Leichtathletikforum.com
Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Druckversion

+- Leichtathletikforum.com (https://leichtathletikforum.com)
+-- Forum: Leichtathletikforen (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=1)
+--- Forum: Leichtathletik allgemein (https://leichtathletikforum.com/forumdisplay.php?fid=2)
+--- Thema: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? (/showthread.php?tid=3389)

Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8 9


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - aj_runner - 15.08.2019

(15.08.2019, 08:27)frontrunner800 schrieb: Die mangelnde breite Basis im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren von Mittelstreckenläufern in D ist mit die Hauptursache für die schwache Leistungsentwicklung insbesondere bei den Männern. Folgende Zahlen dienen als eindrucksvoller Beleg: Im Jahr 1989 sind im HLV 21 Mittelstreckler über 800m 1:52 oder schneller gelaufen. Im vergangenen 2018 waren es nur 6 Läufer., z. B. 2008 sogar nur 3 Läufer (der absolute Tiefpunkt). Je breiter die Basis, um so größer ist die Chance, dass ein Läufer ganz an die Spitze kommt. Auf dem Weg dorthin werden aufgrund von Verletzungen viele talentierte Läufer ausfallen.
Die zurückgegangen Breite lässt sich an vielen Beispielen belegen. Allerdings: In einem anderen Thread habe ich die Sub-1:50-800m-Läufe der U20 aufgelistet. Talente sind da, warum kommen sie aber nicht durch?
Als Hauptproblem sehe ich nicht altersgerechtes Training wg. zu starker Fokussierung auf die internationalen Jugendmeisterschaften. Die Drop-out-Quote ist erschreckend (siehe Bsp. Robb über 400 m U20). Die U23 müssten einen viel größeren Stellenwert bekommen. Dagegen meinte ein Trainer zu mir, ich muss auch schon früh forciert trainieren, denn nur mit Erfolgen in den U20-Bereichen kann ich die Talente binden.
Dann kommen die berufliche Orientierung und die Verletzungen. Wäre z.B. Alina nicht so häufig verletzt oder krank, bin ich überzeugt, wäre sie heute auch schon bei 14:40 Min. 
Erst wenn man diese drei Dinge besser in den Griff bekommen würde, kommt das Argument des härteren Trainings bzw. der ausschließlichen Fokussierung auf den Sport. Die Keniaten machen genau 2 Dingen den ganzen Tag: Trainieren oder ausruhen.
Auf Grund einzelner Programme von hart oder weich zu reden ist für mich Stammtischniveau. Ein Freund von mir (Sub-1:50) ist im Traininglager immer die Vorgaben des Trainers gelaufen. Die anderen haben geballert ohne Ende und waren dann bis die Saison angefangen hat platt. Nico Motchebon ist z.B. seine 1.000er streng nach Trainervorgabe irgendwo zw. 3:00 und 3:10 gelaufen. Die, die permanent am Ballern waren, haben darüber nur gelacht.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - laulau - 15.08.2019

Ich denke es müssen Anreize und bessere Strukturen geschaffen werden. 
Ausreichende medizinische Versorgung muss gewährleistet sein.
Wenn ich sehe das Athleten die es gerade nicht in den Kader geschafft haben und dennoch  leistungsorientiert  trainieren zum Beispiel eine Leistungsdiagnostik, einen Checkup selber bezahlen müssen. ..wundert es mich nicht das so viele auf der Strecke bleiben .


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Küstenkrebs - 15.08.2019

(15.08.2019, 09:20)aj_runner schrieb: Als Hauptproblem sehe ich nicht altersgerechtes Training wg. zu starker Fokussierung auf die internationalen Jugendmeisterschaften. Die Drop-out-Quote ist erschreckend (siehe Bsp. Robb über 400 m U20). Die U23 müssten einen viel größeren Stellenwert bekommen. Dagegen meinte ein Trainer zu mir, ich muss auch schon früh forciert trainieren, denn nur mit Erfolgen in den U20-Bereichen kann ich die Talente binden.


Bundestrainer Sebastian Weiß gab in einem fatboysrun-Interview an, dass man versuche mit dem Nachwuchs früher Erfolge zu feiern.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Jo498 - 15.08.2019

Das ist aber auch nicht grundsätzlich falsch. Denn natürlich wirkt Erfolg im Jugendalter auch sehr motivierend. Man darf es eben nicht übertreiben und mit unangemessenem Training schnelle Erfolge bei 16-19jährigen erzielen, die sich dann nicht mehr steigern können, weil zu viele Trainingsmittel und auch die Umfänge schon zu weit ausgereizt sind.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Reichtathletik - 15.08.2019

(15.08.2019, 08:27)frontrunner800 schrieb: Die mangelnde breite Basis im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren von Mittelstreckenläufern in D ist mit die Hauptursache für die schwache Leistungsentwicklung insbesondere bei den Männern. Folgende Zahlen dienen als eindrucksvoller Beleg: Im Jahr 1989 sind im HLV 21 Mittelstreckler über 800m 1:52 oder schneller gelaufen. Im vergangenen 2018 waren es nur 6 Läufer., z. B. 2008 sogar nur 3 Läufer (der absolute Tiefpunkt). Je breiter die Basis, um so größer ist die Chance, dass ein Läufer ganz an die Spitze kommt. Auf dem Weg dorthin werden aufgrund von Verletzungen viele talentierte Läufer ausfallen.
Eine Möglichkeit, wieder mehr Jugendliche auf die Mittelstrecke zu bringen, sehe ich in der Identifikation von Jugendlichen mit Spitzenläufern, die eine Vorbildfunktion ausüben. Bei den Frauen in D ist dies gegeben: Mit Konstanze Klosterhalfen, Gesa Krause oder Alina Reh haben wir einige Topläuferinnen, die als Identifikationsfiguren taugen. Und es funktioniert: Bei meinen Trainingsläufen im Wald sehe ich deutlich mehr junge Läuferinnen.
Jugendliche Läufer sehe ich eigentlich nicht. Hier in meinem Umfeld gibt es keinen einzigen, der regelmäßig läuft. Wir brauchen dringend auch wieder bei den Männern Topleute mit Identifikationspotential, die die Jugend begeistern können.

Genau das ist das Problem. Und es ist ja nicht nur so, dass dadurch Trainingsgruppen fehlen. Es fehlt auch die Konkurrenz. Deine Zahlen zeigen eindrucksvoll: In Den 70ern musste noch kein Athlet weit reisen, um ein Feld mit mehreren Läufern um die 1:52 zu haben. Heutzutage muss man dafür schon mal irgendwo mit Übernachtung hinfahren in einigen Regionen, "um ein Feld zu haben". Das sorgt nochmal bei vielen Läufern dazu, sich das zu schenken, da der Zeitaufwand einfach undfassbar groß wird. Ist halt schon was anderes, ob man durch die Woche Abends schnell in der Heimat laufen kann oder zusätzlich zum Training auch noch viele Wochenenden weg verbringt. Vom Geld-Faktor erst garnicht zu sprechen.
Wir brauchen also nicht nur Läufer als Vorbild, sondern auch geile Wettkämpfe an vielen Orten, damit sich der Aufwand lohnt und die Lust machen, diesen Sport zu betreiben. Leider ist unsere Wettkampfkultur geprägt von "dahingeschmierten" Veranstaltungen mit grausamen Leistungen und 2 Stunden Zeitplanverzug oder wenigen hochklassigen Meetings, Dazwischen gibt es wenig.

(15.08.2019, 09:20)aj_runner schrieb: Die zurückgegangen Breite lässt sich an vielen Beispielen belegen. Allerdings: In einem anderen Thread habe ich die Sub-1:50-800m-Läufe der U20 aufgelistet. Talente sind da, warum kommen sie aber nicht durch?
Als Hauptproblem sehe ich nicht altersgerechtes Training wg. zu starker Fokussierung auf die internationalen Jugendmeisterschaften. Die Drop-out-Quote ist erschreckend (siehe Bsp. Robb über 400 m U20). Die U23 müssten einen viel größeren Stellenwert bekommen. Dagegen meinte ein Trainer zu mir, ich muss auch schon früh forciert trainieren, denn nur mit Erfolgen in den U20-Bereichen kann ich die Talente binden.
Dann kommen die berufliche Orientierung und die Verletzungen. Wäre z.B. Alina nicht so häufig verletzt oder krank, bin ich überzeugt, wäre sie heute auch schon bei 14:40 Min. 
Erst wenn man diese drei Dinge besser in den Griff bekommen würde, kommt das Argument des härteren Trainings bzw. der ausschließlichen Fokussierung auf den Sport. Die Keniaten machen genau 2 Dingen den ganzen Tag: Trainieren oder ausruhen.
Auf Grund einzelner Programme von hart oder weich zu reden ist für mich Stammtischniveau. Ein Freund von mir (Sub-1:50) ist im Traininglager immer die Vorgaben des Trainers gelaufen. Die anderen haben geballert ohne Ende und waren dann bis die Saison angefangen hat platt. Nico Motchebon ist z.B. seine 1.000er streng nach Trainervorgabe irgendwo zw. 3:00 und 3:10 gelaufen. Die, die permanent am Ballern waren, haben darüber nur gelacht.






Nun, langfristiger Aufbau ist auch beim DLV nur bedingt gewollt. Die U23 werden meist stiefmütterlich behandelt und wer "erst" in der Hauptklasse das Niveau für die DM-Norm erreicht fällt durch jedes Förderschema. Und der "Begeisterungsfaktor" ist nicht zu vernachlässigen. Die meisten Läufer hören nach der Schule auf, wenn es aus dem Elternhaus rausgeht, oft in eine andere Stadt aber zumindest in einen weniger regulierten Tagesablauf mit mehr Optionen aber auch mehr Herausforderungen. Da bleiben dann oft nur die an der Stange, die schon "blut geleckt" haben durch Erfolge. Wenn nicht dann der Drop-Out erfolgt, dann spätestens zum Ende des Studiums...


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - laulau - 15.08.2019

Ja genau auch die Wettkampf Struktur gehört dazu.
Wenn man sieht was bei Landesmeisterschaften teilweise für ein trauriges Bild herrscht .
Wenn man als guter Mittelstreckler den Titel oft fast geschenkt bekommt weil niemand startet. Und Landesverbände oft nicht in der Lage sind Läufe nach Leistung und nicht nur nach Altersklasse zu setzen.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - frontrunner800 - 15.08.2019

https://www.youtube.com/watch?v=A2bS9yUZ_mI


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - beity - 16.08.2019

(15.08.2019, 22:38)frontrunner800 schrieb: https://www.youtube.com/watch?v=A2bS9yUZ_mI

Danke für diesen Beitrag.
Das waren in ihrer Art alles Charaktere.
Teilweise im Training nach heutigem Verständnis nicht alles richtig gemacht. Wilde Sachen dabei, aber aus voller Überzeugung. Ging mal was im Wettkampf schief, weiter an sich geglaubt oder mal was Neues im Training probiert.
Irgendwie....unvorbelastet und freier.Weniger als sicherlich heutige Generationen im Kopf gehabt, was mal aus einem wird. Oder ob einem ein/zwo Jahre Einzahlung für die spätere Rente fehlt.
Bei einem der Protagonisten hatte ich sogar mal 4 Monate gewohnt. Schade das es so lange her ist. Tolle Zeit, hatte sie fast schon vergessen.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Modusa - 16.08.2019

Trainingsgruppen und Konkurrenz spielen gerade bei der 2. Garde eine enorme Rolle. Meine Tochter ging nie mehr als 2x pro Woche ins Training, mit Sicherheit auch, weil sie ihr Programm immer alleine durchziehen musste. In ihrem Austauschjahr in Irland waren dann auf einmal auch die dritte Einheit und größere Laufumfänge kein Thema mehr, denn da gab es im Verein eine große Gruppe Läuferinnen im gleichen Alter. Und ein Wechsel im ländlichen Raum ist auch nur mit Umzug auf ein Sportinternat möglich oder mit nicht berufstätigen Eltern.

Und schon Wettkämpfe für DM sind nicht so einfach zu bekommen. Die letzten Jahre musste immer die Entscheidung getroffen werden zwischen Titel auf Verbands- oder Landesebene oder schneller Wettkampf für die Norm.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - smiling_star - 16.08.2019

Das Video gefällt mir richtig gut. Die Geschichten von damals kenne ich nur aus Erzählungen.

Heute ist man mit einer 33er Zeit der Volkslauf-König der Region. Früher wäre man damit vielleicht auf Platz 20 gelandet. Wenn heute ein Lauf von einem Afrikaner mit einer 31er Zeit gewonnen wird, staunen die Leute und halten die Leistung für unerreichbar.

Die Läufer haben sich gegenseitig motiviert, zum Training getroffen usw. Trainingslager gingen nach Portugal und Gran Canaria, nicht ans andere Ende der Welt.

Heute gehen bei regionalen Schülerwettkämpfen 20 Leute im Sprint oder Sprung an den Start, bei der Mittelstrecke stehen vielleicht noch fünf an der Startlinie. Für den Nachwuchs scheinen die Laufstrecken einfach unattraktiv zu sein. Laufen wird erst wieder bei älteren (Volks-)Läufern populär, dann aber als Breitensport auf niedrigem Niveau.

Selbst wenn bei Bahnläufen alle Altersklassen und Geschlechter gemeinsam an den Start gehen, ist es oft erscheckend leer auf der Rundbahn. Einzige mir bekannte Ausnahme ist Pfungstadt, die Abendsportfeste sind einfach toll!