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Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Druckversion

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RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - lor-olli - 16.08.2019

Konstatieren wir:
- in vielen Belangen hat sich in knapp 40 Jahren nichts verändert! (Einfluss der Sportler auf "sport"polititische Entscheidungen und Verbandsorgane)
- in einigen Bereichen hat sich einiges deutlich verändert! (so konkrete Verbandsschelte üben heute nur Diskuswerfer aus Wink. Auch T-Shirts mit einem Atomkraft "Nein Danke" Aufdruck - oder Alternativen - wären heute nicht denkbar…). Alle unmündig geworden? Wohl kaum…

Abseits der Begleiterscheinungen muss ich aber auch feststellen, dass wohl kaum ein Sportler noch in den Schuhen der damaligen Zeit laufen möchte (einfach mal auf die Laufgeräusche achten, "Federungskomfort" war ein Fremdwort) und trotzdem liefen die Kerls so schnell. Definitiv war die Konkurrenzsituation des gemeisamen schnellen Heranlaufens bis fast ans Ziel natürlich auch ein Grund für die flotten Zeiten. Auch ich erinnere mich an große Trainingsgruppen (auch wenn ich zur Aktivenzeit nie lang gelaufen bin… Wink) und das so gut wie niemand allein trainierte.

Anders trainiert? Das Training ist heute wohl wissenschaftlicher geworden, Spitzenläufer ohne genaue Kenntnisse ihrer Blut- und Fitnesswerte sind heute wohl die Ausnahme. Was heute dagegen oft fehlt, ist die extrinsische Motivation in JEDEM Training (nicht nur auf sich selbst fokussiert, sondern immer im Blickkontakt mit ähnlich starker Konkurrenz), ein Fakt der z.B. in Kenia und Äthiopien eine große Härte gegen sich selbst evoziert. Das klappt allerdings nur wenn genug Konkurrenz und Klasse vorhanden ist, eine Koko müsste hierzulande schon mit Männern trainieren um diesen Effekt zu haben…

Die Entwicklung hierzulande ist mMn multifaktoriell
> viel weniger Aktive schon an der Basis, (auch bedingt durch Punkt zwei)
> viel weniger Sportstätten für die LA (in den 70er und 80er gab es wohl in jeder Stadt oft mehrere Stadien mit LA-Ausstattung)
> die Lebenssituation vieler junger Sportler ändert sich nach der Schule zum Teil deutlich und nicht einmal in allen Uni-Städten gibt es akzeptable Leichtathletikmöglichkeiten (Laufbahnen, Stadien, Trainingsmittel etc.)
> "Sport vor Ort" wie etwa oft in den USA ist hier häufig unmöglich, 90 Minuten Fahrtzeit zum Training sind für Spitzenleute gar nicht selten. Läufer könnten zwar auch allein trainieren, aber dann sind wir bei der intrinsischen Motivation, die oft durch organisatorische Schwierigkeiten gestört wird (Kosten, Studienzeit, Wohnraumverhältnisse z.B. in Großstätten oder und mehr…)
> viele Trainer und Sportler haben dann zudem noch den Eindruck, dass Verbände lieber auf ihr eigenes Wohlergehen und ihren Einfluss achten als auf das der Aktiven

In anderen Sportarten schlucken die Sportler dies mit der Möglichkeit "reich" zu werden (Fußball, Tennis und andere) in der LA hat so gut wie niemand lebenslang ausgesorgt, der nicht gerade Bolt, Farrah oder ähnlich heißt…


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Jo498 - 16.08.2019

Tolles Video. Und sehr eloquent bzgl. des Boykotts. Die lauten Laufgeräusche fielen mir auch auf, aber die Schuhe kann ich nicht erkennen. Die ersten, an die ich mich markant als Neuerung erinnere, waren diese "LA Trainer/Runner"? mit den verschiedenfarbigen Stöpseln im der Ferse, die um LA 1984 rum rauskamen. 1984 bin ich mit 12 meinen ersten WK mit 08/15 Hallenschuhen (so ähnlich wie die Samba, nur etwas leichter und Rauhleder) auf einer Aschenbahn gelaufen, immerhin sub 4 ohne ernsthaftes Training.  Big Grin

Außerdem: Hildenbrandt fast 4 Jahre praktisch dauerverletzt bzw. OP/Nachwirkungen geschädigt. Das gab es also auch schon.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Knueppler - 16.08.2019

Wir haben damals mit mehr Biss und Hingabe trainiert. Schule und Uni kamen erst an zweiter Stelle. Das Abi haben wir ( ich meine damit meine damalige Trainingsgruppe) irgendwie hinbekommen, mit relativ schwachen Durchschnittsnoten.
Mit der Zeit der zweitplatzierten 4x400m-Männer-Staffel bei den diesjährigen Deutschen Meisterschaften (Wetzlar), wäre man vor einigen Jahrzehnten gar nicht in den Endlauf gekommen. Dabei sind die damaligen DDR- Staffeln noch gar nicht berücksichtigt
Den siebten Platz in Wetzlar belegte übrigens die Staffel der TSG Bergedorf ( 3:24,99 min). Trainer in Bergedorf ist Jürgen Krempin, der damalige Trainer  von Ingo Schultz. Jürgen Krempin war seinerzeit Mitglied der U19-Staffel der TSG Bergedorf, die vor mehreren Jahrzehnten bei den Deutschen Meisterschaften (speziell für die U19-Staffeln) ungefähr die gleiche Zeit wie die jetzige Männerstaffel von Bergedorf lief. Damals musste man auch deutlich schneller laufen, um in den Endlauf zu kommen (und jetzt wird man bei den Erwachsenen Sirbter)


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - longbottom - 16.08.2019

(16.08.2019, 10:59)Knueppler schrieb: Wir haben damals mit mehr Biss und Hingabe trainiert. Schule und Uni kamen erst an zweiter Stelle. Das Abi haben wir ( ich meine damit meine damalige Trainingsgruppe) irgendwie hinbekommen, mit relativ schwachen Durchschnittsnoten. 
Nimm's mir nicht übel, aber die Frage ist, ob das wirklich etwas Positives ist. Beziehungsweise kann man niemandem verübeln, wenn er mehr Augenmerk auf das Leben nach der Leichtathletik legt.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - DerC - 16.08.2019

(16.08.2019, 11:21)longbottom schrieb:
(16.08.2019, 10:59)Knueppler schrieb: Wir haben damals mit mehr Biss und Hingabe trainiert. Schule und Uni kamen erst an zweiter Stelle. Das Abi haben wir ( ich meine damit meine damalige Trainingsgruppe) irgendwie hinbekommen, mit relativ schwachen Durchschnittsnoten. 
Nimm's mir nicht übel, aber die Frage ist, ob das wirklich etwas Positives ist. Beziehungsweise kann man niemandem verübeln, wenn er mehr Augenmerk auf das Leben nach der Leichtathletik legt.

Man kann das niemandem verübeln. Aber diejenigen brauchen sich auch nicht zu wundern, wenn der maximal mögliche sportliche Erfolg dann ausbleiben wird. Und etwas entspannter an Schule, Ausbildung oder Studium und Karriereplanung heranzugehen, würde vielen vielleicht auch heute ganz gut tun, ob sie Spitzensportler*innen sind oder nicht.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - longbottom - 16.08.2019

(16.08.2019, 11:55)DerC schrieb: Und etwas entspannter an Schule, Ausbildung oder Studium und Karriereplanung heranzugehen, würde vielen vielleicht auch heute ganz gut tun, ob sie Spitzensportler*innen sind oder nicht.

Das mag schon sein. Man kann das aber genauso gut umdrehen und sagen, dass es auch gut tun kann, entspannter an den Sport heranzugehen anstatt nach dem größtmöglichen Erfolg zu schielen. Klar muss man dann vielleicht Abstriche bei den Ergebnissen machen. Aber das ist letztlich nichts anderes als bei der Karriereplanung, nur auf einer anderen Ebene.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Atanvarno - 16.08.2019

Wobei man auch entspannt ein gutes Abi machen kann.

Die Frage ist, inwieweit Enspannung im immer mehr verschulten BS/MS-Studium noch möglich ist. Als ich studiert habe, hat es keinen interessiert, ob man das Vordiplom gemäß Standard nach dem vierten Semester hatte, oder sich etwas mehr Zeit gelassen hat. Heute hingegen meinen viele, dass das ein Schandfleck in der Biographie ist, wenn man sich ein Semester mehr Zeit lässt, oder es ist sogar in der Studienordnung festgeschrieben bis zu welchem Semester bestimmte Prüfungen zwingend abzulegen sind.

Mein Arbeitgeber beispielsweise schaut aber vorrangig auf ganz andere Sachen, weil wir inzwischen auch vom Fachkräftemangel betroffen sind.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Knueppler - 16.08.2019

(16.08.2019, 11:21)longbottom schrieb:
(16.08.2019, 10:59)Knueppler schrieb: Wir haben damals mit mehr Biss und Hingabe trainiert. Schule und Uni kamen erst an zweiter Stelle. Das Abi haben wir ( ich meine damit meine damalige Trainingsgruppe) irgendwie hinbekommen, mit relativ schwachen Durchschnittsnoten. 
Nimm's mir nicht übel, aber die Frage ist, ob das wirklich etwas Positives ist. Beziehungsweise kann man niemandem verübeln, wenn er mehr Augenmerk auf das Leben nach der Leichtathletik legt.

Naja, wir waren später praktisch alle relativ erfolgreich im Beruf. Ein früherer Freund und langjähriger Trainingskollege ist jetzt Politologieprofessor und hat in unregelmäßigen Abständen Auftritte in einem Fernsehsender mit geringer Reichweite. Andere Beispiele gibt es (Ehemaliges Vorstandsmitglied in einem DAX-Tochterunternehmen usw.)
Wir haben erst vor den Uniabschlussprüfungen intensiv gelernt. Die hohe Motivation hat sich dann auch Beruf fortgesetzt.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - Jo498 - 16.08.2019

Es waren eben auch Zeiten mit 20-25% Abiturienten (oder noch weniger in den 70ern), so dass schon dieser Abschluss relativ viel wert war und ungeachtet der ersten arbeitslosen Akademiker in den 80ern ein akademischer Abschluss auch nach 18 Semestern meistens eine Garantie für einen relativ ordentlichen Beruf.
Wie man das gewichtet, ist ja müßig. Es ging um mögliche Erklärungen für Schwächen in bestimmten Disziplinen. Da ist es nun mal ein möglicher Faktor, dass seinerzeit dem Sport mehr Gewicht eingeräumt wurde bzw. auch relativ risikoarm eingeräumt werden konnte.
In den USA hätte jemand wie Reh sicher kein Problem, für mehrere Jahre durchaus lukrative Sponsorenverträge zu bekommen (sie wäre auf #3 in der US BL über 5k/10k). Wenn auch vielleicht nicht auf NOP-Niveau, doch sicher auf einem Level, dass die Frage, ob man für die Rente noch Teilzeit im Supermarkt arbeitet, gegenstandslos würde. Da ist einfach viel mehr Geld im System. Das passt in D praktisch nur beim Fußball, wo man schon unterhalb der dritten Liga recht solide Geld verdienen kann.


RE: Haben deutsche Läufer in den 70ern anders trainiert als heute? - MZPTLK - 16.08.2019

In den 60ern haben max. 5 % der Jahrgänge Abi gemacht.
Da konnte man kaum verhindern, einen gut dotierten Job zu bekommen.
Sogar Krampen und Knalltüten haben A12, 13, 14 ergattert.