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Paralympics - smiling_star - 28.08.2021

Da bisher noch nichts geschrieben wurde fange ich einfach mal an. Nach 1,5 Wettkampftagen gibt es noch keine deutsche Leichtathletik-Medaille zu feiern. Überhaupt scheint das deutsche Aufgebot eher kein und einseitig zu sein (die bekannten Prothesensprinter, wenige Rollstuhlsportler, wenige Werfer, wenige Springer, Mittel- und Langstrecke "stehend" wohl nicht vertreten). Einige Medaillen werden kommen. Ich denke beim Prothesensport hat Deutschland natürlich einen technischen Vorteil, das ist nicht überall möglich. Aber ansonsten werden wir abgehängt. Wahrscheinlich gibt es in anderen Ländern auch mehr Menschen mit angeborener oder jung erworbener Behinderung (mehr Unfälle, schlechtere Behandlung, Umwelteinflüsse...). Es ist sicherlich schwer in Deutschland Talente zu identifizieren, die meisten wird man nicht an klassischen "Behindertenschulen" finden, viele scheuen wohl den Gang in den Sportverein. 

Übrigens gibt es durchaus beeindruckende Leistungen, ein sehbehinderter Norweger ist die 100m in 10,45 Sekunden gelaufen, da werden nicht viele seiner sehenden Landsleute schneller sein. Mit Marla Runyan und Jason Smyth gab es auch schon Sehbehinderte, die bei internationalen Meisterschaften teilgenommen haben. Anders als bei Marcus Rehm spricht hier ja absolut nichts dagegen. 

Übrigens finden derzeit in Polen die Weltmeisterschaften der Gehörlosen statt. Hier gab es für Deutschland zwei Goldmedaillen durch Alexander Bley über 1500m und 3000m Hindernis. Insgesamt hinkt aber auch hier Deutschland eher hinterher, obwohl in vielen Disziplinen das Niveau nicht besonders hoch ist.


RE: Paralympics - Freaky - 28.08.2021

gehören die Gehörlosen nicht zu den Paralympics oder warum ist da parallel eine WM?


RE: Paralympics - longbottom - 28.08.2021

Nein, bei den Paralympics gibt es keine Gehörlosenwettkämpfe. Was für mich auch Sinn macht, denn der einzige Nachteil (auf sportliche Wettkämpfe bezogen) ist, dass man den Startschuss nicht hört. Und das ist Leichtathletik spezifisch und fällt bei vielen anderen Sportarten weg.


RE: Paralympics - Piroschka - 28.08.2021

Gibt es denn einen Nachteil, wenn man sich auf ein aufleuchtendes Licht, statt auf einen Startschuss konzentriert? Das könnte man ja problemlos integrieren.


RE: Paralympics - RalfM - 28.08.2021

(28.08.2021, 09:22)smiling_star schrieb: Ich denke beim Prothesensport hat Deutschland natürlich einen technischen Vorteil, das ist nicht überall möglich. Aber ansonsten werden wir abgehängt.

Die Förderung ist extrem selektiv und auf Medaillen-"Bänke" zentriert. Regina Vollbrecht, deren Trainer ich war, wurde z.B. für die Paralympics als Inhaberin der Weltbestzeit der Blinden (3:15) nicht für den ersten Frauen-Marathon der paralympischen Geschichte in Rio 2016 nominiert. Im Vorfeld der Spiele hatte man beschlossen, die blinden Läuferinnen (Klasse T11) gemeinsam mit den Sehbehinderten (Klasse T12 ) zu werten. Dies sind Läuferinnen, die auch ungeführt laufen können. Da eine Medaille nicht drin war, gab es auch keine Nominierung. Die Quali wäre zweieinhalb Minuten unter der Weltrekordzeit gewesen, und dann auch nur "eventuelle Berücksichtigung". Der Frauen-Marathon in Rio hatte dann eine einstellige Teilnehmerzahl.
Im Laufsport der Blinden ist Japan die Nummer eins, hat auch mit Natsumi Inouchi (3:12:55) seit 2020 den Weltrekord. Der Stellenwert des Laufsports wird dort anscheinend auch auf den Behindertenbereich übertragen. In Deutschland ist man als behinderter Sportler eher ein Fremdkörper. In Berlin hatten wir bei Großveranstaltungen mit dem SCC am Ende einen guten Draht, sehr gut auch zum Marathon in Frankfurt. Das hat aber viele Jahre des Aufbaus benötigt und bleibt immer inselhaft.
Nachwuchsförderung im Behindertensport ist äußerst zufällig. Ein/e Sportler/in muss auf irgendeinem Weg im Leistungsbereich angekommen sein. Dann wird der Verband (DBS) aufmerksam.
Irgendeinen Weg zu finden ist sehr schwierig. Als wir unsere Zusammenarbeit begonnen haben war Regina schon eine herausragende Sportlerin (zunächst im Triathlon). Aber erst in unserem Verein gelang es ihr, nicht nur einzelne persönliche Kontakte zu haben, sondern Teil einer Trainingsgruppe zu sein. Es gibt so viele Berührungsängste. Ich selbst hatte keine Angst, aber am Anfang keine Ahnung. Unsere Zusammenarbeit war immer 100%ig gegenseitig, ich habe von ihr anders zu Sehen gelernt.
Den paralympischen Athleten wird medial immer sehr freundlich zugewunken. Der Berliner Tagesspiegel, den ich abonniert habe, räumt dem Para-Sport gefühlt sogar mehr Raum ein als dem Oly-Sport (der Rest ist Hertha und Union). Tatsächlich, an der Basis, ist es ein sehr hartes Brot.


RE: Paralympics - Jonny - 28.08.2021

(28.08.2021, 09:22)smiling_star schrieb: Übrigens finden derzeit in Polen die Weltmeisterschaften der Gehörlosen statt. Hier gab es für Deutschland zwei Goldmedaillen durch Alexander Bley über 1500m und 3000m Hindernis. Insgesamt hinkt aber auch hier Deutschland eher hinterher, obwohl in vielen Disziplinen das Niveau nicht besonders hoch ist.
Es sind aber auch nur 5 Deutsche am Start, von daher gibt es kaum mehr Möglichkeiten, eine Medaille noch im Siebenkampf. Insgesamt werden die Disziplinen sehr von Ostländern dominiert. 
Es gibt aber auch wenige Gehörlosen Leichtathleten in Deutschland, da es kaum entsprechende Vereine gibt. Ein Training in einem normalen Verein ist kaum möglich, da die meisten weder Hören noch Sprechen können. Dementsprechend ist eine Kommunikation mit normalen Trainern kaum bis schlecht möglich.


RE: Paralympics - RalfM - 28.08.2021

(28.08.2021, 11:21)Jonny schrieb: Ein Training in einem normalen Verein ist kaum möglich, da die meisten weder Hören noch Sprechen können. Dementsprechend ist eine Kommunikation mit normalen Trainern kaum bis schlecht möglich.

Siehe meinen vorherigen Beitrag. "Normal" ist ja neuerdings ein problematisches Wort. Als ich die von Geburt an vollständig blinde Regina Vollbrecht in unsere Gruppe mitgenommen habe, war ich ja selbst noch im Training. Und für die ganze Gruppe da.
Die Gruppe hat dann gezeigt, was sie kann. Nicht jeder ist geeignet, eine blinde Läuferin zu führen. Man muss selbst schneller laufen können und sich dabei sicher sein. Das Gefühl der Sicherheit überträgt sich. Mit Regina war ich in manchen Laufmomenten wie ein Doppel-Organismus. Einige aus der Gruppe haben das im Training dann auch erfahren, in erster Linie ist es eine Frage der Empathie. Allein hätte ich die Verantwortung nicht schultern können, aber wir haben dann in Gegenseitigkeit operieren können über einige Jahre. Kommunikation geht immer.


RE: Paralympics - RalfM - 28.08.2021

(28.08.2021, 10:55)Piroschka schrieb: Gibt es denn einen Nachteil, wenn man sich auf ein aufleuchtendes Licht, statt auf einen Startschuss konzentriert? Das könnte man ja problemlos integrieren.

Der Gehörlosen-Verband will sich vielleicht gar nicht integrieren. Kann ich gut verstehen.
Auf den (sehr) langen Strecken ist Nele Alder-Baehrens als Gehörlose über viele Jahre deutsche Spitze
https://de.wikipedia.org/wiki/Nele_Alder-Baerens


RE: Paralympics - Walker - 28.08.2021

<...>


RE: Paralympics - smiling_star - 28.08.2021

(28.08.2021, 11:21)Jonny schrieb:
(28.08.2021, 09:22)smiling_star schrieb: Übrigens finden derzeit in Polen die Weltmeisterschaften der Gehörlosen statt. Hier gab es für Deutschland zwei Goldmedaillen durch Alexander Bley über 1500m und 3000m Hindernis. Insgesamt hinkt aber auch hier Deutschland eher hinterher, obwohl in vielen Disziplinen das Niveau nicht besonders hoch ist.
Es sind aber auch nur 5 Deutsche am Start, von daher gibt es kaum mehr Möglichkeiten, eine Medaille noch im Siebenkampf. Insgesamt werden die Disziplinen sehr von Ostländern dominiert. 
Es gibt aber auch wenige Gehörlosen Leichtathleten in Deutschland, da es kaum entsprechende Vereine gibt. Ein Training in einem normalen Verein ist kaum möglich, da die meisten weder Hören noch Sprechen können. Dementsprechend ist eine Kommunikation mit normalen Trainern kaum bis schlecht möglich.

Die meisten Deutschen mit Startberechtigung bei den Gehörlosen können wahrscheinlich ziemlich gut sprechen und auch hören, die Technik macht es möglich (so auch die beiden dt. Medaillengewinner und Nele Alder-Baerens). Oft ist ihnen der Gehörlosensport nicht bekannt, da sie sich selbst nicht als gehörlos identifizieren und keinen Kontakt zu anderen Betroffenen haben.