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Leichtathleten als Philosophen? - Druckversion

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RE: Leichtathleten als Philosophen? - Atanvarno - 23.08.2023

(23.08.2023, 15:03)MZPTLK schrieb: Wenn wir das KI-Wettrüsten nicht verlangsamen, werden wir nicht verstehen, was passiert.
Wir müssen dem unverantwortlichen Einsatz von KI ein Ende setzen
und KI regulieren, bevor sie uns reguliert.

Jein. Regulation verschafft uns hoffentlich ein wenig Zeit (die wir brauchen), aber sie ist nicht die Lösung (irgendjemand wird immer die Regeln umgehen). Diese Zeit sollten wird dann nutzen und viel mehr Ressourcen in die KI Ausrichtungsforschung stecken.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 29.10.2023

'Der Mechanismus als Denkform besteht darin, das System von Elementen(z.B. Zellen)
die auf eine bestimmte Weise angeordnet sind und zusammenhängen,
aus einer möglichst einfachen Interaktion zwischen seinen Teilen zu verstehen.

Der Mechanismus löst ein komplexes lebendiges System wie ein ganzes Menschen-Tier
in viele Teilsysteme auf, die man wiederum in ihren kleinsten Details studieren kann,
um auf diese Weise indirekt die Funktionsweise des Gesamtsystems zu verstehen und zu beeinflussen.

Der Mechanismus war bisher 'erfolgreich', weil er die Illusion von Übersichtlichkeit und Beherrschbarkeit
der Natur genährt hat(und hat Jahrzehntelang den Holismus ignoriert oder untergebuttert/MZPTLK).


Dem Mechanismus steht der Holismus entgegen, der zu Recht darauf pocht,
dass ein Lebewesen letztlich nur als Ganzes ein Organismus ist.
Ein Herz schlägt als Teil von Systemen, die zusammengenommen allererst dazu führen,
dass ich als Mensch ein Leben führen kann.

Der Holismus versteht Teilsysteme des Organismus also aus ihrer Funktionsstelle in einem Ganzen  heraus,
das in der Erklärungslogik den Teilen vorangeht.
Gerade in den Lebenswissenschaften spielt holistisches, systemisches Denken in jüngster Zeit
eine ernst zu nehmende Rolle, wie etwa der renommierte, in Oxford lehrende britische Physiologe Denis Noble
in seinen empfehlungswerten Büchern THE MUSIC OF LIFE sowie DANCE TO TH TUNE OF LIFE zeigt.

Faktisch ist es so, dass wir das holistische Gesamtsystem Mensch mur in einigen seiner Teile verstehen,
wofür es eine Reihe von Gründen gibt. Insgesamt ist der Mensch schlichtweg zu komplex,
um mechanistisch vollständig erklärbar zu sein.
In diesem Zusammenhang bedeutet Komplexität mindestens, dass wir ein gegebenes Ganzes
nur erklären und verstehen können, indem wir es in Teilsysteme zerlegen,
wobei diese Zerlegung wiederum wesentliche Eigenschaften eben deses Gesamtsystems auflöst,
bzw. verändert.

Komplexe Systeme lassen sich nicht dadurch vollständig verstehen, dass man sie in Teile zerlegt,
die man besser versteht, weil diese Zerlegung wesentliche Eigenschaften des System verändert,
das man verstehen möchte.
Komplexe Systeme sind nicht vorhersagbar, sie verhalten sich niemals so,
dass wir sie insgesamt steuern könnten.

Den heutigen Lebenswissenschaften sind auf molekularer Ebene Effekte unserer Ernährung bekannt,
was bedeutet, dass unsere Gene auch durch dasjenige bestimmt werden, was wir als Ganzheit tun.'

(Markus Gabriel)


Wäre dies manchen Trainern und Athleten bewusst(er),
hätten wir nicht diese Verletztenstatistik.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 10.11.2023

'Unsere gegenwärtige ''Zivilisation'' ist durchdrungen von einem Werte-Relativismus,
mitunter gar einem Werte-Nihilismus.
Der Diskurs über künstliche Intelligenz und die Digitalisierung verstärken diese Entwicklung.

Die Krise der liberalen Demokratie, der Rassismus, der Raubbau an der Natur
und die Ausbreitung des Populismus folgen dem Muster einer Selbstabschaffung des Menschen.
Die Leugnung verbindlicher Werte scheint allgegenwärtig.'

Markus Gabriel* zeigt in seinem Buch: Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten,
warum es nicht verhandelbare, universale Grundwerte gibt,
die für alle Menschen gelten, und die wir wieder zur Basis unseres Verhaltens machen müssen,
um allen ein gutes Leben zu ermöglichen.


* Deutschlands weltweit bekanntester Gegenwartsphilosoph.
   Das Buch ist dringend empfohlen!


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 19.01.2024

Kann Deiner Einschätzung nur folgen, wenn sie sich als begründet ausweisen kann. Daher ein paar Fragen: 

Dass selbst ein Doper die Einschätzung teilen kann, ein dopingfreier Sport sei wertvoller als sein Gegenteil, lässt sich kaum bezweifeln. Das aber wird ihn nicht davon abhalten, jener Vernunft zu folgen, die sagt, dass es dennoch besser ist, zu gewinnen als im Glauben an objektive Werte zu verlieren. 

Dann verweist das Problem auf die Frage, welche Vernunft wertvoller ist. Diejenige, die dazu da ist, meinem Erfolgsinteresse zu dienen, oder diejenige, die dazu da ist, die objektiv richtigen Zwecke zum Handlungsmaßstab zu machen. Ein guter Denksportler wird die Frage zugunsten des letzteren entscheiden. Ließe seine Rangordnung es noch zu, den Satz anzufügen: “Sofern keine andersartigen Erwägungen dagegen sprechen.”?  

Und weiter: Macht sein Gegenüber sich zum Nihilisten, wenn er seine Vernunftpräferenz zum Maßstab macht? Oder zu jenem Relativisten, der, den üblichen Gepflogenheiten folgend, erklärt: “Die Sache mit der Rangordnung muss jeder für sich selbst entscheiden.”? Oder landet er am Ende bei Nietzsche, der behauptete, dass die ethische Vernunft kein Wert, sondern in Wirklichkeit eine Verschwörung ist, sich gegen den Willen der Starken richtend?


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 19.01.2024

Endlich mal wieder einer hier, der dickere Bretter bohrt!

Welche Einschätzung meinst du?


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 19.01.2024

Deine Einschätzung, dass es sinnvoll oder sogar bedeutsam sein könnte, in der prakt. Philosophie von Werten  zu reden. Denn ungewöhnlich ist das schon.  

Gleichwohl ist der “Wert” in unserem Sprachgebrauch fest verankert. Und auch im Sport machen wir regen Gebrauch davon. Und zwar so rege, dass es manchmal sehr glatteisig wird. Etwa dann, wenn der Wert des Sports am Geld-Wert gemessen wird und ethisch bedeutsam dadurch sein soll,  dass sich bei entsprechender Pflege der Gesamtzustand der Welt verbessert. Zumal das Geld auch die wundersame Fähigkeit besitzen soll, Tore zu schießen. 

Vielleicht haben die Philosophen bei ihrer Zurückhaltung in Sachen Werte an die Leichtathleten und deren Fähigkeit gedacht, die Frage nach der Bedeutsamkeit in einem sinnvollen Problemkontext zu diskutieren. Womit ich hoffe, Deine Frage hinreichend dickbrettrich beantwortet zu haben.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 19.01.2024

Hallo Pollux.... äh Notalp!

'...deine Einschätzung, dass es sinnvoll oder sogar bedeutsam sein könnte, in der prakt. Philosophie von Werten  zu reden. Denn ungewöhnlich ist das schon.'

Das ist nicht ungewöhnlich, sondern unabdingbar, konstitutiv.


'Gleichwohl ist der “Wert” in unserem Sprachgebrauch fest verankert.'

Im Sprachgebrauch der Meisten ist er das (zu-)wenig.

'Und auch im Sport machen wir regen Gebrauch davon. Und zwar so rege, dass es manchmal sehr glatteisig wird. Etwa dann, wenn der Wert des Sports am Geld-Wert gemessen wird und ethisch bedeutsam dadurch sein soll,  dass sich bei entsprechender Pflege der Gesamtzustand der Welt verbessert. Zumal das Geld auch die wundersame Fähigkeit besitzen soll, Tore zu schießen. 

Geld hat genau den Wert, den die damit Handelnden ihm aktuell zumessen.
Das man dabei nicht nur das rein monetäre, materielle im Auge haben sollte,
müssen manche erst noch lernen.

'Vielleicht haben die Philosophen bei ihrer Zurückhaltung in Sachen Werte an die Leichtathleten und deren Fähigkeit gedacht, die Frage nach der Bedeutsamkeit in einem sinnvollen Problemkontext zu diskutieren. Womit ich hoffe, Deine Frage hinreichend dickbrettrich beantwortet zu haben.'

Die sogenannten Philosophen, die du meinst/kennst, die eine Werte-Erörterung ignorieren und oder scheuen, nehme ich nicht ernst.

Im Übrigen sollte man mir nicht immer wieder mit Nietzsche, dem Küchenphilosophen kommen.
Der hat seine oberflächlichen, zu kurz gedachten Affirmationen und Widersprüche
- wenn ihm das selber aufgefallen ist - auch nicht ernst genommen.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 19.01.2024

Die Rede von Werten war in der Philosophie nie wirklich repräsentativ! Im späten 19. Jahrhundert führte ein Philosoph den Begriff ein, woran sich eine Wertephilosophie anschloss, deren Traditionslinie bis etwa 1930 reichte. Vorher hatte der Begriff aber schon in der Ökonomie Verwendung gefunden - und eine bis heute reichende Karriere gemacht. Nach dem kurzen Intermezzo der Wertephilosophie wandte man sich wieder den Fixpunkten zu, die in der Antike, dem Mittelalter und der Neuzeit vorherrschten. Also der Frage nach dem Glück und dem moralischen Sollen. Aber dabei auch verstärkt in Bezug auf die Frage nach der Allgemeingültigkeit von Sollensgrundsätzen, Normen oder auch Glücksorientierungen. Ob es diese Gültigkeit gibt oder nicht gibt, ob sie sich begründen lässt oder nicht.Hierher gehören die Begriffe ‘Relativismus’ und ‘Nihilismus’. 

Selbstverständlich geht es dabei um das Thema ethischer Bewertungen. Und die kann sich selbstverständlich auch auf Werte beziehen, einschließlich solcher, die in der Wertephilosophie Thema wurden. Wenn du also meintest, dass man Denker, die nicht auf das Thema ethischer Bewertungen eingehen, nicht ernst nehmen kann, könnte ich event. sogar zustimmen.   Insofern müssen wir nicht aneinander vorbeireden - und ich wieder zu der Notalp von Pollux zurückkehren. Aber v.a. hast Du keinen Grund mehr, Dich vor der Beantwortung meiner Eingangsfragen zu drücken.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - MZPTLK - 19.01.2024

Alles Existieren, alles Denken, alles Entscheiden und alles Tun fängt mit Werten(Be-werten) an und hört damit auf.
Nihilismus und Relativismus sind ebenfalls Wertungen, sie würden ohne sie und als solche nicht existieren können,
ob das den Nihilisten und Relativisten nun bewusst oder gar klar ist oder nicht.

Wahrheit ist unabhängig von Meinungen, beides wird immer wieder verwechselt.
Wahrheit kann man als Wert an sich sehen oder verneinen,
in ihrem Kern entzieht sie sich jedweder Be-Wertung.

Jedwede Philosophie ist immer schon Werte-Philosiophie,
weil sie ohne Vernunft-Kritik nicht betrieben werden kann.
Vernunft kann ohne Werte und Be-wertungen nicht betrieben werden.

Wahrheit und Werte sind unterschiedliche Kategorien.
Wahrheit ist nicht Werte-bedingt,
Werte können, müssen sich nicht an Wahrheit orientieren.

Die Unterscheidung theoretische/praktische Philosophie
scheint mir eine Erfindung des universitären Betriebs zu sein,
ich bin Theopraktiker.

Wie war die Eingangsfrage?


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 20.01.2024

Schön, dass wir darin übereinkommen können, dass Vernunft ohne Bewertungen nicht betrieben werden kann. 

Aber deshalb muss sie auch Stellung zu Bewertungsmaßstäben nehmen. Also auch zum Sinn der Frage, was der Mensch Wert ist. Vielleicht 80000 Euronen? Oder, je nach Rassezugehörigkeit zwischen 0 und 80000? Die Frage zu beantworten, heißt, sich an die berühmt gewordene Feststellung von Immanuel Kant zu erinnern: dass der Mensch keinen Wert, sondern eine Würde hat. Vor diesem Hintergrund ist es übrigens auch falsch, die Verfassung unseres Staates als eine Werteordnung zu bezeichnen.  

Du siehst also, dass eine Vernunft auf Werte nicht angewiesen ist, so wie du das unterstellt hast. Und verzichten kann sie deshalb auch auf einen inflationären Gebrauch von Werten durch Politiker. Etwa dort, wo behauptet wird, dass unser Staat eine Wertegemeinschaft sei. Wer das behauptet, der vergisst den Fakt, dass auch das Dritte Reich sich als eine solche bezeichnet hat. Das ist der Grund, dass nach 1945 nicht Werte, sondern fundamentale Rechtsprinzipien das Fundament unseres staatlichen Selbstverständnisses bilden sollten. Und zwar mit klarem Blick auf die Gefahr, dass sich mit der Bezugnahme auf Werte Rechtsprinzipien aushebeln lassen. 

PS: Beantwortet sind meine Eingangsfragen aber immer noch nicht! Aber vielleicht können wir darin übereinkommen: Wenn Lionel Messi 200 Mio wert ist und ein Doper den Wert eines dopingfreien Sports in Verwandtschaft mit der Gesichtswahrungsmoral des Sportfunktionärs anerkennt, dann besteht die Würde der Vernunft darin, den Zeigefinger an die Stirn zu tippen.