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Mündige AthletInnen? - Druckversion

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Mündige AthletInnen? - MZPTLK - 17.09.2014

'Alles Streben muss auf die Selbsttätigkeit des Schülers zielen...
Mechanisch-drillhaftes Erarbeiten widerspricht dem Individualisierungsdrang des Sports - jeder soll im Sport zu sich selber geführt werden.

Sportlehrer, glaube nicht, dass Dir viel Wissenschaftliches zu lernen erspart bleibt: Anatomie, Physiologie, ...Pädagogik, Psychologie, Soziologie... Sehe dem ins Auge, dass Du Philosophie zu studieren hast, dass Du mit dem Menschen als solchen, der Welt... im reinen sein musst..

Wer in die schöne Lage kommt, ein Talent zur Höchstleistung zu fördern, ja nur einen Leistungsfreudigen zu beraten, muss dies in der notwendigen Selbstbescheidung tun. Er darf niemals glauben, dass er aus noch so viel Erfahrung und noch so sicherem Instinkt ohne die Selbstkritik des Übenden auskommt.
Ja, wenn er sich ihm noch so überlegen fühlen mag, ist es seine sittliche Pflicht, ihn so weitgehend und so früh wie möglich zur Selbstentscheidung zu bringen.
Das letzte Wort zum Trainingsprogramm hat der Trainierende.

Der Trainer muss sich so früh wie möglich überflüssig machen, und es gibt kein traurigeres Bild als ein Sportsmann, der sich ohne seinen Trainer verloren vorkommt.
Manche Hysterie und Angeberei des Athleten rührt daher, dass ihm der Trainer das Selbstgefühl abgekauft hat.
Kein Sieg, welcher es auch sei, ist eine Beeinträchtigung der Selbstentwicklung des Athleten wert.

Wir dürfen ihn nicht zum willenlosen Werkzeug unserer Trainerkunst machen. Wir sollen ihm ratendie Entscheidung liegt bei ihm.
So sind Trainer und Athlet sich gegenseitig respektierende Kameraden.
Das ist ein menschlich würdiges und menschlich nützliches Verhältnis.

Was ist das für ein ''Athlet'' und was für ein ''Sieger'', der alles seinem Trainer verdankt.
Auch der Trainer muss die Pflichten des Erziehers bejahen - die Sportleistung muss auf eigenen Entschlüssenund eigenem Willen beruhen.
Ausserdem - der Athlet muss für sich verantwortlich bleiben und gelernt haben,
auf die Stimme seines Körpers und seines Gewissens zu hören und ihr zu folgen.'


(Carl Diem: Wesen und Lehre des Sports, Berlin 1960, S. 193-196)


Carl Diem hatte sich an gleicher Stelle auch u.a. für den Frauenfussball stark gemacht.
Er war eine ziemlich ambivalente Persönlichkeit.
Er hatte sich in der Nazizeit einige braune Flecken geholt
und noch im März 1945 den Sport als Zubringer des totalen Krieges instrumentalisiert und heroisiert.
Andererseits gilt er als Begründer des Sportabzeichens und des olympischen Fackellaufs.
Er war von 1947 bis zu seinem Tod 1962 Gründer und Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln.


RE: Mündige AthletInnen? - MZPTLK - 17.09.2014

Carl Diem hat viele hohe -auch internationale- Auszeichnungen erhalten, viele Strassen sind nach ihm benannt.

Er hat sich nie zu seinen Verfehlungen geäussert, erst spät haben sich Jounalisten und Historiker tiefergehend mit seiner nationalistisch-militaristisch motivierten Kollaboration auseinander gesetzt.

2001 hat das Präsidium des DLV den Ehrenpreis 'Carl-Diem-Schild' für verdienstvolle Funktionäre in Ehrenschild umbenannt.

Die Deutsche Sporthochschule Köln tut sich schwer mit der Aufarbeitung und der Bewertung ihres Gründers und langjährigen Chefs.


RE: Mündige AthletInnen? - Hellmuth K l i m m e r - 19.09.2014

(17.09.2014, 19:36)MZPTLK schrieb: Er hat sich nie zu seinen Verfehlungen geäussert, erst spät haben sich Journalisten und Historiker tiefergehend mit seiner nationalistisch-militaristisch motivierten Kollaboration auseinander gesetzt.
Einer der couragierten Journalisten war der Mitautor des Buches 

Der Sport-Führer * Die Legende um Carl Diem,

der ehemalige Kölner Sportstudent, Wolfgang Bausch. Er schilderte im Buch (und bei einer Veranstaltung am 10.7. 2001 in der Steglitzer Friedrich-Bayer-OS) wie er im Januar 1994 vor der DSH Köln tatsächlich die dort verweilende "Olympische Flamme" mit einem Eimer Wasser gelöscht hatte - als Protest gegen DIEMs Ehrung.

--------------
Bibliog. Angaben: Achim Laude/Wolfgang Bausch; Verlag Die Werkstatt; Göttingen 2000 - ISBN 3-89533-295-X

H. Klimmer / sen.


RE: Mündige AthletInnen? - MZPTLK - 21.09.2014

(19.09.2014, 21:35)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Einer der couragierten Journalisten war der Mitautor des Buches 

Der Sport-Führer * Die Legende um Carl Diem,

der ehemalige Kölner Sportstudent, Wolfgang Bausch. Er schilderte im Buch (und bei einer Veranstaltung am 10.7. 2001 in der Steglitzer Friedrich-Bayer-OS) wie er im Januar 1994 vor der DSH Köln tatsächlich die dort verweilende "Olympische Flamme" mit einem Eimer Wasser gelöscht hatte - als Protest gegen DIEMs Ehrung.
Verdienstvolle Arbeit, aber natürlich keine umfassende Biographie.
Die muss erst noch geschrieben werden - von MZ....? TongueBig Grin


RE: Mündige AthletInnen? - Hellmuth K l i m m e r - 21.09.2014

(21.09.2014, 09:45)MZPTLK schrieb: Verdienstvolle Arbeit, aber natürlich keine umfassende Biographie.
Die muss erst noch geschrieben werden - von MZ....? TongueBig Grin
... was aber genaueste Insider-Kenntnis der DSH Köln erfordern würde. Hast du sie?

H. Klimmer / sen.


RE: Mündige AthletInnen? - MZPTLK - 21.09.2014

(21.09.2014, 10:07)Hellmuth K l i m m e r schrieb:
(21.09.2014, 09:45)MZPTLK schrieb: Verdienstvolle Arbeit, aber natürlich keine umfassende Biographie.
Die muss erst noch geschrieben werden - von MZ....? TongueBig Grin
... was aber genaueste Insider-Kenntnis der DSH Köln erfordern würde. Hast du sie?
Genaueste Insider-Kenntnis im vorhinein ist nicht notwendig, die kann man sich beschaffen. Voraussetzung: Forschungsauftrag. Im Prinzip kann das jeder Berechtigte, z.B. auch ein 'einfacher' Student, der eine Seminararbeit verfassen möchte.
Die Frage ist, inwieweit die 'Keeper of the Giftschrank' (Rektor Prof. Dr. Strüder, Professoren für Sportgeschichte Laemmer und Wassong) Einblicke gewähren.
Aber auch ausserhalb des 'Alllerheiligsten' wie z. B. im Bundesarchiv dürften viele Quellen zugänglich sein. Zeitzeugen wie den auch schon mal fragwürdiges Liedgut gesungen haben sollenden Prof. Dr. Hollmann gibt es ja immer weniger.