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Leichtathleten als Philosophen? - Druckversion

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RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 16.02.2016

Utilitarismus und wildwuchernde Ökonomie sind nicht deckungsgleich, dürfen es - auch aus den von Dir genannten Gründen - nicht sein.
Das wird nur von oberflächlichen Protagonisten oder Interpreten 'von aussen' so gesehen.
Die fundamentalen Menschenrechte sind sowas von utilitaristisch, weil sie den Menschen als Einzelnen wie als Gemeinschaft Nutzen bringen sollen.
Individuelle Menschenrechte funktionieren nur im Sozialkonzept.
Die fundamentalen Menschenrechte haben sich nach Jahrtausenden try and error herausgebildet.
Es wundert nicht, dass sie erst anlässlich einer Staatenneubildung(USA) von White Anglo-Saxon People in Nachfolge einer relativ laxen kolonialen 'Niederlassung' einer konstitutionellen Monarchie Verfassungsrang gewonnen haben.
Utilitarismus ist eine teleologische Veranstaltung: er soll dem Nutzen aller Beteiligten, z.B. aller Inkludierten Menschen dienen.

Und jetzt wird es natürlich haarig: wie definiere ich die Beteiligten, die Nutzer?
Sind es die inkludierten Zeitgenossen, die auf Kosten der exkludierten Nachkommen high life machen?
Sind es die Verbraucher, die die Tiere verbrauchen(nutzen)?
Wo sind die fundamentalen Tierrechte?
Sind die Beteiligten die Angehörigen einer Elite, einer Kaste, der 'richtigen' Partei, der 'richtigen' 'Religion', die aus den exkludierten Nicht-Beteiligten per explizitem oder strukturellem Zwang Nutzen rausholen?

Der Utilitarismus hat nichts mit irgendwelchen Missbräuchen und deren Scheinlegitimation zu tun,
er reflektiert ex ante die Wirkungen seiner Handlungsmöglichkeiten, auch um hinterher empirisch überprüfen zu können,
ob Handlungsmaxime und Handlungsstrategie revidiert werden müssen.
Eine sehr pragmatische, natürlich im angelsächsischen Raum gewordene Sichtweise,
die in Deutschland spät und zuwenig auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
Und wenn, dann natürlich vor allem in den Bereichen, wo man ergebnisorientiert vorgehen muss.
Wobei wir beim Thema Leistung wären.
Der Leistungssportler ist auch sowas von Utilitarist.
Wobei der Doper ein sehr schlechter ist, aber dazu später.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Pollux - 16.02.2016

Was bitte? Das Verbot von Folter ist durch den Nutzen definiert? Das gilt nicht bei uns. Bei uns hält man auch dann am Verbot fest, wenn der Nutzen der Folter durchaus erkennbar ist. Man also geneigt sein könnte, das Verbot zur Disposition zu stellen. Aber es – aus moralischen Gründen (und das heißt, unabhängig vom Nutzen) trotzdem nicht preisgibt. Denn auch für gute Zwecke ist nicht jedes Mittel recht. 

Es gibt aber Gemeinwesen, die bis heute gute Erfahrungen mit Folter machen - und daher keinen Grund sehen, diese Handlungsmaxime zu revidieren. Und blicken diese Leute auf ein Gemeinwesen, wo das Verbot nicht zur Disposition steht, mögen sie einwenden: Das ist aber ganz irrational. Denn für gute Zwecke ist jedes Mittel recht. Aber das macht ihre utilit. Handlungsweise eben nicht moralisch. 

Man kann natürlich beide Sichtweisen als indifferent ansehen. Als Utilitarist muss man das sogar. Dann gilt auch für den Sport und die Dopingfrage: Was zeitigt die wünschenswerteren Folgen: Die Freigabe oder das Verbot? Wesentlich ist hier, dass damit bereits eine ethische Grenze überschritten ist. Diejenige nämlich, die behauptet, dass die Idee des Sports mit Doping prinzipiell nicht vereinbar ist. Und was die telelogische Dimension betrifft, so bedeutet diese nicht notwendig Utilitarismus. Wenn ein konsequent integrer Athlet sagt: Eine manipulative Handlung kann mich nicht glücklich machen, ist hier das Glück gerade nicht als Folge gedacht. Solche Aristoteliker gibt es. Selbst wenn sie von dem Typ noch nie was gehört haben. Dass Sportler Utilitaristen sind, halte ich folglich für ein Gerücht.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 16.02.2016

Sehr gut!
Kompliment!
Dazu später(v.a. im letzten Teil) mehr, ich möchte nicht vorgreifen.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - decathlonitis - 17.02.2016

(16.02.2016, 20:14)MZPTLK schrieb: Sehr gut!
Kompliment!
Dazu später(v.a. im letzten Teil) mehr, ich möchte nicht vorgreifen.

Hei ihr Zwei,
"Querdenker" durch die Welt der Philosophie.
Grau ist alle Theorie, doch weiter kommst du ohne sie. Ne, halt ein mein Freund, wer wird denn gleich an die Decke gehen. Ah, jetzt hab ich`s wieder:
"Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum."
Utilitarismus: und wie haltet ihr es konkret mit der derzeitigen Flüchtslingproblematik in praktischer Umsetzung?

Ich bin noch immer lernwillig!
deca


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Pollux - 17.02.2016

Quer gedacht ist daran eigentlich gar nichts. 

Im Übrigen gehören utilitäre Gesichtspunkte zur Normalität politischen Handelns. Ebenso wie ihre ethischen Grenzen. Ein Beispiel: Man kann Ereignisse wie die in der Kölner Silvesternacht versuchen, unter den Teppich zu kehren. Wegen der möglichen Folgen in Bezug auf das Verhältnis zu Flüchtlingen. So zunächst geschehen. Insofern ist der utilitaristische Blickwinkel ein mögliches Vehikel zur politischen Correctness.

Aber ein anderes Beispiel: Der Bundeskanzlerin wird bisweilen vorgeworfen, ihre Politik der humanitären Willkommenskultur blende die Folgen aus. Hier wird ein – einfach gestrickter- Vorwurf in Sachen politischer Verantwortung draus. 

Der Umgang ist niemals einfach. Aber hilfreich ist ein Bewusstsein für den Hintergrund. Denn grau ist nicht die Theorie, sondern nur die Hemdsärmeligkeit.   Big Grin


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 17.02.2016

Zur Migrantenthematik äussere ich mich nicht.
Nur noch was zur Folter:
Ex ante gibt es kein ethisch begründbares o.k. oder njet, weil man nicht weiss, was der Folterkandidat weiss.
Sonst würde man ja nicht foltern.
Da man das nicht wissen kann, kann man also auch nicht wissen, ob die Folter zu rechtfertigen wäre.
So foltert man mehr oder weniger auf Verdacht - als kleineres Übel - um ein grösseres Übel eventuell verhindern zu können.
Aber obacht!
Woher will man wissen, ob der Gefolterte die Wahrheit sagt oder überhaupt was sagt?
Besissenesituation.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Atanvarno - 17.02.2016

@MZPTLK

Muss ich das so verstehen, dass foltern ok wäre, wenn sicher die Wahrheit aus einem Menschen herausgefoltert werden könnte?


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 17.02.2016

Zu Kersting:
Ich denke, er hat den richtigen Platz im Schema gefunden: moderat anti-egalitär.
Er bezeichnet sich selbst als 'verdienstethischen Naturalisten,
er geht von einem ursprünglichen Selbstbesitzrecht des Individuums aus,
welches in seiner natürlichen Beschaffenheit und mit all seinen durch ihr soziales Herkunftsmilieu bestimmten Eigenschaften
zum ungeteilten Subjekt eines fundamentalen Anspruches auf all die durch Einsatz ihrer Talente, Fähigkeiten, und Kompetenzen erarbeiteten Güter erklärt.
Dieser Eigentumsanspruch darf nicht durch eine egalisierende Gerechtigkeit beschnitten werden,
denn Kerstings Postulate eines natürlichen Individualrechts-Absoultismus in Korrespondenz mit einem verdienstethischen Absolutismus gelten ihm als legitime Grundlage uneinschränkbarer Verdienstansprüche.

Die Begründungen sind schwach bis hanebüchen:
- Verdiente und unverdiente Anteile am Lebenserfolg seinen in der Praxis nicht zu trennen. - Platter Positivismus!
  So kann/darf man ausufernde Akkumulation und ungerechte soziale Scheren nicht legitimieren.
  Der Gewinn des Einen darf nicht bis zum Exzess der Verlust des Anderen sein, auch nicht nach nach dem Matthäus-Prinzip.
  Dann stellt sich in einer Welt der endlichen Ressourcen unausweichlich die Frage der ver-/aus-gleichenden Gerechtigkeit.
- Träger der individuellen Grund- und Freiheitsrechte sei nicht ein abstraktes Prinzip, sondern die konkrete Person.
  Somit 'legitimiert' und perpetuiert er die natürliche Ungleichheit und die biographische Ungleichheit.
- Die Anwendung moralischer Urteile auf die Natur sei unzulässig.
  Wenn der Mensch für sich das moralische Recht beanspruche, die Schöpfung zu korrigieren,
  dann wäre das Hybris. - Kersting war zeitlebens als Professor mit Selbigem beschäftigt.
- Alle Menschenrechte gälten absolut und könnten daher durch keinerlei zwischenmenschliche Konvention eingeschränkt werden. - Ebendies tut Kersting aber mit seinem Konzept.
  Die Fiktion von  Individuen, die weder Solidarität üben noch Solidarität beanspruchen,
  einer Gesellschaft ohne soziale und ökonomische Abhängigkeiten, ist schlicht unterirdisch.
  Soziale Gerechtigkeit ist ein Folgethema individueller Freiheit.


Ich stimme ihm allerdings zu, wenn er betont, dass relationale Gerechtigkeitsstandards nicht genügen,
sondern dass auch absolute Gerechtigkeitsstandards gelten müssen.
Die Anwendung absoluter, nicht-relationer Gerechtigkeitskriterien lässt aber nicht die Konsequenz zu,
dass es deswegen keine relationalen Kriterien oder Normen der Gerechtigkeit geben könne oder dürfe.
Wenn man nun Kerstings Postulat der Achtung des Menschen als Person nimmt,
muss man das auf alle Menschen beziehen, und zwar in gleicher Weise.
Es geht nicht nur um Happahappa, sondern auch um Würde.
Auch darin stimme ich überein: 'Wir brauchen einen Sozialstaatsgärtner, der sich der Wildnis annimmt,
und die Triebe, die ins Kraut geschossen sind, kappt,
und der das, was richtig ist, pflegt, damit der Sozialstaat funktionsgerecht arbeiten kann.
Wenn man vom obrigkeitlichen Wilhelminismus in den Totalitarismus stürzt,
der in einigen Landesteilen mehr als ein halbes Jahrhundert(das würde ich relativieren) die Mentalitäten prägen konnte,
und dann mitten in einem immer weiter ausufernden Sozialstaat aufwacht,
kann man wohl kein Talent für die Freiheit und ihre verantwortliche Handhabung entwickeln.'


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 17.02.2016

(17.02.2016, 18:32)Atanvarno schrieb: @MZPTLK

Muss ich das so verstehen, dass foltern ok wäre, wenn sicher die Wahrheit aus einem Menschen herausgefoltert werden könnte?
Dazu müsste man einen Fall konstruieren:
Wenn ich wüsste, dass der Folterkandidat einer Gruppe angehört, die im Begriff ist, unschuldige Menschen zu ermorden,
hätte ich nicht nur kein Problem, sondern den moralischen Impetus und Imperativ, selbst Hand anzulegen.
Ich möchte mir mein nachheriges Leben im Versäumnis- und Katastrophenfall nicht vorstellen.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Pollux - 17.02.2016

(17.02.2016, 17:23)MZPTLK schrieb: Nur noch was zur Folter:
Ex ante gibt es kein ethisch begründbares o.k. oder njet, weil man nicht weiss, was der Folterkandidat weiss.
Sonst würde man ja nicht foltern.
Da man das nicht wissen kann, kann man also auch nicht wissen, ob die Folter zu rechtfertigen wäre.
So foltert man mehr oder weniger auf Verdacht - als kleineres Übel - um ein grösseres Übel eventuell verhindern zu können.
Aber obacht!
Woher will man wissen, ob der Gefolterte die Wahrheit sagt oder überhaupt was sagt?
Besissenesituation.


Man sieht sich immerhin dadurch gerechtfertigt, dass man ein Übel verhindern will. Jedem, der sagt: ‚Diese Rechtfertigung ist eine Perversion’, wird man daher entgegnen: ‚Du verkennst die Folgen im Sinn des möglichen Erkenntnisgewinns. Schließlich kann der Verzicht auf Folter schwerwiegende negative Folgen haben’. Folglich scheint es schon hier eine (mögliche) moralische Verpflichtung zur Folter zu geben.  

Das Einzige, was in dieser Logik akzeptabel wäre, ist der Umstand, dass der mögliche Erkenntnisgewinn gar nicht garantiert ist. Aber als „moralisch besonnener“ Folterer macht man vorher einfach ein paar psychologische Tests in Bezug auf die geeigneten Kandidaten. Und sei es nur als Instrument der Abwägung.  

Was man dazu noch sagen kann? Sofort in Nordkorea bewerben!  Wink

Aber es bleibt ja noch der Ausweg-Hinweis auf die absolute Gewissheit über die äußeren Umstände. Aber das ist suggestiv. Der Anschein, dass es gerechtfertigt sein könnte, das Instrument der Folter anzuwenden, bedeutet nicht, dass es eine verallgemeinerbare Verpflichtung dazu gibt. Wer so etwas dennoch behaupten würde: Bitte bei Kim jong un anmelden. Der ist immer auf der Suche nach Spezialisten. Big Grin