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Leichtathleten als Philosophen? - Druckversion

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RE: Leichtathleten als Philosophen? - Pollux - 03.06.2014

(03.06.2014, 12:41)MZPTLK schrieb: Ohne Kalkül gibt es kein Ethos, weil Ethos sowohl auf Gründe baut wie auf Wirkungen zielt(MZPTLK).
Tongue

Ich weiß nicht, auf was du rauswillst. Für die Realität eines Ethos’ gibt es immer Gründe. Ebenso wie es Wirkungen gibt. Das ist trivial. Wieso sich die notwendigerweise auf ein Kalkül beziehen, ist mir allerdings schleierhaft. (Es käme aber vielleicht auf den Begriff „Kalkül“ an) In Bezug auf die Frage nach der Geltung eines Ethos’ ist die Sache allerdings komplizierter. Vielleicht erklärst du mir also erst, was du meinst. Dann hätte ich immerhin verstanden, warum dir jetzt schon die Zunge bis an die Knie hängt. [img]images/smilies/biggrin.gif[/img]


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 03.06.2014

Mir ist schleierhaft, wie man sich Ethos ohne Kalkül vorstellen soll.
Kommt doch wohl nicht unreflektiert und ohne Zweckbezug vom Himmel geflogen?
Die Geltung eines Ethos ist ganz einfach zu bestimmen:
- Akzeptanz?
- Realisierung?

Die Zunge lasse ich diesesmal weg Big Grin


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Pollux - 03.06.2014

Mach doch den Lackmustest! Bei deinen Kriterien könnte auch die früher thematisierte Praxis des Anabolikamissbrauchs an Minderjährigen zum Ethos erklärt werden: ZWECKBEZUG eindeutig. Gesellschaftliche AKZEPTANZ klar, institutionalisierte Realisierung sicher gestellt. Ich weiß zwar immer noch nicht, auf welchen Begriff von KALKÜL du aus bist, aber man hatte ja noch etwas Übergreifenderes als den unmittelbaren Zweck der Leistungsoptimierung im Auge: ein Endziel der Geschichte oder dergleichen Bockmist. Das war dann der REFLEKTIERTE Bezug bei der ganzen Sache. Und vom Himmel ist diese Regelung sicher nicht gefallen. 

Tatsächlich verdient es diese Praxis nicht, als Ethos bezeichnet zu werden. Warum nicht? Ganz einfach: Weil es gegen die Menschenrechte verstößt. Wer sie geltend macht, der reflektiert die Geltung einer kulturellen Praxis im Blick auf die Grenzen der Instrumentalisierung des Menschen: also darauf, dass der Mensch niemals zum bloßen Mittel für irgendwelche Zwecke gemacht werden darf. Wenn diese Regelung rechtlich institutionalisiert – und zum Ethos wird-, dann im Verweis auf klare Vorbehalte bei Zwecksetzungen. Als Rechtsgemeinschaft ist man keine Zweckgemeinschaft. Und Kalküle sind irrelevant, wenn es um Ethos und die Grenzen der Zweckrationalität geht. Denn die kennt weder logische noch natürliche Grenzen bei dem, was sie zu bloßen Mitteln erklärt. 


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 03.06.2014

Kalkül welcher menschengemachter Ausgestaltung auch immer.

Deine Unterstellung der schlimmen Dinge wie Insrumentalisierung, Inhumanität, Doping stellen nur eine Seite möglicher Optionen im Kalkül-Universum dar. Wenn die Beteiligten es (nach wie vor) nicht schaffen, den Laden auszumisten, ist das bedauerlich, aber Menschenwerk.
Und eine höhere Instanz hilft uns -bisher- nicht.

Ich wiederhole mich zum gefühlt fantastilliardsten Male: Wir sind aus dem Paradies geflogen und müssen uns immer wieder neu entscheiden und die Verantwortung und die Konsequenzen tragen. Dieses Spiel läuft nach mehr oder weniger demokratischen Regeln ab.
Und Demokratie zwar ein Scheissladen, aber bisher ist noch kein besserer Scheissladen erfunden worden.

Daraus folgt, dass Dein hoher ethischer Anspruch leider allzuoft unerfüllbar bleiben wird und muss, weil er an allen Ecken und Enden auf menschliche Irrtümer, Inkompetenz, Egoismen bis hin zur Kriminalität stösst.

Und sowohl als Betroffener wie auch als Beobachter musst Du diese humanen Fehler (ein-)kalkulieren, wenn Du realistische Szenarien für menschliches und menschenmögliches Handeln - und nur das ist humanes Handeln - entwerfen willst.

Oder anders ausgedrückt:
Wenn die Menschen ihr eigenes Unglück beschliessen, was es in der Geschichte und im Sport ja unzählige Male gegeben hat und geben wird, bedeutet das sowohl einen Verstoss gegen die Menschenrechte wie auch eine Instrumentalisierung.

Wer bewacht den Doper 24 Stunden lang bis aufs Klo mit vorgehaltener Pistole?
Wer verbietet dem Trainer unter Androhung von Gefängnis(grob fahrlässige Körperverletzung) die Anwendung schädigender Träiningsmittel?
Wer bestraft Eltern, Lehrer, die Schulbehörde, die Gesellschaft für immer mehr Haltungsfehler, Haltungsschäden, Übergewicht, Stoffwechselstörungen der Kinder und Jugendlichen?

Kalkül? Ethos? Humanität? Menschenrechte? Instrumentalisierung? Rechtsgemeinschaft? Zweckgemeinschaft?
Alles löst sich auf und verkehrt sich in sein Gegenteil.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Pollux - 04.06.2014

Danke! Jetzt wird doch etwas klarer, was du meinst. Das EinKALKULIEREN von Fehlern betrifft ethische Ansprüche, die unter nicht-optimalen Bedingungen durchgesetzt werden müssen. Im Grunde redest du beim Bezug auf das Einkalkulieren von Fehlern, Egoismen ...von einer politisch dimensionierten  Erfolgsverantwortung zur Durchsetzung humaner bzw. gerechtfertigter Zwecksetzungen. (Max Weber) 

Dazu zählt z.B. auch eine institutionalisierte Dopingbekämpfung, die es nicht bei einer Sportmoral belassen kann. Gleichwohl gibt es Grenzen der Erfolgsverantwortung. Wie weit darf man gehen, um solche Ziele der Dopingbekämpfung zu erreichen? Mein Bezug auf Menschenrechte bezog sich auf den Hinweis auf Grenzen und ihren ethischen Kontext. Mit Rechtsgemeinschaft wollte ich eine gesellschaftliche Verfassung kennzeichnen, die solche Grenzen anerkennt und in ihrem Rechtssystem berücksichtigt. Insofern kann von einem Ethos die Rede sein. Übrigens in der Nähe dessen, was Hegel Sittlichkeit nannte. D.h. hier ist ein moralischer Anspruch nicht mehr nur als Forderung präsent. (Hegel unterschied von einem modernen Ethos (bei dem das Prinzip der Rechtfertigungsnotwendigkeit anerkannt ist) ein traditionelles (vormodernes) Ethos, bei dem diese Bedingung nicht gegeben war) Gleichzeitig wird deutlich, dass besagte Anerkennung von Grenzen selbst nicht mehr erfolgsverantwortlich definierbar ist. Das wird umso wichtiger, als dass wir nicht mehr bloß jenseits des Paradieses existieren, sondern auch in einer wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Zivilisation leben. Das bedeutet, dass die Barbarei nicht nur von politischen Ideologien ausgehen kann (die übrigens immer schon die Fehlerbehaftetheit des egoistischen Menschen einkalkuliert haben- und ihn daher einem Umerziehungsprogramm per Erfolgsverantwortung unterzogen haben), sondern auch von der Praxis ausufernder Zweckrationalität. Die Erfolgsverantwortung als Medium des Politischen ist selbst ein zweckrationales Konstrukt. Ihre Notwendigkeit steht außer Frage. Aber wer von einem Ethos spricht- und damit immer eine gesellschaftliche Größenordnung meint, muss ihre humanen Grenzen bedenken. Und bei dem Verweis auf Grenzen des Machbaren und Verfügbaren kann man daher auch nicht von „hehren“ ethischen Ansprüchen reden. 


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 04.06.2014

Einverstanden.

Vielleicht noch ein Nachtrag:
Was immer wir tun oder lassen,
es gibt immer ein Ergebnis.
Die Frage ist: gefällt uns das Ergebnis oder nicht?

Das Rad der Geschichte dreht sich immer weiter, auch ohne unser Dazutun.
Die Frage ist:
Bewegen wir das Rad in die von uns gewünschte Richtung,
oder lassen wir es über uns hinwegrollen?

Das hat alles sehr viel mit Kalkül und Ethik zu tun,
beide lassen sich nicht auseinander dividieren.

Man mag das alles trivial nennen.
Aber ein grösseres Kompliment kann man meines Erachtens nicht machen,
denn der Kern des Wahren ist das Trivialste, was man sich vorstellen kann.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - lor-olli - 04.06.2014

Ich habe beim Zusammenspiel der Begriffe Ethos und Kalkül immer gewisse Bedenken, das Kalkül nimmt streng genommen keine Wertung vor. So stellt im mathematischen Sinne der calculus (Spielstein) ein wertneutrales Objekt dar, das Kalkül zieht aus den Objekten logische Schlüsse (die gleichwohl im Bewusstsein menschlichen Verhaltens paradox scheinen / scheinen können – menschliches Verhalten hat nun mal eigene, nicht immer logische Regeln ).
 
Ich kann Zahlen kalkulieren und es ergibt sich eine Summe / Ergebnis aber nicht unbedingt eine Wertung. (selbst 1 Billion$ Schulden stellen streng genommen keine Wertung dar, allenfalls einen Vergleich). Ich kann kalkulieren ob es sich lohnt die Unpässlichkeit eines Gegners im Sport auszunutzen, in einem unmittelbaren Duell verzichte ich manchmal darauf (wie im Beispiel), ABER in einem 100m Lauf wird dies keiner tun. Ethos?
 
Der Ethos existiert nicht ohne Wertung, eine Betrachtung unter ethischen Gesichtspunkten ist immer eine Wertung und niemals unabhängig zu betrachten. (unabhängig von Gesellschaften, Religionen, Gesetzen, Wertmaßstäben, Verhaltensmustern)
 
Die Diskussion ist langwierig wenn man den Begriff Kalkül über die grundlegende Aussage hinausgehend interpretiert oder wertet, trotzdem ist ein Kalkül in Bezug auf menschliche Handlungen nie wertneutral und involviert zwangsläufig ethische Aspekte (versteht jeder sofort, der mal mit Autisten zu tun hatte…)
 
Passt jetzt nur bedingt, aber ich war am Wochenende auf einer Fete mit sehr starkem Frauenüberschuss (kalkulatorisch > ca. 4 zu 1 wertneutral, ethisch vielleicht problematisch wenn die Gattin dabei ist...).
Die Banalität der Gespräche relativierten das männlich-positive Kalkül, die Frage nach meinem Lieblingstier beantworte ich mit: “eine Schrödinger-Katze“… das Kalkül war: die Szenerie etwas aufzulockern – es ging aber völlig daneben. Erstens kannten die Damen die mich umstanden alle möglichen Katzentypen (ich bin heftiger Katzenhaar-Allergiker), aber keine “Schrödinger-Katze“, zweitens empfanden sie das (erklärte) Bonmot eher als Affront, also vom Ethos her unterirdisch, das kalkulatorische 4:1 wurde zu einem ethischen 1:4…
 
Ethos und Kalkül sind also auch praktisch zwei sehr verschiedene Dinge Wink Das Kalkül kann ohne den Ethos existieren (und tut es wenn es nur wertneutrale Aspekte berücksichtigt). Das gleiche Kalkül kann unter anderen Bedingungen ganz andere Wertungen erfahren, oder eben gar keine. 
Der Ethos allerdings hat auch immer mit Kalkül zu tun, jede vorsätzliche Handlung beruht auf einem Kalkül, ohne das wir uns das immer bewusst machen, aber selbst unbewusste Handlungen (Reflexe) ohne Kalkül können ethisch bedenklich sein. (Es ist nicht immer empfehlenswert einer fremden arabischen Frau, die in der Öffentlichkeit stolpert, sich aber offensichtlich nicht ernsthaft verletzt, beim Aufstehen zu helfen – man müsste sie dabei nämlich berühren...) Identisches Kalkül unterschiedlicher Ethos.
 
Nur gut, dass die Kalkulation in der Leichtathletik sich meist in Sekunden und Zentimetern erfassen lässt! (Doping etwa halte ich nicht für ein primär leichtathletisches Problem, wenn auch ein Existentes)


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 04.06.2014

(04.06.2014, 15:07)lor-olli schrieb: Ich habe beim Zusammenspiel der Begriffe Ethos und Kalkül immer gewisse Bedenken, das Kalkül nimmt streng genommen keine Wertung vor. So stellt im mathematischen Sinne der calculus (Spielstein) ein wertneutrales Objekt dar, das Kalkül zieht aus den Objekten logische Schlüsse (die gleichwohl im Bewusstsein menschlichen Verhaltens paradox scheinen / scheinen können – menschliches Verhalten hat nun mal eigene, nicht immer logische Regeln )
Das Kalkül muss immer mit (Be-)Wertungen, also Entscheidungskriterien arbeiten, und seien sie noch so schwach- oder widersinnig.

Wie sehr Kalkül und (ethische) Be-Wertungen korrespondieren, kann man anschaulich am Beispiel Ökonomie versus Ökologie darstellen.
Bis vor wenigen Jahren glaubte man, dass es unökonomisch sei, in (ethische)ökologische Projekte und Unternehmen zu investieren, das lohne sich nur mithilfe von Subventionen.
Mittlerweile rechnen sich viele Projekte sehr gut, Warren Buffet hat vor 2 Jahren über 2 Milliarden in den weltgrössten Solarpark investiert. Und immer mehr Akteure erkennen, dass das Ausbeuten unwiderbringlicher Ressourcen nicht nur unethisch/antiökologisch ist, sondern immer unwirtschaftlicher, und dass die 'ethische', nachhaltige Wirtschaft immer ökonomischer, also lukrativer wird.
Inzwischen werben die grossen Geldhäuser und die vormaligen DreckKonzerne offensiv mit Ethik und Ökologie, als hätten sie das erfunden und schon immer praktiziert.Big Grin


Dein interessanter Gedanke ist auch vor allem in den letzten Jahren durch die Finanzturbulenzen vielen Menschen anschaulich geworden:
Es wurde nämlich der homo oeconomicus als Arbeitshypothese ad absurdum geführt: angeblich agierten an den Finanzmärkten jederzeit rationale, egoistische, gleich informierte natürliche und juristische Personen, so dass es - nach zwischenzeitlichen Volatilitäten - immer wieder zur Balance effizienter Märkte kommen sollte.

Zigtausende Wirtschaftsstudenten haben sich dieses Glaubensbekenntnis in die Köpfe gekloppt.
Sie haben Rechnen, aber nicht Denken gelernt
.

Oftmals genügte ihnen oder den Marktteilnehmern auch die Extrapolation historischer Performances, um Voraussagen oder Anlageentscheidungen zu treffen.

Die Finanzkrise hat tausende hochbezahlte Ökonomieprofessoren irritiert und ihnen drastisch vor Augen geführt, dass die Akteure extrem unterschiedliches Wissen und mehr oder weniger privilegierten Zugang zu Informationen haben, und dass sie trotz besseren Wissens oftmals nicht rational und paradoxerweise sogar wider eigene Interessen handeln. 

Jahrzehntelang setzen deutsche Anleger jährlich um die 50 Milliarden in den Sand, weil sie auf Betrügereien hereinfallen. Gier frisst Hirn.
Aber auch übervorsichtige, konservative Anleger nehmen wider besseren Wissens und sehenden Auges Verluste in Kauf, indem sie durch die grassierende Finanzrepression Jahr für Jahr Milliarden verlieren(wie schön für den Staat! Aber macht der Staat mit dem Geld auch ethisch wertvolle Dinge? Undecided).

Das (ver-)kalkulieren im calvinistischen oder altruistischen oder gar keinem Sinne ist alltäglich.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - decathlonitis - 04.06.2014

(03.06.2014, 21:27)MZPTLK schrieb: Wer verbietet dem Trainer unter Androhung von Gefängnis(grob fahrlässige Körperverletzung) die Anwendung schädigender Träiningsmittel?
Wer bestraft Eltern, Lehrer, die Schulbehörde, die Gesellschaft für immer mehr Haltungsfehler, Haltungsschäden, Übergewicht, Stoffwechselstörungen der Kinder und Jugendlichen?

Kalkül? Ethos? Humanität? Menschenrechte? Instrumentalisierung? Rechtsgemeinschaft? Zweckgemeinschaft?
Alles löst sich auf und verkehrt sich in sein Gegenteil.
Kalkuliere,
alles wird vom "Unendlichen Bewusstsein" für immer fest gehalten und die Elenden werden in ihrer kosmischen Weiterentwicklung um Äonen zurück geschleudert und als Amöben, Würmer, Filzläuse ein neues Dasein durchlaufen, ehe es die Karriereleiter wieder weiter aufwärts geht.
Big Grin


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 04.06.2014

(04.06.2014, 18:53)decathlonitis schrieb: Kalkuliere,
alles wird vom "Unendlichen Bewusstsein" für immer fest gehalten und die Elenden werden in ihrer kosmischen Weiterentwicklung um Äonen zurück geschleudert und als Amöben, Würmer, Filzläuse ein neues Dasein durchlaufen, ehe es die Karriereleiter wieder weiter aufwärts geht.
Big Grin

War was im Tee? Big Grin