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RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 13.04.2015

(13.04.2015, 12:53)gera schrieb: Es wird immer gesagt, dass der Flop mit seinen nötigen größeren Anlaufgeschwindigkeiten die Verletzungsgefahr der Springer  sehr erhöht.
Ist das irgendwie durch Studien ... belegt, oder nur ein gefühlsmässiger Eindruck, der nicht durch Daten untermauert ist ?
Schließlich ist ein Absprung mit mehr Bremsstoß und größerem Kniewinkel auch nicht ohne.
Der Bremsstoß ist umso größer je schneller der Anlauf, also je kürzer die Stützzeit. Schärfere Stemmwinkel
entsprechen ja langsamerem Anlaufen und längeren Stützzeiten. Das gleicht sich also erst mal aus.
Interessanterweise sind für Sehnen und Knorpel nicht nur die Höhe der Belastung schädlich sondern auch
die Dauer. Kürzere Stützzeiten wären also gesünder als lange. Dafür ist aber leider die Last größer.  

Da der übliche Bremsstoß nur ca. ein Viertel der Stützzeit ausmacht, ist die Höchstlast nur während
4 bis 5 hundertstel Sekunden aktiv, so dass die Gefährdung zunächst als gering einzuschätzen ist.
Entscheidend ist hier allerdings die Elastizität der Muskeln. Sind diese gesund, so federn sie die Lasten homogen ab.
Die Lastkurve ist rund. Sind sie aber verkatert, verspannt oder gar schon verhärtet, so geben sie nicht homogen nach.
Die Lastkurve ist zackig, hat höhere Spitzen und die Belastung der Gelenke steigt in den Roten Bereich.


RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 14.04.2015

Dieser Faden ist ja eigentlich sowas wie mein Blogg für Hochsprungtheorie, wo andere auch gerne mitschreiben können. Ist doch netter, man schreibt öffentlich anstatt mit nur einem Freund zu korrespondieren. Das wäre Dieter Köhl, und der liest hier eh mit. Nun wollte ich gestern noch ne längere Auszeit nehmen, und heute hab ich schon wieder was auf der Pfanne, das wert ist (mit)geteilt zu werden.
 
Ich hatte hier ja schon die Verwringungen angespochen, die beim Flop-Absprung entstehen und diese mit Standbildern von Stephan Holm dokumentiert. Dabei ging es zunächst um die Stabilität der Gelenke, welche durch die Diagonalmuskulatur erst dann höchstmöglich ist, wenn aktiv Torsionen ausgeführt werden. Diese haben aber auch viel mit der Einleitung/Erzeugung der Drehmomente für die Flugrotation zu tun.
 
Zunächst aber noch ein Wort zum Anspruchsniveau:
Genie ist das Wort für extrem hoches Talent. Wenn einer etwas Schwieriges richtig macht, ohne dass es ihm beigebracht wurde, dann ist er ein praktisches oder „sythetisches“ Genie. Er muss nichts wissen und nichts verstehen. Er macht einfach. Und es gelingt. Wenn aber einer etwas Schwieriges versteht, ohne dass es ihm erklärt wurde, dann ist er ein theoretisches oder analytisches Genie. Ich kann beides, wenn auch nicht auf extrem hohem Niveau sondern leider nur auf dem Gebiet der Hochsprungtechnik, auf welchem wahre Genies einfach zutiefst unterfordert wären.
 
Eines meiner Motive hier zu schreiben ist eigentlich zu zeigen, dass es bei einer schwierigen Technik wie dem Hochsprung auf viele Details ankommt, und dass diese einem Laien völlig fremd sind. Und mit Laien meine ich jeden, der eine hervorragende Ausbildung zum Leichtathletiktrainer genossen hat und nun dazu befugt ist, dem Nachwuchs auch das Hochspringen beizubringen. Da kann er auch die gesamte Standardliteratur zum Thema duchgebüffelt haben, und dazu die entsprechende Mechanik und Biomechanik – vom Hochsprung versteht er trotzdem immer noch rein gar nichts. Nicht nur weil in der Literatur wenig darüber steht und dies zum größten Teil auch noch falsch ist, sondern auch weil er gar nicht genug eigene praktische Erfahrung haben kann, um den entscheidenden Dingen auf den Grund gekommen zu sein. Wenn es ohne ginge, dann wäre die Literatur ja vollständig und richtig.
 
Nun ist eines der großen Geheimnisse des Hochsprungs (Flop wie Straddle) welche Rotation(en) für eine ökonomische Lattenüberquerung nötig sind und - noch geheimnisvoller - wie sie entstehen. Also: Was muss der Springer machen, damit er oben in der richtigen Weise, an der richtigen Stelle mit der richtigen Geschwindigkeit und mit der richtigen Körperstellung (nicht Haltung) um die  Latte herum rotiert?
Wohlgemerkt! Das sind zwei Stufen: Zu verstehen was anzustreben ist und wie es bewirkt wird. Und wer das nicht weiß der kann es auch nicht lehren. Der kann auch nicht sehen, ob er oder seine Schützlinge es oben richtig machen, und woran es unten liegt, wenn nicht. Und das reicht ja auch tief ins Mentale hinein, denn schließlich entscheiden die Vorstellungen, die der Springer von der Zielbewegung und den dazu führenden Maßnahmen hat, ja mit über das Resultat.
 
Das witzige ist nun wieder, dass ausgemachte (Hochsprung-)Talente vieles richtig machen, obwohl es ihnen falsch beigebracht wird. Ja man kann sagen: Ein Talent kann „es“ nicht nur ohne Belehrung sondern sogar trotz falscher solcher.
Ein normaler Hochsprungexperte würde niemals darauf kommen, Torsionen zu lehren, seinen Schützlingen oder sich selbst also vorzugeben, bei der Vorbereitung des Absprungs und bei der Durchführung desselben, Körperteile gegeneinander, also in entgegengesetzte Richtungen zu bewegen oder zu drehen, also Arme, Schultergürtelachse, Beckenbreitenachse, Hüftgelenke und Füße gegeneinander zu verdrehen. Und doch sind solche Bewegungen nötig, um eine gute Sprungtechnik zu entfalten. Und wer es spontan und intuitiv, also talentbedingt, nicht hinbekommt, der muss es eben gesagt und gezeigt bekommen.
Ff.


RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 14.04.2015

Fortsetzung
Wie meine Dokumentensammlung über die Jahre zeigt, hat Brumel seine Kunst schon 1964 bei seinem Olympiasieg nicht mehr annähernd so gut beherrscht wie in den Jahren seiner Weltrekorde. Es ist überhaupt auffällig, dass die meisten Höchstspringer nur in einem kurzen Zeitraum ihrer Bestleistung nahekamen und danach nie wieder. Und meistens wird ihren Verletzungen die Schuld daran gegeben. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Verletzungen auf technische Fehler zurückzuführen sind, welche eigentlich den Niedergang verursacht haben.

Insofern muss/kann man sagen, dass die wahren Genies des Hochsprungs diejenige waren und sein werden, die ihre Kunst über viele Jahre hinweg unverändert halten konnten/können. Ob dies dann mehr eine kognitive oder intuitive Leistung war/sein wird, wäre insofern von Interesse, als sich das Kognitive weitervermitteln ließe. Bei mir persönlich ist alles Können kognitiv durchflochten, weshalb ich ja ständig darüber schreiben und reden muss. So auch über das was ich heute im Training mal wieder an eigen Leib und Geist erleben durfte. („Wer vergesslich ist, erlebt viele Premieren.“ Greta Garbo.)  Hier wird es sichtbar – für Augen die Bewegungen erkennen.
[attachment=141]
Wenn es also im Straddle nicht weiterging, dann mit Sicherheit auch deshalb, weil er von allen Trainern und Experten nicht nur ausdrücklich als obsolet abgetan wurde (so dass jeder sich lächerlich macht, der dem Straddle auch nur einen Gedanken widmet) UND weil die wenigen die gerne gewollt hätten nicht wussten, wie sie ihn hätten lehren müssen. Schon die ersten Anweisungen bei den ersten Sprungversuchen sind entscheidend. Und in der Literatur werden natürlich die falschen verbreitet. Besseres hier


RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 15.04.2015

Ich erspare Euch und mir hier die Erörterung der Torsionen und Rotationshebel bei Brumels Straddle-Absprung.
Aber welches sind die Torsionen die beim richtigen Flop-Absprung entstehen? Wohl gemerkt: Torsionen sind Verwringungen,
also Drehbewegungen bestimmter Körperteile gegeneinander, und nur wenn sie sich nicht gegenseitig ausgleichen,
entstehen dadurch auch Rotationshebel. Wenn also der Flopper beim Absprung den Fuß fest aufgesetzt hat und dann
das Schwungbein schräg nach oben und von der Latte wegführt, während er mit dem Armschwung und den Schrägmuskeln
des Rumpfes die Schultergürtelachse quer zur Latte hält, also die Brust ja tendenziell zur Latte wendet, dann ist das
etwas Anderes als wenn er sich mit dem ganzen Körper um die Längsachse dreht und der Latte den Rücken zuwendet.
Bei der Verwringung wird der Schwung des freien Beines auch abgebremst, so dass die Masse des Beines letztlich doch
weit mehr nach oben als von der Latte weg geschwungen wird. Man sieht dies auch daran, dass der Unterschenkel
zur Waagerechten tendiert, der Fuß also mehr steigt als das Knie. Die Verwringung sorgt also für viele Vorteile.
 
1. Stabilität der Gelenke durch Aktivität der Diagonalmuskulatur, die so der Sprungmuskulatur zuarbeitet.
 
2. Ein Schwungbeineinsatz, der das freie Bein nicht nutzlos aus der Richtung wirft, sondern zum Auftrieb beiträgt
und dabei keine falsche Rotation (um die Längsachse) einleitet.
 
3. Arme und Schultern wenden die Brust nicht von der Latte weg sondern halten sie quer zur Latte, so dass
die richtige Rotation, nämlich um die Latte herum, eingeleitet werden kann. Und die Achse dieser Rotation
verläuft natürlich schon beim Absprung durch den KSP und parallel zur Latte.
 
Die technische Anweisung muss also immer lauten: Halte die Brust quer zur Latte und rotiere um diese herum,
aus der Kurvenneigung heraus quer zur Lauf-Sprung-Richtung. Schwinge also nicht den lattennahen Arm
sondern vor allem den lattenfernen Arm nach vorn oder sogar in Richtung Latte. Wende niemals schon während
oder gar vor dem Absprung den Rücken der Latte zu. Immer erst im Anflug. Und natürlich, ja erst recht:
Nimm die Überquerungshaltung niemals ein, bevor Du vollständig mit dem Absprung fertig bist.


RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 15.04.2015

Ich zeige gerne diese Fotoserie, weil hier zu sehen ist, was ich predige seit ich sie gesehen habe.
Und meine Erfahrung ist leider,
dass die meisten Kollegen sich weigern zusehen, was zu sehen ist.
Dass beim Absprung der lattennahe Arm zurückgeschwungen und
der Rücken nicht der Latte
zugewendet wird. Ferner wird das Schwungbein nicht von der Latte weggeschwungen (bild 1)
sondern gerade nach oben.
Auch hat Fosbury bei gelungenen Sprüngen nie den Kopf
in den Nacken geworfen, sondern immer das Kinn auf der Brust und den Blick auf die Latte
gerichtet gehalten.
Steht aber in keinem Fachbuch – oder?
[attachment=142]



RE: Hochsprungtechnik - Gertrud - 16.04.2015

2,43m M. Barshim:

[attachment=143][attachment=144][attachment=145][attachment=146][attachment=147]


RE: Hochsprungtechnik - Gertrud - 16.04.2015

2,45m J. Sotomayor:
[attachment=148][attachment=149][attachment=150]

Die Bilder sind leider nicht ganz so deutlich, aber immer noch zu erkennen.

Gertrud


RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 16.04.2015

Mit ner anständigen Technik wäre Barshim längst an die 2m50 gesprungen,
aber sein Stil ist einfach zu chaotisch. Man sieht auf den Bildern von Gertrud sehr gut,
wie er dreht anstatt zu verwringen. Soto viel besser. Barshim ist das größere Talent,
aber er macht zu wenig draus. Ob er könnte wenn er wüsste, bleibt offen.
Soto war wahrscheinlich zuweilen gedopt (Koks) und bei seinem Sprung über 2m45
drückte er die Latte mit dem Po mindestens 5cm runter. Der Versuch war nur 2m40 wert.


RE: Hochsprungtechnik - gera - 16.04.2015

auf meine Frage vom 13.4.15 , ob es irgendwie Studien gibt, die belegen, dass der Flop verletzungsanfälliger macht , hat leider  nur einer ( indirekt ) geantwortet.
Selbst die sonst All-Wissenden kennen solche Belege nicht.
Also ist die Sache nach beiden Richtungen hin offen.
Was könnte uns das sagen?
Vielleicht , dass wir zu oft und zu schnell irgendwas, was uns logisch erscheint, was wir gern hätten, was uns in den Kram passt  und einer gesagt hat, einfach wiederholen, so, als wäre es erwiesen.


RE: Hochsprungtechnik - ThomZach - 16.04.2015

Lieber Gera. Dein Statement ist gerechtfertigt. Die Vielbelesenen scheinen entsprechende Publikationen nicht zu kennen.
Du allerdings auch nicht. Was mich betrifft: Ich habe früher auch manches gelesen und in Vorlesungen und Seminaren gehört,
habe mir aber nie die Mühe gemacht mir zu merken, wer und wann und wo. Mich hat immer nur das WAS interessiert.
Das Philosophiestudium empfand ich auch eher als Geschichte der Philosophen, nicht als Anleitung zum Forschen und Suchen.

Ich hab nie damit gerechnet, dass einestages jemand Belege von mir fordern würde, für das was ich weiß und denke.
Ich dachte: Ich will keine Titel, um damit zu überreden und zu überrumpeln, damit man mir glaubt, sondern ich wollte
sachlich überzeugen. Als ich gemerkt habe, dass das völlig abwegig und naiv ist, war es zu spät.
Aber wenn ich heute fähig wäre, für alles, was ich meine, Belege zu liefern, würde mich das auch nicht zufriedenstellen
sondern eher frustrieren, weil ich nicht möchte dass man meinen Belegen glaubt, sondern mir persönlich.
Belege sind für mich wie Fremde Federn mit denen andere sich gerne schmücken. Und das mag ich nicht.

Und warum, bitte, ist meine Aussage KEIN Beleg?! Das mit den verschiedenen Muskelfasern ist auch Allgemeingut,
für das niemand mehr Belege fordert. Ich besitze Belege dafür, aber was interessieren mich die Namen der Autoren
und das Datum ihrer Veröffentlichung? In meinen armen kleinen Kopf passen sie nicht rein. Ich weiß nicht mal
wie lange ich brauchen würde, die Belege in meinen Bücherregalen zu finden. Also bleibt Dir für Deine Frage
wohl nur die eigene Recherche übrig. 

Wenn ich in der Praxis arbeiten will, kann ich mich nicht mit Belegen aufhalten. Soll ich auf der Hochsprunganlage
meinem Körper oder meinem Schützling sagen: "Nach Djatschkov 1957, S. 81 müsstest Du das Knie etwas später strecken."?