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Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Druckversion

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RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Delta - 14.08.2019

Das Training war komplett anders. Der Athlet hatte viel mehr Eigenverantwortung als heute.

Keine Pulsuhr, kein Kopfhörer null

Athleten in den 70iger / 80iger liefen primär im Wald und auf unregelmässigen Pfaden. Kein Mensch trainierte auf der Bahn. Bestenfalls wirklich in der Saison. Immer im Team 3-8 Läufer zusammen. Es läuft sich viel einfacher und der einzelne muss mental sich kaum Gedanken machen um das Tempo, spart viel Kraft. (Das machen die Afrikaner noch heute so)

Auf der Strasse lief so gut wie keiner - das machen nur ganz "dämliche" war damals die Ansage.

Intervalle Training ohne Ende mehrere Kürzere und ein paar längere Serien. Auf den regelmässigen Trainingspfaden hat man ein paar Bändel an einen Pfosten gehängt und die Distanz notiert das wars.
Der beste Laufschuh damals: finnische Karhu mit Luftkissen ab Anfang der 70iger Jahre.
Die Läufer haben damals konsequent auch mit kürzeren Distanzen trainiert 5000, 3000 und 1500 m

Die Unterstützung von Verbänden war höher als heute. Der Schweizer Markus Ryffel (Olympiazweiter 1984 und mehrfacher Medaillengewinner an EM) erhielt 2500 CHF monatlich von einem Sponsor Adecco.

Essen und Trinken war überhaupt nicht. Lief einer in Trainingsjacke hatte er die Schlüssel, Portemonnaie und bestenfalls 2 Riegel Schokolade dabei. Man kann im Training locker 2 Std. ohne Wasser auskommen - im Wettkampf hat man auch keines.

Nachweisbar sind zB in der Schweiz die Spitzenleistungen in Marathon, Halbmarathon, Stadtläufen erheblich gesunden ab 1995.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70igern anders trainiert als heute? - DerC - 14.08.2019

(14.08.2019, 11:57)Atanvarno schrieb:
(14.08.2019, 11:52)MZPTLK schrieb: Da stimme ich zu, Dinge mit hoher oder höchster Intensität zu machen,
aber die Meisten können das leider nicht, weil sie Dinge - vor allem für den Lebensunterhalt - 
tun müssen, wo sie das nicht können oder wollen.

Vielleicht liegt auch da ein Punkt. Existenzängste bestimmen das Leben heute deutlich mehr als in den 70igern. Vielen meinen, nicht mal eben ein paar Jahre mit Sport verdaddeln zu können, weil dann der Zug für die berufliche Karriere abgefahren ist. Auch das verkleinert den Talentpool.

Klar. Das ist extrem wichtig und hat auch dafür gesorgt, dass die Breite hinter der Spitze stark abgenommen hat. Normalarbeitsverhältnis war eben weiterverbreitet, Billiglohnsektor noch nicht so stark ausgebaut, Rot-gtün hatte die Schächung des Sozialstaats noch nicht so vorangetrieben wie nachher unter Schröder. Heute bekommen Studis die Panik, wenn sie mit 23 noch keinen Master haben. Dann kann man eben nix für den Sport riskieren.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70igern anders trainiert als heute? - DerC - 14.08.2019

(14.08.2019, 11:20)Robb schrieb:
(14.08.2019, 10:35)alex72 schrieb: Der entscheidende Punkt in Vergleich zu den früheren Jahren ist ganz einfach dass weniger Talente den Weg zum Wettkampf Laufen finden:

Wenn das die Antwort wäre, müßte sich das auf alle Disziplinen auswirken, der Sprint der Frauen z.B. ist aber in der Breite so gut wie noch nie. Vor 20 Jahren war man mit 11,79 unter den besten 20 Deutschlands, dieses Jahr reicht das gerade noch für die Top 40.

Es muss sich nicht auf alle LA-Disziplinen gleichermaßen auswirken. Disziplinen sind unterschiedlich attraktiv, und z. B. Männerfußball ist finanziell so viel attraktiver als Frauenfußball, dass das auch eine ganz andere Konkurrenz darstellt.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70igern anders trainiert als heute? - DerC - 14.08.2019

(14.08.2019, 12:56)alex72 schrieb: Pohl kann mit vier Einheiten die Woche neben dem Job die DM gewinnen.

Quelle? Ich glaube die meisten extremen Angaben zum Training erst einmal nicht, es gibt so viel Untertreibungen ("Seht her, ich bin soo talentiert") und Übertreibungen (Hey, ich trainier so hart und bin soo fleißig").

Bei einem Sprinter würde ich mindestens vermuten, dass das nur die Bahneinheiten waren, Krafttraining und Trainingslager nicht eingerechnet sind ... und dann stimmt die Zahl vielleicht doch von vorneherein nicht.

(14.08.2019, 12:56)alex72 schrieb: Das geht im Laufen wohl nicht. Oder ?

In D bei entsprechendem Talent schon ... Klosterhalfen hätte vermutlich mit nur 4 Einheiten die Woche früher oder später auch den einen oder anderen deutschen Titel gewonnen ... allerdings wäre das langfristig in den meisten Fällen eher wenig erfolgversprechend.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - RalfM - 14.08.2019

Sehr viele anregende Beiträge! Der Biss bei den Mittel-/Langstrecklern ist schon - von Ausnahmen ganz klar abgesehen - vor 20 Jahren verloren gegangen. Anfang 2000er hatte mich ein Läufer der absoluten deutschen Spitze kontaktiert, weil ihm sein Umfeld verloren gegangen war und ich als Ratgeber empfohlen wurde, ich habe seine kompletten Trainingsaufzeichnungen bekommen, und war geflasht. Klar kam der über enormes Talent. Aber abgesehen von mal 2 Wochen in Flagstaff war sein Trainingsaufwand niedriger als der der besten Seniorenläufer in meiner Vereinsgruppe (neben deren Vollzeitarbeit, versteht sich). Er meinte dazu: "Das machen doch alle so."

Sehr wichtig halte ich den Punkt der fehlenden Trainingsgruppen, in denen man sich pusht.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - benutzer - 14.08.2019

meine Enkelin - 1 Jahr vor dem Abitur - auf die Frage was sie vielleicht machen will.
" wenig arbeiten, viel verdienen"
Wer hat da etwas falsch gemacht?


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - dominikk85 - 14.08.2019

(14.08.2019, 21:12)benutzer schrieb: meine Enkelin - 1 Jahr vor dem Abitur - auf die Frage was sie vielleicht machen will.
" wenig arbeiten, viel verdienen"
Wer hat da etwas falsch gemacht?

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RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - frontrunner800 - 15.08.2019

Die mangelnde breite Basis im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren von Mittelstreckenläufern in D ist mit die Hauptursache für die schwache Leistungsentwicklung insbesondere bei den Männern. Folgende Zahlen dienen als eindrucksvoller Beleg: Im Jahr 1989 sind im HLV 21 Mittelstreckler über 800m 1:52 oder schneller gelaufen. Im vergangenen 2018 waren es nur 6 Läufer., z. B. 2008 sogar nur 3 Läufer (der absolute Tiefpunkt). Je breiter die Basis, um so größer ist die Chance, dass ein Läufer ganz an die Spitze kommt. Auf dem Weg dorthin werden aufgrund von Verletzungen viele talentierte Läufer ausfallen.
Eine Möglichkeit, wieder mehr Jugendliche auf die Mittelstrecke zu bringen, sehe ich in der Identifikation von Jugendlichen mit Spitzenläufern, die eine Vorbildfunktion ausüben. Bei den Frauen in D ist dies gegeben: Mit Konstanze Klosterhalfen, Gesa Krause oder Alina Reh haben wir einige Topläuferinnen, die als Identifikationsfiguren taugen. Und es funktioniert: Bei meinen Trainingsläufen im Wald sehe ich deutlich mehr junge Läuferinnen.
Jugendliche Läufer sehe ich eigentlich nicht. Hier in meinem Umfeld gibt es keinen einzigen, der regelmäßig läuft. Wir brauchen dringend auch wieder bei den Männern Topleute mit Identifikationspotential, die die Jugend begeistern können.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Gertrud - 15.08.2019

(15.08.2019, 08:27)frontrunner800 schrieb: Die mangelnde breite Basis im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren von Mittelstreckenläufern in D ist mit die Hauptursache für die schwache Leistungsentwicklung insbesondere bei den Männern. Folgende Zahlen dienen als eindrucksvoller Beleg: Im Jahr 1989 sind im HLV 21 Mittelstreckler über 800m 1:52 oder schneller gelaufen. Im vergangenen 2018 waren es nur 6 Läufer., z. B. 2008 sogar nur 3 Läufer (der absolute Tiefpunkt). Je breiter die Basis, um so größer ist die Chance, dass ein Läufer ganz an die Spitze kommt. Auf dem Weg dorthin werden aufgrund von Verletzungen viele talentierte Läufer ausfallen.

Das ist der große Knackpunkt, dass die Felder weggebrochen sind und der Schulsport nicht mehr den Stellenwert hat. Die andere Lebenseinstellung als früher trägt natürlich auch dazu bei. Die Zentralisierung lässt die Peripherie-Zubringer immer weiter schrumpfen. Oben "auf dem Thron" sieht man es aber vollkommen anders. Selbst die Großvereine Leverkusen und Wattenscheid haben in diesem Jahr eine verheerende Bilanz insgesamt bei der DM. Man agiert so gut wie nie, man reagiert nur. 

Man sollte auch ein Klima der Übereinstimmung mit den Heimtrainern von Ausgangsvereinen schaffen. Tobi Rüttgers hat Beauty Somuahs Abgang in Aachen in vollkommener Übereinstimmung mit der damaligen Heimtrainerin arrangiert. Es hat kein Abwerben stattgefunden, sondern Überzeugungsarbeit der besten Möglichkeiten für die Athletin. Man sollte nicht "abgrasen", sondern überzeugen und die Ausfallraten versuchen, gering zu halten.

Eine andere Sache halte ich auch noch für sehr wichtig: Man sollte "alte Trainerhasen" zur Beratung und zur Talentsichtung (als Scouts) einsetzen. Ich habe gespürt, dass ein Juwel im Mehrkampf aufgrund der Bedingungen scheitern wird. Wahrscheinlich ist schon alles vorbei, weil einfach die sofortigen Einflussnahmen aus Kenntnismangel fehlen. Ich sehe den Wechsel einer anderen Mehrkämpferin ebenfalls als sehr kritisch an, weil aus dem neuen "Stall" viele Verletzungen bekannt sind. Es wird gerade im Laufbereich mit den vielen Verletzungen nicht anders sein. Ich frage mich dann immer, wo die kritischen Teams bleiben?! Hier ist Kontrolle der Wechsel von AuA seitens des Verbandes vonnöten. Checkt die Verletzungsproduktionen von Heimteams vorher ab, damit sich die Ausfälle begrenzen! 

Gertrud


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Jo498 - 15.08.2019

Ich halte ebenfalls die mangelnde Basis aufgrund von demographischen und anderen Faktoren (andere Sportarten, Fußball relativ gesehen noch attraktiver als vor 30-40 Jahren) für einen entscheidenden Punkt. Aufgrund anekdotischer Erinnerung bin ich mir relativ sicher, dass auf der Bahn die Breite 1979 eher noch höher gewesen sein dürfte als 1989.

Dazu kommt natürlich noch: unter 13:20 war in den 1970ern Weltspitze, selbst in den 1980ern noch ziemlich aussichtsreich. Dann wurde 13:00, 10 Jahre lang scheinbar kaum zu überwinden, das neue 13:20... D.h. an die Topzeiten eh nicht dranzukommen dürfte bei manchen auch ein Motivationskiller sein.