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Olympia in Peking - Druckversion

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Olympia in Peking - ThomZach - 02.02.2022

Schon 1968 hatte ich ernsthaft in Erwägung gezogen, die Olympiareise nach Mexiko abzusagen. Damals waren die Misshandlung der Farbigen in den USA und der Vietnam-Krieg Grund genug dafür. Hinzu kam auch noch die gewaltsam unterdrückten Studentenproteste im Lande, die mir gerechtfertigt erschienen. Ich hab mich dann doch für die Teilnahme entschieden, weil ich einsah, dass ich gar nicht berühmt genug und aussichtsreich auf eine Medaille war, um mit dem Boykott angemessenes Aufsehen zu erregen. Außerdem wollte ich doch auch erfahren wie es ist, bei einem solchen WeltEvent mitzumachen. Und ich habe es nicht bereut, denn später nur sagen zu können, “ich wäre dabeigewesen, wenn ich nicht verzichtet hätte.”– das wäre mir auch nicht genug gewesen. Wenigstens dabeisein – das wollte ich mir erlauben. Um dann demonstrativ Schluss zu machen mit dem Leistungssport.
Auch das hab ich leider nicht geschafft, denn “ich war jung und brauchte das Geld.” Also blieb ich dem Olympischen Sport treu, auch weil ja nun vier Jahre später die Spiele in München, also vor der eigenen Haustür, stattfinden sollten. Und ausgerechnet da wollte ich durch Abwesenheit glänzen?! Ich tat nun aber genau dieses, denn die Olympische Bewegung selbst, in Form der Deutschen Sportfunktionäre, grub mir letztlich das Wasser ab, indem sie mir die Förderung kürzten und hinterrücks gegen mich agitierten, damit auch ja kein eindeutig „Linker Student“ bei Olympia für Deutschland starte oder gar eine Medaille gewinne. Diesen Intrigen verdanke ich aber letztlich auch, dass mir das Attentat erspart geblieben ist, und damit ein weiteres Debakel im Vorkampf, denn in einer derart katastrophalen Stimmung hätten meine Nerven und Gefühle eh keine ausreichende Leistung erlaubt.
Heute bin ich immer noch stolz, wenigstens in Mexiko dabeigewesen zu sein, Und es war ja auch bis auf den eigentlichen Wettkampf und die fehlende Betreuung eine tolle, abenteuerliche Zeit. Auch fühlte ich mich wohl im Kreise alter Kollegen bei den zweijährlichen Treffen der Gemeinschaft Deutscher Olympiateilnehmer. Aber mit den Tetrakaden die ins Land zogen, wurde mein Entsetzen über die Entwicklung der Olympischen Bewegung immer größer, beißender, beschämender. Und das führte dazu, dass ich irgendwann aus der erwähnten Gemeinschaft ausgetreten bin. Still und leise – nicht unter Protest. Hätte ja auch wieder niemanden aufgerüttelt oder gar aufgewühlt. Im Gegenteil: Die Entwicklung ging immer weiter, wurde immer schlimmer und erreicht in diesen Wochen einen neuen Höhepunkt der Unerträglichkeit.
Herrgott, wie leicht wäre es heute für mich gewesen, Olympia zu boykottieren. Leichter jedenfalls als ein so berühmter Olympionike zu werden wie Felix Neureuther. Das hatte ich natürlich für 1972 vor, und dann hätte ich diesen Ruhm genauso genutzt wie jetzt unser Ski-Ass mit seiner kritischen TV-Sendung zu den aktuellen Winterspielen. Ja, ich führte solches und ähnliches schon im Schilde, als ich mich 1971 beim ZDF zum Volontär bewarb. Nun sehe ich wie es auch gegangen wäre, nämlich mit einem Radaktionsteam im Rücken anstatt unter meiner Leitung. Nur: Damals hätte es ein solches Team gar nicht gegeben, weil die politische Freiheit von heute damals noch nicht in den öffentlich-rechtlichen Anstalten angekommen war. Weshalb mir die Einstellung zum Volontär ja auch verwehrt blieb. Außerdem waren die politischen Verhältnisse in Deutschland ja damals lange nicht so schlimm wie die im China von heute.
Jedenfalls hatte ich mir meinen 2. Olympiaauftritt so vorgestellt, dass ich auf dem fest eingeplanten Siegertreppchen irgendeine eindeutige Geste gemacht hätte, um meine Sorge und Ablehnung zu demonstrieren, um mich dann später von der Presse dazu befragen zu lassen. Dass das alles allerdings nur dümmliche Hirngespinnste waren, hätte ich Ende 1971 als Gast im Aktuellen Sportstudio schon merken müssen, als ich als Mitglied der 30köpfigen Jury zur Wahl der Olympiafanfare von Hary Valerien befragt wurde, was mir zu den drei Vorschlägen zur Wahl denn einfiele erwiderte, die Zusammensetzung der Jury sei nicht repräsentativ für das Volk oder die Nation, weil keine Arbeiter und Bauern vertreten waren. Und dabei war ich dermaßen aufgeregt, dass ich daraus hätte schließen müssen, dass mich das Vorhaben einer ähnlichen Protestaktion am olympischen Wettkampftag völlig die Konzentration gekostet hätte.
Diese Aufregung kam daher dass ich schon wusste, wieviele Menschen in Deutschland, inklusive meiner Eltern, so eine Äußerung voller Empörung ablehnen würden. Schließlich waren die zwei farbigen 200m-Medaillisten in Mexiko umgehend aus der US-Mannschaft ausgeschlossen und zur sofortigen Abreise gezwungen worden. Das Aufbegehren gegen die staatliche oder olympische Obrigkeit galt ja schon damals wie heute als sportliche Todsünde. Und wer sich wie ich erst einmal als Linker geoutet hatte, der wurde weit übers Land geächtet und mit Aufforderungen wie „Geh doch nach drieben!“ gepiesackt.
Obwohl ich also wusste, dass der Faschismus und Nationalkapitalismus noch lange nicht ausgerottet waren – weder durch den verlorenen Krieg noch durch die Nürnberger Prozesse – sondern dass es überall noch die Schurken von damals wieder in die leitenden Ämter der Staatsverwaltung und der Industrievorstände geschafft hatten, sah ich mich nicht nur im Recht und verpflichtet sondern guten Mutes im Hinblick auf die politische Zukunft. Ich kannte halt nur die Träume und Theorien. Die historische und aktuelle Praxis und Realität sah ich nicht – wollte sie nicht sehen. Wollte träumen und hoffen und dabeisein, wenn es mit der Weltrevolution endlich ernstwerden würde. Dabei hätten mir schon Zweifel daran kommen müssen, dass meine Eltern aufrechte Demokraten und überzeugte Humanisten waren, denn sie wurden mir gegenüber immer reservierter, fuhren langsam aber sicher ihre Unterstützung auf ein Minimum zurück, fanden meine olympischen Ambitionen gar nicht mehr so edel wie früher noch und vermieden es trotzdem, mit mir über all dies das Gespräch zu suchen. Und ich suchte es auch nicht – vielleicht weil ich die simple Realität nicht sehen und noch hören wollte und die Enttäuschung nicht verkraftet hätte, aus all meinen Träumen gerissen zu werden.
Heute im umfassenden, abgeklärten Rückblick erkenne ich, dass ich seit meiner Einschulung schleichend aber zunehmend verstockter wurde. Mit meiner schulischen Rettung durch den Umzug in ein Internat in Italien entstand bei mir aber ein geistiger Schaden. Ich war gerade mal 12. Und anstatt mich geistig weiterzuentwickeln, erlernte ich nun, alles was ich damals wusste und konnte, in einer neuen Sprache auszudrücken, und blieb damit auf der zuvor erreichten mentalen Kompetenzstufe kleben. Dasselbe ereignete sich nach vier Jahren auf italienischen Schulen dann noch einmal, als ich mit 16 auf eine französische Schule geschickt wurde. Nun konnte ich all meine Dummheit, die ich für Bildung und Klugheit hielt, in einer weiteren, der dritten und vierten Sprache ausdrücken – Englisch konnte ich schon immer ganz gut, und es wurde in Paris von allen internationalen Schülern in der Freizeit gesprochen.
Am Ende machte ich mit Bravour das französische Baccalauréat und das deutsche Abitur, war aber sozial total inkompetent, weil ich mich nicht spontan auszudrücken wusste, meine Meinungen nicht vortragen, meine Überzeugungen nicht verfechten und mein Rechte nicht durchsetzen konnte. Keine Wunder, dass all meine Energie in die Beine floss, um dort in Form von überdimensionalen Sprüngen zu explodieren. Und mit diesem genialen Rüstzeug sollte ich nun an der FU (Freie Universität) Berlin Jura und Philosophie studieren. Und später in Mainz Publizistik und Politikwissenschaft. Zum Lachen, wenn es nicht so ernst und traurig gewesen wäre.
Als die Explosionen in den Beinen nachließen sah ich ein, dass ich eine gründliche Psychotherapie brauchte. Aber mich vor anderen, vor allem meinen Eltern, dazu zu bekennen – dazu war ich nicht im Stande. Ich hangelte mich also von Vorlesung zu Seminar, von Einzel- zu Gruppensitzungen, natürlich in den als am fortschrittlichsten geltenden Therapie-Techniken nach Wilhelm REICH. Alexander Lowen, Ida Wolf, Moshe Feldenkrais, Will Schutz, Eric Berne, Baghwan Shree Rashneesh et alt. (Körperzentrierte Charakteranalyse). Und als ich von alledem genug verstanden zu haben glaubte, zog ich in ein einsames Haus auf Lanzarote, um ein Buch darüber zu schreiben, das die Welt verändern sollte – natürlich zum Guten und Besten.
Das ist nun auch wieder schon fast 40 Jahre her und entsprechend überholt. Ich glaube nicht mehr daran, dass der Mensch in der Zivilisation zum armen Opfer fehlgeleiteter Erziehungsversuche wird, sondern dass er seinen Charakter über die Gene mitbringt und niemals ablegen oder verändern kann. Und wenn es ihm gelingt, sein Verhalten zu ändern, dann ist der Erfolg aufgesetzt, aufgezwungen, also ein Falsches Spiel, welches ihn erst recht krank macht. Es sei denn, er hat dabei nur altes Verhalten abgelegt, das bereits falsch und aufgesetzt war. Unser Wesen ist nicht „halb erworben und halb angeboren“. Es ist ganz und gar angeboren. Und es wird durch Veränderungsversuche nicht besser – es geht ihm dadurch nur schlechter. Wer zum Mörder oder Krieger geboren ist und das ändern will, wird durch Selbstverleugnung und Selbstunterdrückung zum Mörder an sich selbst. Und wer den Hass liebt, der gehe ins Internet und versprühe ihn dort. Das ist für alle immer noch das kleinste Übel.
Worum geht ’s hier eigentlich? Ach ja: Um Olympia! Und ich bin froh, dass es diesmal in China stattfindet, also zu Tageszeiten, wo es hier noch Schlafenszeit ist. Und damit werde ich es halten.
Seid gegrüßt, Konsorten und Konsortinnen! Und lasst Olympia den Bach runtergehen...


RE: Olympia in Peking - MZPTLK - 02.02.2022

Zitat:Ich glaube, dass er seinen Charakter über die Gene mitbringt und niemals ablegen oder verändern kann.
Unser Wesen ist nicht „halb erworben und halb angeboren“. Es ist ganz und gar angeboren.

Einspruch, Euer Ehren!
Denk nochmal darüber nach.


RE: Olympia in Peking - ThomZach - 02.02.2022

(02.02.2022, 18:35)MZPTLK schrieb:
Zitat:Ich glaube, dass er seinen Charakter über die Gene mitbringt und niemals ablegen oder verändern kann.
Unser Wesen ist nicht „halb erworben und halb angeboren“. Es ist ganz und gar angeboren.

Einspruch, Euer Ehren!
Denk nochmal darüber nach.

NOH mal? Wie oft und wieviele Leben denn noch? Weißt Du es denn besser? Kannst doch auch nur spekulieren und glauben.
Also: wie wär 's wenn mal die Anderen ihre Arbeit machen? ... Cool

Deine spontan-pauschale Ablehnung des Gedankens, das der Mensch sich nicht verändern kann, ist schon der erste große Trick, um das Fundament für die Begründung der eigenen Unveränderbarkeit und Unbelehrbarkeit zu gießen. Aber das zeigt nur, dass Du und jeder der so denkt, einfach nicht gründlich genug geforscht habt - und dazu gehören ja auch ein paar Jahre als Therapie-Klient und Azubi. Vielleicht fehlt hier einfach noch ein ehrlicher Rückblick in das eigene Leben und auf die Frage, ob es in dessen Verlauf wirklich bei mir oder jemand anderem zu einer wesentlichen Veränderung gekommen ist.
Außerdem hab ich ja eingräumt, dass das Verhalten geändert werden kann. Dass sich dabei auch das Wesen ändert, kann nur schwer bewiesen werden. Im Gegenteil: Aufgesetzte Verhaltensänderungen machen seelisch und körperlich krank oder untergraben die mentalen Kompetenzen. Übrigens: Das Bestehen auf Veränderbarkeit ist eine ganz perfide Taktik, um den Anderen (Freunden, Kollegen, Partnern) die Forderung nach Veränderung unterzujubeln, wenn sie damit scheitern und sich nicht ändern. Dann hört man Frechheiten wie: "Wenn du dich genug anstrengen würdest, dann würdest Du es auch schaffen." Das ist der Vorschlaghammer im kalten Krieg der Ehen und Familien und in der Resozialisation der Straftäter.
Ob nun ich oder Du/Ihr anderen Recht haben, ist letztlich auch insgesamt egal, weil davon aber auch gar nichts in der Welt abhängt - außer die private Art mit den Problemen des Lebens fertigzuwerden. Die Menschheit ist seit tausenden von Jahren auf demselben Irrweg und hat nichts dazugelernt. Und deshalb wird sie auch triumphieren, wenn sie die Welt endlich zerstören wird... Ist doch nur eine Frage der Zeit: Früher oder später - Gott ist das egal. ER schafft sich einfach in einer Woche eine neue. Thumb_up


RE: Olympia in Peking - Drizzt - 02.02.2022

Warum wolltest du olympische Spiele in Mexiko boykottieren, weil in den USA Menschen misshandelt worden sind?  Huh


RE: Olympia in Peking - Sprunggott - 03.02.2022

Danke an @ThomZach für den geschichtlichen Rückblick, und die damit verknüpften Erinnerungen. 
So etwas steht in keinem Buch, und deshalb sind solche Beiträge ein kleines Privileg für uns Leser.


RE: Olympia in Peking - Mkfan - 03.02.2022

Wesen, Gene, festgelegt, kein freier Wille, keine Möglichkeit zur Vernunft etc. pp.

Ein merkwürdiges Weltbild, das sich vor allem auf einseitige Kenntnisnahme menschlichen Scheiterns bezieht. Natürlich gehört das Scheitern zu uns dazu. Es macht uns aber ebensowenig gänzlich aus wie das Gelingen, für das die Zivilisationsgeschichte ebenso viele - wenn nicht noch mehr - Beispiele bereithält. 
Es steht mir nicht zu (eigentlich niemandem), andere charakterlich zu beurteilen oder gar abzulehnen. Aber misanthropische Züge können enttäuschter Liebe zum Menschen ebenso entstammen wie einem vielseitig begabten Dilettantismus, der überall interessiert auf Oberflächen umherkrabbelt und sich voreilig eine Meinung bildet, sich aber nirgends die Arbeit zumutet, wirklich tief zu schürfen. 
Mich persönlich enttäuschen solch existentielles Gejammer und die zugleich mit ihm einhergehenden Urteile über das, was sich nicht beweisen lässt, sondern bloßer Glaube ist (s. o.). Wir haben nicht alles in der Hand. Aber vieles!


RE: Olympia in Peking - MZPTLK - 03.02.2022

Mkfan Thumb_up

1. Wir haben uns über die Ursuppe, den Einzeller, die Kaulquappe,
    usw bis zum heutigen Menschen mit seinen unzähligen Unzulänglichkeiten und Fehlern entwickelt.
    Forschung, Wissenschaft, Erziehung, Bildung, Medien, Kommunikation
    haben verschiedenen Menschen Gelegenheit gegeben, verschiedene Entwicklungen
    - im Guten und im Schlechten - zu machen.
2. Wenn wir davon ausgingen, dass sich der Mensch nicht erziehen und bilden liesse,
    könnten wir uns den ganzen Aufwand sparen und auf Demokratie, Bücher, Medien
    und mehr oder weniger sinnvolle Kommunikation verzichten.


RE: Olympia in Peking - ThomZach - 03.02.2022

(02.02.2022, 23:54)Drizzt schrieb: Warum wolltest du olympische Spiele in Mexiko boykottieren, weil in den USA Menschen misshandelt worden sind?  Huh

Das wäre schon Grund genug gewesen. Und damals noch schlimmer als heute. Aber es gab jede Menge anderer Gründe. Schon vergessen? Die US-Gesellschaft hat zur Hälfte Trump gewählt und würde ihn wieder wählen. Und wer wird gewählt? Der mir am ähnlichsten ist...


RE: Olympia in Peking - RalfM - 03.02.2022

(03.02.2022, 12:30)MZPTLK schrieb: 1. Wir haben uns über [...] bis [...] entwickelt.
   
2. Wenn wir davon ausgingen, dass sich der Mensch nicht erziehen und bilden liesse,
    könnten wir [...] auf [...] sinnvolle Kommunikation verzichten.

1. "Wir" haben uns entwickelt? Erstens weiß ich nicht, wer "wir" sind, zweitens nicht, wie das gegangen sein soll. Wir "uns" entwickelt? Zeiten haben uns verändert, sowas könnte ich vielleicht mittragen.

2. Ich kommuniziere gerade mit meinem Kater. Erziehung hat er angenommen, aber ob ich ihn bilden könnte? Trotzdem verzichte ich nicht auf sinnvolle Kommunikation mit ihm.

3. Der hüpft auf Regale, die bei meinem Besteigungsversuch bestenfalls zusammenbrechen würden.


RE: Olympia in Peking - ThomZach - 03.02.2022

(03.02.2022, 12:30)MZPTLK schrieb: Mkfan Thumb_up

1. Wir haben uns über die Ursuppe, den Einzeller, die Kaulquappe,
    usw bis zum heutigen Menschen mit seinen unzähligen Unzulänglichkeiten und Fehlern entwickelt.
    Forschung, Wissenschaft, Erziehung, Bildung, Medien, Kommunikation
    haben verschiedenen Menschen Gelegenheit gegeben, verschiedene Entwicklungen
    - im Guten und im Schlechten - zu machen.
2. Wenn wir davon ausgingen, dass sich der Mensch nicht erziehen und bilden liesse,
    könnten wir uns den ganzen Aufwand sparen und auf Demokratie, Bücher, Medien
    und mehr oder weniger sinnvolle Kommunikation verzichten.

Beinahe richtig. Aber auch die Evolutionstheorie ist nur eine Religion und mehr als diese falsifiziert. Egal. Lasst uns "tiefer schürfen".
Wenn es zur Argumentation kommt, geht automatisch das Fundamentale Denken verloren. Und dann geht es abermals darum, von den Argumenten zurückzufinden, ja zu führen, zur Essenz. Diese steckt in den fundamentalen Begriffen und ihre Kenntnis erspart einem oft direkt das Argumentieren. Wenn nun also das WESEN als das verstanden wird, was am Charakter des Menschen angeboren, also von den Genen bestimmt und daher unveränderlich ist, wird jede Aussage zu seiner Unveränderlichkeit zur Tautologie – und die ist kein Argument, nur eine Bestätigung dessen, was folglich ja gar nicht infragesteht/in Frage steht.
Wenn nun Erworbenes durch Üben und andere mentale Motive zu etwas scheinbar Eigenem wird („in Fleisch und Blut übergeht“, wie man so sagt) dann muss es zu einem inneren Konflikt kommen, denn das Erworbene kann nur im Widerspruch zum Wesentlichen stehen, sonst wäre es ja angeboren wesentlich und hätte nicht erworben zu werden brauchen. Dieser Konflikt, der einer von mehreren oder gar vielen sein kann, stellt den Menschen vor eine mentale Aufgabe, die neben den alltäglichen „Geschäften“ zu erledigen ist und mentale Energien und Aufmerksamkeit erfordert und verbraucht, und dabei vom Wesentlichen ablenkt. Auch im Unbewussten.
Nun haben wir uns schon im letzten Jahrhundert daran gewöhnt, die FREUDsche Neurosentheorie auf die ganze Entwicklung und Entfaltung der menschlichen Seele anzuwenden. D.h. Wir glauben mit aller Festigkeit daran, dass alle Kinder unschuldig und im Grunde GUT geboren werden, und dass äußere Einflüsse wie Erlebnisse, Erfahrungen und Traumata charakterbildend und charakterbestimmend sind. Diese Zwangshypothese ruht auf zwei Pfeilern. Der erste ist die kategorische Ablehnung der HITLERschen Rassentheorie. Nichts, ja nicht einmal die Talente, dürfen seit dem Dritten Reich als angeboren gelten. Alles muss auf Erfahrung beruhen. Nur so kann man darauf hoffen, eine bessere Gesellschaft zu formen und eine bessere Menschheit zu schaffen. Das ist das große, eherne Nachkriegs-Credo: Alles ist Einflussnahme!
Der zweite Pfeiler ist die unbewusste Tendenz, um den Preis der Objektivität und Wissenschaftlichkeit jeden Charakterzug oder Persönlichkeitsaspekt auf ein frühkindliches Trauma oder eine günstige oder schädliche Erziehungsmaßnahme zurückzuführen, also kausal dafür verantwortlich zu machen. Und damit haben wir ein für alle Mal die frühkindlichen Bezugspersonen und die späteren Erzieher zu den Hauptschuldigen an jeglicher Auffälligkeit oder Missbildung zu machen. Alle sind wir Opfer unserer Umwelt. Aber!
Es ist auch bekannt, dass nicht jede Kontiguität auch eine Korrelation ist, und nicht jede solche eine Kausalität. Aber wenn 's uns in den Kram passt, machen wir gerne aus jedem Erlebnis eine determinierende Urszene, ohne zu prüfen, ob auch noch andere Kausalitäten infrage kommen. Und für jede menschliche Eigenart die uns unterkommt, suchen wir spontan und notorisch nach den Ursachen, also den grundlegenden Einflüssen. Ein Kriminalinspektor würde sich das nie erlauben. Aber die Millionen Amateur-Analytiker haben ja keine Entlassung zu fürchten, dürfen weiter an ihren Kindern herumerziehen und versuchen, ihnen die bereits anerzogenen Macken wieder abzuerziehen. Womit der Schaden nur noch immer größer wird. Aus Neurosen werden Psychosen und schlimmeres. Wenn das denn stimmt mit der Theorie der Traumata.
Stimmt es aber nicht, dann müssen wir nach anderen Erklärungen dafür suchen, dass uns die menschliche Persönlichkeitsentwicklung vorkommt wie Töpferei oder Bildhauerei. Wie Willkür und Zufall. Und dabei darf eben nicht die Beeinflussungslehre richtungsweisend sein. Die Hypothese sei vielmehr, dass diese Lehre von Grund auf falsch ist. Da taucht als nächstes sofort die Frage auf, wie es denn nun aber kommt, dass wir alle so von ihr überzeugt sind und nichts Anderes mehr in Betracht ziehen wollen? Und die Antwort gleicht einer Katastrophe: Weil dann tausende von Büchern und Theorien und Millionen von falsch interpretierten Erfahrungen für den Museumskeller sind, alle Pädagogen, Lehrer und Psychologen arbeitslos würden und neu ausgebildet werden müssten. Millionen Experten würden ihren Job verlieren, ja ihre Berufe die Existenzberechtigung. Das ist wie überall, auf jedem Feld menschlicher Entwicklung: Konservativismus und Reaktionismus behindern jeden Fortschritt. Und vielleicht ja sogar zu Recht. Denn wäre eine umfassend erneuerte Vererbungslehre in der Psychologie denn ein Fortschritt für die Gesellschaft und die Zukunft der Menschheitsgeschichte? Wahrscheinlich nicht! Es bliebe zur Veränderung des Kurses und zur Gestaltung von Individuum und Gesellschaft ja nur die Möglichkeit der Genmanipulation, der Eugenik und der Talente und Charaktere auf Bestellung. Und das kann auch niemand wollen, es sei denn er meinte, man müsse dem Lieben Gott nun doch endlich mal so richtig ins Handwerk pfuschen, damit hier auf Erden Vernunft, Glück, Frieden und Liebe an die Macht kommen mögen. Gott ist aber Eins mit der Dualität. Auch ER kann ihr nicht entkommen noch kann er sie abschaffen oder austricksen. Und so werden das Wünschenswerte und das Abscheuliche weiter die Pole unserer Existenz bilden.
Der Vorteil der Bevorzugung der Genetik als Ursache aller Diversität ist, dass es dadurch leichter fällt zu verzeihen, hinzunehmen, alles und jeden so sein zu lassen. Am Unabänderlichen nicht zu verzweifeln und Menschen zu lieben, auch wenn sie nicht genau so sind wie wir sie gerne hätten.
„Du bist so und nicht anders. Und ich liebe dich wie Gott dich schuf. Und auch das wird uns nicht aus der Dualität befreien. Und wenn ich noch so tiefgründend verstehe, warum du so bist und tust, und woher das kommt, was ich an dir nicht mag, so wirst du doch bleiben wie du bist. Ich kann mich ja auch nicht ändern.“