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Leichtathleten als Philosophen? - Druckversion

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RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 22.02.2024

Mr. Aristoteles, wo würden Sie den Sport ansiedeln? 

Ich würde sagen, das ganze Leben ist “geteilt in Arbeit und Muße und in Krieg und Frieden, und die Tätigkeiten sind geteilt in notwendige und nützliche auf der einen, und sittlich schöne auf der anderen Seite.“  

Was hat das Ganze mit Sport zu tun? 

Nun, ohne Zweifel hat der Wettkampf etwas mit Kampf zu tun und die Wette etwas mit Muße. Aber den Krieg beginnt man nicht mit einer Wette. So wenig wie man um die Wette Krieg führt. Den Krieg kann man nur durch einen Nutzen definieren, während das für den Sport so wenig gilt wie für das gute Leben überhaupt. 

Sind sie etwa der Meinung, der Krieg sei nicht der Vater aller Dinge? 

So ist es! 

Dann doch wenigstens die Arbeit! 

Das wird man erst in der dunklen Neuzeit behaupten! 

Und was behaupten Sie? 

Ich behaupte: “Man wählt mithin den Krieg um des Friedens willen, die Arbeit der Muße wegen, das Notwendige und Nützliche des sittlich Schönen wegen (…) Denn man muss zwar arbeiten und Krieg führen können, aber noch mehr verstehen, Frieden zu halten und edler Muße zu pflegen.“ (Politik, 1333a 30f-41) 

In der Neuzeit wird man im Sport nicht die Muße, sondern die Leistung loben.

Ohne die notwendige Muße werden Sie ihre beste Leistung verfehlen! Und damit auch den Schönheitspreis.  

In der Neuzeit vergibt man beim Sport keine Schönheitspreise! 

Nun, wenn der Erfolg nicht an das sittlich Schöne gebunden ist, sind sie sein Sklave. In dem Fall sollten Sie lieber Krieg führen…    Cool


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 22.02.2024

… Haben damals eigentlich alle so getickt? 

Also was das Verständnis ‘schöner’ Handlungen betrifft, eigentlich schon. Es entspricht weit gefasst ungefähr dem, was Ihr heute ‘moralisch’ nennt. 

Komisch! 

Wieso komisch? Wenn sich heute einer fair zeigt, sagt Ihr auch nicht: ‘Der handelt moralisch korrekt’, sondern: ‘Das war ne schöne Geste!’ Im Übrigen eröffnet der ästhetisch bestimmte Rahmen einen Raum für eine Souveränitäts-bestimmte Selbstdarstellung. 

Und wie steht es mit den Wertigkeiten, die Sie mit Ihrer Philosophie präsentiert haben? Entsprachen die dem Selbstverständnis der Griechen? 

Im Allgemeinen schon. Sonst hätten wir Olympia nicht erfunden! Selbstverständlich gab es aber auch abweichende Sichtweisen. 

Zum Beispiel… 

Die Spartaner zum Beispiel. Die haben nie kapiert, dass etwas über den Wert des Krieges rausgehen kann. Deshalb haben sie unseren Kult um die sportlichen Helden auch mit Verachtung belegt.

  Gut, aber dieser Einspruch hat nicht wirklich Beachtung gefunden. 

Kann man so nicht sagen! Bei Euch gab es einen namhaften Funktionär, der beim Festakt zur Eröffnung der Spiele von 1936 wieder ein Loblied auf Sparta ‘gesungen’ hat. 

  Wieso das? Ich denke, die hatten damals mit Olympia nix am Hut? 

Nun, der Typ hat nen Trick angewendet, um mittels einer bizarren Symbolausstattung den Krieg zum Vater des Sports zu erklären. Dabei hat er den Sportsgeist mit einem freiwilligen Soldatentum verglichen - und die höchste Form sittlicher Schönheit im freiwilligen Tod fürs Vaterland erblickt. Damit war auch klar, welche Art von Wertegemeinschaft man 1936 im Auge hatte. 

Aber das war eine groteske Konstruktion, oder? 

Richtig! Aber so lassen sich Wir-Gefühle erzeugen, bei der man eine Kampfgenossenschaft ins Leben ruft, die sich schrankenlos dem Willen des ‘Führers’ zu unterwerfen bereit ist und zugleich gegen äußere Feinde wendet: die es zuerst auf dem Feld des Sports und dann auf dem Schlachtfeld zu besiegen gilt. Und zwar ungeachtet jener rassentheoretisch unterfütterten Überlegenheitsgeste, die nunmehr den Platz einer Souveränitäts-betonten Selbstdarstellung einnimmt.  

Verstehe! Umso bemerkenswerter, dass dieser Funktionär nach 1945 noch Karriere im deutschen Sport machen könnte.!


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 25.02.2024

Zum Schluss noch eine Dokumentation über eine zeitgenössische Form der Instrumentalisierung der Spiele.

 https://www.sportschau.de/olympia/dokumentation-zehn-jahre-nach-sotschi-100.html 

Worauf es dabei ankommt: Wenn zeitgenössische Autokraten Kriege beginnen, führen sie keine imperialen Interessen mehr ins Feld. Stattdessen spielen sie auf der Klaviatur der WERTE.


RE: Leichtathleten als Philosophen? - Notalp - 26.04.2024

Findet eine Langstrecklerin im Wald ein beschriebenes Blatt Papier - und sieht vor sich einen Spaziergänger mit erhobenem Kopf 

Entschuldigen Sie, haben Sie das Blatt hier verloren? 

Au ja, herzlichen Dank! 

Habe den Text kurz überflogen…

  “Da sind zum einen die materiellen Dinge und Prozesse in der Welt, wie insbesondere die Naturwissenschaften sie beschreiben und erklären. Da sind zum anderen wir Menschen als erlebnisfähige und selbstreflexive Ich-Subjekte. Jede ernstzunehmende metaphysische Auskunft über das Universum und unseren Platz darin ist daher mit der Frage konfrontiert: Wie haben wir uns die Wirklichkeit im Ganzen vorzustellen, damit wir verstehen, wie materielle Dinge und Prozesse und zugleich erlebnisfähige selbstreflexive Ich-Subjekte zusammen ein und dieselbe Welt bilden?”

  …Und da dachten Sie, das Blatt könnte einem flanierenden Denker gehören 

Genau! 

Könnten Sie sich den umgekehrten Fall vorstellen, also, dass das ich Ihr Blatt finde? Dass ich Sie einholen müsste, vernachlässigen wir dabei mal   Smile

Durchaus! Allerdings müsste ich in dem Fall die Frage auf dem Papier auf meine Realität beziehen: dass ich in der Gegenwart meines Laufens ein und dieselbe Welt repräsentiere

Wow! Jetzt laufen Sie in einem philosophischen Tempo. Da kann ich Ihnen für den Rest der Strecke nur den Flow wünschen!