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Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - Druckversion

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RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - lor-olli - 27.02.2017

ph-selektive Ionenmessung gibt es, sie ist aber nicht sehr ionenselektiv (querempfindlich = reagiert auch auf andere einwertige Kationen), auch  sind Ionen sehr reaktionsfreudig weswegen eine präzise Messung möglichst nahe am Muskel erfolgen sollte - nicht so angenehm wie ein Piekser ins Ohr…

Laktat hat den Vorteil der Spezifität und aus Erfahrungswerten kann man recht gute Rückschlüsse ziehen. Laktat ist das Abbauprodukt und steht in einem festen Verhältnis zur H+ Konzentration, von daher wäre der Erkenntnisgewinn der H+ Ionenmessung wohl für die Trainingssteuerung nicht aussagekräftiger, selbst wenn die Reaktionen zeitversetzt ablaufen. (Gemessen wird eh NACH der Belastung)

Ich muss gestehen, dass mir nicht bekannt ist ob es aktuell Versuche / Testverfahren für die Praxis der H+Ionenmessung im sportlichen Training gibt - messen kann man sie schon.


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - icheinfachma - 27.02.2017

(27.02.2017, 17:18)Lifter2000 schrieb: Frage an die Spezialisten:
Das 400m-Training ist vor allen Dingen ein " Laktattoleranztraining". Die Anführungszeichen deshalb, da anscheinend nicht das Laktat, sondern die mit dem Laktat in gleicher Menge gebildeten H+-Ionen die Muskeln übersäuern und diese bei einem pH-Wert von ca. 7,0 - 6,9 aus Selbsschutz die Arbeit einstellen.
Wie sieht es nun mit dem Abbau (Abpufferung) der gebildeten H+-Ionen aus? Das Laktat kann man im peripheren Blut messen - aber H+Ionen? Läuft dieser Prozess in der gleichen Geschwindigkeit ab wie der Abbau des Laktat - oder mit einer anderen Geschwindigkeit? Meiner Meinung nach kann man nur mit diesem Wissen eine optimale Pausengestaltung zwischen den Läufen ableiten.


Dann stelle ich mal ganz provokant eine Gegenhypothese auf, basierend auf eigenen Überlegungen und Anregungen aus nicht mit Studien fundierten Webbloggs und demnach vllt. richtig, vllt. falsch:


Im 400m-Lauf sind die Phosphatspeicher bald alle, dann wird die Energie über die anaerobe Glykolyse bereitgestellt. Die anaerobe Glykolyse hat zwei Nachteile:

1. Die Energieflussrate ist langsamer als bei der Speicherung von Kreatinphosphat. Auch solange der Muskel noch nicht übersäuert, weil die Puffersysteme des Sarkoplasmas und des Blutplasmas die Hydroniumionen abpuffern können und der pH-Wert noch nicht absinkt, ist die Muskelkontraktion schwächer und langsamer.

2. Die besagten Puffersysteme sind alsbald ausgelastet und der pH-Wert in Sarko- und Blutplasma sinkt. Der verringerte pH-WErt im Sarkoplasma hemmt zusätzlich die Muskelkontraktion.


Ich würde trainingsmäßig an zwei Stellen ansetzen:

1. Die Glykolyse schneller machen, also deren Energieflussrate erhöhen. Man kann meiner Vermutung nach die Konzentration von Glykogenphosphatase erhöhen, welche das limitierende Element in der Geschwindigkeit der anaeroben Glykolyse ist. Dieses Enzym spaltet das Glykogen in Glucosephosphateinheiten, welche dann weiter verstoffwechselt werden.

2. Die Pufferkapazität des Sarkoplasmas (bzw. auch des Blutplasmas) erhöhen, also die sog. "Laktattoleranz" erhöhen. Sog., weil, wie schon erwähnt, eigentlich keine Toleranz gegen Laktat, sondern gegen Hydroniumionen erworben wird. (Das Lakat an sich stört ja nicht. Die Glucose wird ja in Milchsäure umgewandelt und dieses wiederum dissoziiert in ein Laktation und ein Hydroniumion (oder Wasserstoffion, je nach Modellvorstellung). Letzteres senkt den pH-WErt.)


Konkret würde ich das so umsetzen:

1. Punkt 1 durch schnelle Läufe, z.B. 80-150m I1 / I2 mit Pausen von 7-10min (I1) und 5-7min (I2); außerdem GSSE (mal googlen - sind 30- bis 80m-Läufe im Bereich I1 / I2, P 1-2min, Serienpause 3-4min, also kurze schnelle Tempoläufe.

2. Laktatttoleranz durch special endurance II (mal googlen, sind aber Läufe von 300-600m im Bereich I1 bis I2 mit langen Pause und geringen Umfängen)

3. Special endurance I stellt für mich so eine Mischform dar, die beide Punkte trainiert. Ist dann zwischen mti 150-300m ebenfalls im Bereich I1 / I2 festgelegt ebenfalls lange Pausen und moderate bis geringe Umfänge. Also knüpft an spec. end. II und die Standard-Schnelligkeistausdauermethode an.

4. I3 / NI, auch genannt intensive Intervallmethode halte ich für recht unspezifisch, eher was für Mittelstreckler als für Sprinter? Hätte Angst, dass es die schnellzuckenden Muskelfasern wegmacht und auch zu unspezifisch ist, um so effektiv wie die anderen Methoden zu sein - würde ich also eher mit Vorsicht genießen. Also die Abwendung von I3, die Frau Schäfer propagiert, kann ich schon nachvollziehen.

Bin mal auf eure Meinungen dazu gespannt. Gerade auch von der biochemischen Seite - kann es Sinn machen?


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - Gertrud - 27.02.2017

Das war 2008. Die Wissenschaft ist heute schon wieder weiter. Was kommt davon in der Praxis an???

Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Prof. Dr. Joachim Mester, Patrick Wahl
Thesen zur aktuellen Laktatdiskussion Oktober 2008
1. Laktat ist in Deutschland seit Beginn der 70er und 80er Jahren international richtungsweisend erforscht worden.
2. Das hat erheblich dazu beigetragen, das Problem möglicher Überlastungen in die Aufmerksamkeit zu rücken und zu verringern.
3. Schwellenkonzepte (4mmol, IAS u.a. Schwellen) und Laktattests dienten und dienen noch heute dazu, Intensitäten und Umfänge in der Belastungsgestaltung fest zu legen.
4. In vielen Fällen wird aus Sorge vor zu hohen, intensiven Belastungen oft sehr umfangsorientiert trainiert.
5. Laktat wird in der Praxis immer noch als „Abfallprodukt“ verstanden. Das ist physiologisch falsch. Es ist ein Zwischenprodukt und Signalmolekül, das erhebliche Stoffwechselpotenz besitzt. Einige Arbeitsgruppen sprechen bereits vom „Lactormone“. 
6. Unter Belastung decken viele Gewebe (u.a. Herz, Skelettmuskel) ihren Energiebedarf durch die Oxidation von Laktat unter gleichzeitiger Reduktion der Glukose-Oxidation.
7. Hierbei spielen Transportvorgänge (Laktattransporter) und Verstoffwechselungsvorgänge eine wichtige Rolle, die trainierbar sind und die zurzeit intensiv untersucht werden.
8. International spricht man inzwischen wissenschaftlich von einer „Laktatrevolution“, die zu einem neuen Verständnis geführt hat. Diese Entwicklung ist in der deutschen Sportpraxis noch nicht zur Kenntnis genommen worden.
9. Schlüsse aus diesen Diskussionen beruhen darauf, dass dieser Stoffwechselweg bewusster und nicht vermeidend („Überschreitung von Schwellen“) eingesetzt werden sollte. Allerdings ist die Frage der Dosierung wichtig. Die Gefahr einer Überlastung besteht natürlich immer noch. Zu große Umfänge sind allerdings ebenfalls nicht produktiv.
10. Für die Frage der Dosierung der Belastung im Hochleistungsbereich stehen viele weitere und wichtigere diagnostische Parameter (Biomarker) als Laktat zur Verfügung, um den Belastungszustand eines Athleten zu erfassen. Diese werden in der Praxis des Leistungssports bislang so gut wie nicht eingesetzt.
11. Als Gründe für eine verzögerte Diskussion der Rolle des Laktats in der Sportpraxis kann angesehen werden, dass der Zeitversatz zwischen der Produktion des internationalen Wissens durch Forschung und der Anwendung der Erkenntnisse in der Praxis viel zu groß ist.
12. Die Halbwertszeit des Wissens im naturwiss. Bereich beträgt z. Zt. ca. 4,5 Jahre. Das bedeutet, dass nach ca. 8 Jahren die Hälfte des Wissens veraltet ist. Bis aktuelles Wissen in praxisorientierten Lehrbüchern, Lehrplänen, Rahmentrainingsplänen etc. aufgenommen und dann in der Praxis umgesetzt worden ist, kann es durchaus 8-10 Jahre dauern.
13. Eine Lösung im Sinne eines Bypasses zwischen Forschung und Praxis kann nur einerseits darin bestehen, dass für die Konditionsarbeit größere Teams mit Spezialisten um den Cheftrainer herum gebildet werden. Diese Personen müssen gut ausgebildet sein und einen direkten Kontakt mit der Forschung besitzen.

Außerdem sollte man wissen, wie viele Prozentanteile auf die drei Bereiche zu allen Zeitpunkten des 400m-Sprints entfallen, so dass man sich ein Bild über die Wertigkeit machen kann, wobei sich der oxidative und Glycolyse-Bereich im Laufe des Sprints reziprok verhalten. Ich habe mich damit sehr beschäftigt und bin in ständigem Kontakt mit einem absoluten Fachmann auf diesem Gebiet. Auch wird der Begriff der Glycolyse sehr missverständlich benutzt.

Übrigens erwarte ich derartige Diskussionen, wenn 400m-Programme bei DLV-Fortbildungen vorgestellt werden, damit die Trainer ein vernünftiges Rüstzeug bekommen. Punkt 13 sollte Idriss Gonschinska forcieren!!! Dieser Transfer gehört dann schnell an die Basis. Das ist ebenso wichtig!!! 

Gertrud


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - icheinfachma - 28.02.2017

Ja, von dem Lactormon las ich auch. Laktat löst die Verzweigung und ich glaube auch Neubildung von Blutgefäßen aus. Ein Bereich im Gewebe, der dauerhaft anaerob arbeiten muss, weil er sauerstofftechnisch unterversorgt ist und dadurch Lakat produziert, wird so besser kapillarisiert und kann dann aerober arbeiten, dass macht Sinn.


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - Gertrud - 28.02.2017

(28.02.2017, 00:09)icheinfachma schrieb: Ja, von dem Lactormon las ich auch. Laktat löst die Verzweigung und ich glaube auch Neubildung von Blutgefäßen aus. Ein Bereich im Gewebe, der dauerhaft anaerob arbeiten muss, weil er sauerstofftechnisch unterversorgt ist und dadurch Lakat produziert, wird so besser kapillarisiert und kann dann aerober arbeiten, dass macht Sinn.

... und hat dann "Körner" für das Ende des Laufes. Wink

Gertrud


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - icheinfachma - 28.02.2017

(27.02.2017, 23:58)Gertrud schrieb: Das war 2008. Die Wissenschaft ist heute schon wieder weiter. Was kommt davon in der Praxis an???
Knallhart Smile


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - Robb - 28.02.2017

Seit wann wird im Sport mit Laktatwerten gearbeitet? Ich frag ich bei solchen Diskussionen immer wieder, was wussten die Trainer vor xx Jahren? Harbig lief 1939 46.0, Kaufmann 1960 44.9, hatten die damals auch nur die geringste Ahnung von Laktatwerten?


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - icheinfachma - 28.02.2017

(28.02.2017, 00:31)Robb schrieb: Seit wann wird im Sport mit Laktatwerten gearbeitet? Ich frag ich bei solchen Diskussionen immer wieder, was wussten die Trainer vor xx Jahren? Harbig lief 1939 46.0, Kaufmann 1960 44.9, hatten die damals auch nur die geringste Ahnung von Laktatwerten?

Ich sage mal so: Oft wird gesagt, dass man sich in der Sprinttrainingsmethodik nicht weiterentwickeln und Forschung einbauen muss, wiel Armin Hary schon 1960 10.0 (elektronisch wurde 10.25 gemessen, allerdings auf Asche) lief. Man muss aber bedenken, dass seine Trainingsmethodik wohl seiner Zeit voraus war. Der Trainer konnte viele Dinge über Sprint noch nicht wissen, die später erforscht wurden. Hary hatte aber dennoch einen fortschrittlichen Laufstil. Er hat auch im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen schon Krafttraining gemacht. Und wer weiß, vllt hat sein Trainer Bert Sumser intuitiv gewusst, dass umfangsarme, hochintensive Tempoläufe mit langen Pausen dem Kurzsprinter Stehvermögen geben und nicht 10x200m-Programme?

Wer sagt denn, dass nicht auch die von dir augeführten Langsprinter eine Trainingsmethodik hatten, die nicht der Lehrmeinung der damaligen Zeit entsprach?

Wenn wir uns nicht auf "Meisterlehren" verlassen wollen, sondern mit Sicherheit sagen können wollen, welche Trainingsmethoden besser sind, müssen wir uns auf Forschung einlassen. Fakt ist, dass es so, wie es im 400m-Lauf aktuelle in Deutschland ist, nicht weitergehen kann / soll.


RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - Gertrud - 28.02.2017

(28.02.2017, 00:16)icheinfachma schrieb:
(27.02.2017, 23:58)Gertrud schrieb: Das war 2008. Die Wissenschaft ist heute schon wieder weiter. Was kommt davon in der Praxis an???


Knallhart Smile

Das Schlimme daran ist, dass wir die Trainer mit dem Wissen und die Wissenschaftler haben. 

Gertrud



RE: Was tut der DLV gegen die schlechten 400m-Leistungen? - Robb - 28.02.2017

(28.02.2017, 00:37)icheinfachma schrieb: Wenn wir uns nicht auf "Meisterlehren" verlassen wollen, sondern mit Sicherheit sagen können wollen, welche Trainingsmethoden besser sind, müssen wir uns auf Forschung einlassen. Fakt ist, dass es so, wie es im 400m-Lauf aktuelle in Deutschland ist, nicht weitergehen kann / soll.

Mich erinnert die Diskussion an jemanden, der die Elektronik seine Autos untersucht, weil es nicht läuft und dabei übersieht, dass der Motor fehlt.
Früher waren Trainingsforschung, Trainingsmethodik etc. bei weitem nicht so fortschrittlich, trotzdem liefen deutsche 400m Läufer schneller als heute. Deshalb frage ich mich, ob nicht etwas viel grundsätzlicheres falsch läuft.