56)Pollux schrieb: Schon seit 15 Jahren könnten die Bundesjugendspiele «nicht mehr nur als «Wettkampf», sondern auch als spielerischer «Wettbewerb» und als vielseitiger «Mehrkampf» durchgeführt werden», sagte ein KMK-Sprecher der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Den Spaßfaktor betonte auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD): Die Bundesjugendspiele sollten «Lust auf Sport und Bewegung machen und nicht Leistungsdruck erzeugen. Ziel muss es sein, alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen, insbesondere die, für die der Sport kein Lieblingsfach ist.» Die Deutsche Sportjugend sieht Schulen in der Pflicht, Demütigungen zu verhindern. «Durch ein Training im Sportunterricht lernen Schülerinnen und Schüler, dass man die eigene sportliche Leistung verbessern kann, und gewinnen Erfolgserlebnisse. Der faire Umgang miteinander kann hier ebenso trainiert werden.»
Wie die das Kind auch immer nennen, Wettkampfcharakter und Leistungsdruck wegreden
und den Spassfaktor als zeitgeisthinterherhechelnde Monstranz firmiern lassen(Spassgesellschaft der 90er und 2000er)*,
Spass und Leistung lassen sich nicht nur im Sport nicht nur nicht voneinander trennen,
sondern bedingen sich sogar:
viele deutsche LeichtathletInnen sagen seit einigen Jahren (Psychologen-geschult):
'Ich gehe an den Start mit der Einstellung Spass zu haben,
dann kommt auch die Leistung'.

Im Freizeit- und Breitensport geht es sowieso immer um Freude und um Erfolgserlebnisse(durch Leistung):
- der Jogger freut sich über seine Fortschritte(Leistung)
- die Freizeitbeachvolleyballer über das gewonnene Match(Leistung)
- das aufwachsende Kind über sein verbessertes Klettervermögen aufm Spielplatz(Leistung), usw...

An allen Ecken und Enden, ob es Casting- oder Quizshows(Spassgesellschaft) sind,
immer gibt es Qualifikationswettbewerbe, Habfinale und Finale(Leistung).
Also 'Gewinner' und 'Verlierer'.

Alles auch vom Sport abgekupfert.
Nur im Sport soll das nicht(mehr) gelten?


* Spass als conditio sine qua non, als (subjektives) Ausschlusskriterium:
Das Individuum entscheidet, ob eine Aufgabe, eine Tun, ein Ziel ihm Spass macht.
Wenn nicht, versagt es sich dieser Aufgabe.
Das führt oft zum - so alibisierten -  Aufgeben.
So steht man nicht als Versager da.
Genial, oder?


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - Pollux - 05.07.2015

(05.07.2015, 09:37)MZPTLK schrieb: An allen Ecken und Enden, ob es Casting- oder Quizshows(Spassgesellschaft) sind,
immer gibt es Qualifikationswettbewerbe, Habfinale und Finale(Leistung).
Also 'Gewinner' und 'Verlierer'.

Alles auch vom Sport abgekupfert.
Nur im Sport soll das nicht(mehr) gelten?
Und wer hat das behauptet? Die Initiatorin der Petition vielleicht? Ich kann nicht beurteilen, welcher Demütigung der Bub ausgesetzt war.Ich weiß nur, dass diejenigen, die so was tun, den Sport nicht verstanden haben. So, und auf welche Orientierungen (in Sachen Bildung) greift man bei diesem Urteil zurück? Denk mal drüber nach. Dann kommst du der Sache näher. 

PS: Man muss allerdings betonen, dass es Leute gibt, die sich - unter Beanspruchung des Wettbewerbsprinzips - in Castingshows ganz freiwillig demütigen – oder zum Deppen machen lassen. Wenn das sportlich sein soll, dann hoffe doch sehr, dass im Sport weiterhin was anderes gilt. Aber auf der Suche danach reicht ein Rückgriff auf deine Koordinaten nicht aus. Sonst werden sie zu einer ganz schlechten Monstranz.

Aber im Grunde müsste dir das klar sein! 


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - MZPTLK - 05.07.2015

Einverstanden.
Mir ist das alles klar.
Demütigungen sind bei Kindern durch Kinder(leider!?) oft im Spiel,
dafür brauchen die keinen Sport im engeren Sinn.
Kinder sind aus ihrem natürlichen, noch unreflektierten Impetus heraus oft grausam.
Gute Pädagogen sollten damit gut umgehen können.

Meine 'Koordinaten' reichen natürlich nicht aus, um das Gelände Leistung(im Sport) gänzlich zu verorten und zu beschreiben.
Darum ja auch meine Ankündigung eines ausführlicheren Versuchs.
Ich kann jetzt schon versichern, dass auch dieser nicht alles klären können wird.


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - diwa - 07.07.2015

An der Schule, die meine Kinder besuchen, waren vor 14 Tagen Bundesjugendspiele.
In der Klasse meiner Tochter (Jahrgangsstufe 5 - also diejenigen, die in der Regel im Laufe des Schuljahrs 11 Jahre alt werden) gab es eine einzige Ehrenurkunde (und das durch eine Nichtleichtathletin).

Die anderen 30 Kinder hatten mindestens 300 Punkte weniger (im Vierkampf 50m / Weit / Schlagball / 800m bzw. 1000m).

Wie die Verteilung Teilnehmer- zu Siegerurkunden aussieht, weiß ich leider nicht.

Bemerkenswert finde ich das deshalb, weil "zu meiner Zeit" in meiner Klasse immer gut ein Fünftel der Schüler eine Ehrenurkunde bekamen.

Ciao

diwa


RE: Bundesjugendspiele abschaffen ..... - Adonis1 - 07.07.2015

Tja, das sind die Auswirkungen unserer unbewegten Gesellschaft. Das leichtathletische Niveau an den Schulen hat in den letzten beiden Jahrzehnten extrem gelitten. Als Lehrer steht man inzwischen vor der Alternative, entweder sehr schlechte (allerdings angemessene) Noten zu verteilen oder die Leistungstabellen entsprechend "anzupassen". Mit einer subjektiven Techniknote lässt sich das Ergebnis ggf. auch schönen. In der gymn. Oberstufe sind die leichtathletischen Leistungen im Grundkurs in der Regel so katastrophal, dass man nach solchen Lösungen suchen muss, andernfalls kommt etwa die Hälfte der Schüler/innen meist nicht einmal in den Punktebereich!! Ausnahme Coopertest bzw. 3.000m-Lauf - da sind die Tabellen am humansten und die grobe Ausdauer ist bei vielen noch halbwegs entwickelt (oder trainiert). Alles, was Schnellkraft benötigt, Sprint/Wurf/Sprung kann man getrost vergessen! In einem 20 Schülerinnen-Kurs sind durchschnittlich zwei, die schneller als 16,0sec laufen können und zwei, die die Kugel (4kg) an die sieben Meter stoßen. Vier Meter im Weitsprung vielleicht eine oder zwei.
Allerdings mache ich die Erfahrung, dass dieses leichtathletische Totalversagen erst ab der 9. Klasse richtig greift. Vorher gibt es schon noch einen gewissen Anteil an sportlichen Kindern, die das ehrenurkundenniveau erreichen. So im Schnitt bei uns erst kürzlich in den Klassen 5-7, etwa drei pro Klasse (=10-15%). Aber auch hier schon mehr als die Hälfte mit "Teilnehmerurkunden"!