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Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - Druckversion

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RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - Solos - 19.10.2015

(14.10.2015, 13:31)dominikk85 schrieb: stoßen die meisten dreher nicht tendenziell zu flach ab (um 35 grad oder so)?

Bei den weltbesten Drehstoßern liegen die Versuche im Schnitt zwischen 32 und 35 Grad, wenige Ausnahmen erreichen steilere Winkel, allerdings sind diese mit ca. 37-38 Grad (z.B. Cantwell) immer noch unter den physikalisch optimalen und denen der Angleiter.


(14.10.2015, 13:31)dominikk85 schrieb: ich denke das kommt vor allem, da die linke seit weniger nach hinten geneigt ist, man also nicht so das hochhebeln (wie ein Stabhochspringer) hat.

Die Körperhaltung ist eine wesentliche Ursache für den flacheren Ausstoß.
Allerdings leisten Drerhstoßer während des Ausstoßes mehr Beschleunigungsarbeit bei reduzierter Hubarbeit als Angleiter. In der Folge erzeugen sie während der Ausstoßphase trotz kürzerer Beschleunigungswege größere Geschwindigkeitszuwächse, was in Summe zu tendenziell höheren Abfluggeschwindigkeiten führt.

Diesen Vorteil gegenüber den Angleitern büßen sie jedoch häufig durch die flacheren Abflugwinkel, geringeren Abflughöhen (bedingt durch Körperhaltung und durchschnittlich geringere Körpergröße) und meist negative Überreichweiten (Ausstoßstelle im Ring vor dem Ausstoßbalken) ein. Gutes Beispiel hierfür ist das Finale der WM 2009, in dem Nelson trotz höchster v0 nur 5ter geworden ist und Majewski mit der deutlich geringsten v0 unter den Top 5 aufgrund der optimierten/maximierten anderen Parameter Silber gewinnt.
(Quelle: Schaa, W. (2010). Biomechanical Analysis of the Shot Put at the 2009 IAAF World Championships in Athletics. [Report]. New Studies in Athletics, 25 (3/4), 9-21.)


(14.10.2015, 13:31)dominikk85 schrieb: der hub muss also eher aus der Streckung der beine kommen.

Steilere Ausstoßwinkel erfordern bei gleicher horizontaler Geschwindigkeitskomponente die Erzeugung einer größeren vertikalen Geschwindigkeit, sprich die Übertragung eines höheren Vertikalimpulses auf die Kugel. Wie oben beschrieben ist der Anteil der geleisteten Hubarbeit bei Drehstoßern aufgrund der Körperhaltung geringer. Der Hub im Drehstoß wird primär durch dass Stemmbein erzeugt. Dieses muss die Rotation und Translation des Körpers abbremsen und den Impuls in die Vertikale umlenken/generieren. Das (rechte) Drehbein trägt hierzu kaum bei, was sich auch in einer unvollständigen Kniestreckung bis in die stützlose Phase hinein zeigt. Es hat einfach andere Aufgaben. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Stemmbeins sind folglich sehr hoch, die Möglichkeiten den Vertikalimpuls zu erhöhen entsprechend limitiert.

Ich halte es für fatal, zu Gunsten eines höheren Vertikalimpulses die Körperrücklage im Drehstoß übermäßig zu erhöhen, da dies zwangsläufig die Beschleunigungsarbeit reduzieren wird. Die Stärke des Drehstoßes ist die hohe Kugelbeschleunigung während des Ausstoßes. Diese sollte durch die Schulung der entsprechenden Knotenpunkte betont und mit entsprechendem Übungsgut gefördert werden.


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - Hellmuth K l i m m e r - 19.10.2015

Thumb_up Ich kann nur staunen, Solos , über diese gelungene biomechanische Analyse von heute Früh! Thumb_up

hek

P.S.: Und gut dein Nachtrag zur Quelle ----> Wilko Schaa; IAT Leipzig bei "Athletics ..." sowie die Lit.angabe ----> HINZ (1991)


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - gera - 19.10.2015

(19.10.2015, 07:28)Solos schrieb:
(14.10.2015, 13:31)dominikk85 schrieb: stoßen die meisten dreher nicht tendenziell zu flach ab (um 35 grad oder so)?

Bei den weltbesten Drehstoßern liegen die Versuche im Schnitt zwischen 32 und 35 Grad, wenige Ausnahmen erreichen steilere Winkel, allerdings sind diese mit ca. 37-38 Grad (z.B. Cantwell) immer noch unter den physikalisch optimalen und denen der Angleiter.
da spricht der Trainer ( in welcher Stellung ?)
eins kam bisher zu kurz :
beim Kugelstoßen ist die Weite und der Abflugwinkel auch von der Abflughöhe der Kugel abhängig.
So ist die max. mögliche Weite beim Drehstoß bei etwa 41 Grad zu erreichen.
Nicht wie beim einfachen " schrägen Wurf " bei 45 Grad.
Das auch die besten Drehstoßer unter diesem besten Abflugwinkel bleiben, dürfte an einer nicht optimalen Haltung des Oberkörpers liegen.


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - Hellmuth K l i m m e r - 19.10.2015

(19.10.2015, 08:15)Hellmuth K l i m m e r schrieb: Thumb_up Ich kann nur staunen, Solos , über diese gelungene biomechanische Analyse von heute Früh! Thumb_up

hek

P.S.: Und gut dein Nachtrag zur Quelle ----> Wilko Schaa; IAT Leipzig bei "Athletics ..." sowie die Lit.angabe ----> HINZ (1991)
Wie mir "aus gut unterrichteten Kreisen" heute mitgeteilt wurde, arbeitet der Leipziger Forscher Wilko Schaa derzeit noch an der Fertigstellung seiner Promotionsarbeit. Thumb_up

(Als Student hatte er in Halle sein Berufspraktikum bei (Speerwurf-)BT Maria Ritschel absolviert und ist seit ca. sechs Jahren beim IAT Leipzig tätig.)

H. Klimmer / sen.


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - MZPTLK - 19.10.2015

@Solos: Es müsste doch empirische Erkenntnisse geben, wonach Drehstösse im Bereich einer bestimmten Abflugwinkel-Range signifikant grössere Weiten aufweisen?!
Und falls die im Bereich von sagen wir 35 Grad liegen sollte, hiesse das noch nicht unbedingt, dass dieser Winkel  - für alle Drehstosser - theoretisch der optimalste wäre?!


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - Solos - 20.10.2015

(19.10.2015, 09:56)gera schrieb: eins kam bisher zu kurz :
beim Kugelstoßen ist die Weite und der Abflugwinkel auch von der Abflughöhe der Kugel abhängig.
So ist die max. mögliche Weite beim Drehstoß bei etwa 41 Grad zu erreichen.
Nicht wie beim einfachen " schrägen Wurf " bei 45 Grad.

Niemand hat etwas anderes behauptet. Genau genommen stehen alle drei Abflugparameter in einer Wechselbeziehung zueinander. Sprich sowohl die Abfluggeschwindigkeit als auch die Abflughöhe haben Einfluss auf den optimalen Wert des Abflugwinkels. Als optimalen Winkel bezeichnet man aus biomechanischer Sicht  den Winkel, der bei einer gegebenen Abfluggeschwindigkeit und Abflughöhe eine maximale Flugweite der Kugel erzeugt (zum Erhalt der Stoßweite muss noch die sogenannte Abflugpositionsweite, auch als Überreichweite bezeichnet, hinzu addiert werden).

Im Spitzenbereich bei den Männern werden Abfluggeschwindigkeiten im Bereich von 14 m/s und Abflughöhen, je nach Technik und Körpergröße, von ca. 2,10 bis 2,50 m erreicht. Diese geringen Varianzen haben kaum praktisch relevanten Einfluss auf den Abflugwinkel, so dass je nachdem von welcher Konstellation man ausgeht der optimale Abflugwinkel von 41,xx bis 42,xx Grad geht. In der Literatur werden daher oft 41-42° angegeben.

Siehe dazu auch das von MZPT.. gepostete Zahlenspiel nach Wank.


(19.10.2015, 09:56)gera schrieb: Das auch die besten Drehstoßer unter diesem besten Abflugwinkel bleiben, dürfte an einer nicht optimalen Haltung des Oberkörpers liegen.


Optimal wofür?
Man darf nicht außer Acht lassen, dass die Abfluggeschwindigkeit der entscheidende  Parameter für die Stoßweite ist. Sie zu maximieren ist das oberste Gebot. Entsprechend sind die Bewegungsabläufe primär auf eine maximale Gerätbeschleunigung zu orientieren. Erst sekundär ist die Richtung der Abfluggeschwindigkeit, sprich der Abflugwinkel zu optimieren. Hinzu kommt, dass die real auftretenden Differenzen in den Abflugwinkeln relativ gering sind und die damit einhergehenden Weitenverluste zu mechanischen Optimum maximal ein Meter, zur Konkurrenz deutlich weniger betragen. Demgegenüber führt bereits die Erhöhung der Abfluggeschwindigkeit um 0,1 m/s (bei 2,20 m Abflughöhe und 38 Grad) zu einem Weitenzuwachs von ca 0,28 m. Ein flacherer Ausstoß zugunsten einer höheren Abfluggeschwindigkeit kann so lange sinnvoll sein, wie der Gewinn an Abfluggeschwindigkeit den Weitenverlust durch den flacheren Winkel (über-) kompensiert.

An dieser Stelle wären wir bei der Abgrenzung zum mechanisch optimalen Abflugwinkel, welcher oft auch als individuell optimaler Abflugwinkel bezeichnet wird, angelangt. Der individuell optimale Abflugwinkel bezeichnet den Winkel, bei dem die individuell höchste Abfluggeschwindigkeit realisiert werden kann. In der Summe kommt folglich die höchste Stoßweite heraus und er liegt in der Praxis meist unter dem mechanischen Optimum.
Für die individuelle Leistungsausprägung ist dann natürlich eine Verkleinerung der Differenz zwischen individuell und mechanisch optimalem Abflugwinkel anzustreben. Das ist allerdings bei weitem nicht so einfach, wie die bisher betriebenen Zahlenspielchen. Letztlich muss man dazu an den richtigen Stellschrauben in der Bewegung drehen und auch entsprechende konditionelle Voraussetzungen schulen. Dafür gibt es kein Patentrezept.


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - Solos - 20.10.2015

(19.10.2015, 16:39)MZPTLK schrieb: @Solos: Es müsste doch empirische Erkenntnisse geben, wonach Drehstösse im Bereich einer bestimmten Abflugwinkel-Range signifikant grössere Weiten aufweisen?!
Und falls die im Bereich von sagen wir 35 Grad liegen sollte, hiesse das noch nicht unbedingt, dass dieser Winkel  - für alle Drehstosser - theoretisch der optimalste wäre?!

Mir ist eine solche Studie nicht bekannt. Allerdings habe ich vor einiger Zeit mal international publizierte Daten von insgesamt 22 Spitzendrehstoßern zusammengetragen. Hier die mittleren Abflugparameter:

Weite: 20,96 m
 v0: 13,7 m/s
alpha0: 35,3

Nach Eliminierung aller Versuche unterhalb von 21 Metern, also einer Konzetration auf den absoluten Spitzenbereich, gestaltete sich die mittlere Parameterausprägung wie folgt:

Weite: 21,36 m
v0: 13,9 m/s
alpha0: 34,2 Grad

Ein weiterer Hinweis sind individuelle Betrachtungen von Athleten. Hoffa realisiert z.B. seine 22,03 m von Osaka bei 32,4 Grad, während er bei den 21,20 von Valencia und 21,28 m von Berlin 34,0 bzw. 34,4 Grad bei entsprechend gerimgeren Abfluggeschwindigkeiten erreicht. Ähnlich sieht es bei Nelson aus (Osaka 21,61 und 30,8 Grad; Berlin 21,11 m und 32,9 Grad). Das es auch anders geht zeigt sich bei Cantwell (Valencia 21,77 und 35,0 Grad; Berlin 22,03 m und 37,8 Grad).

Es handelt sich heirbei natürlich nicht um eine ausgeklügelte Studie. Auch muss das ganze aufgrund individueller Unterschiede von Athlet zu Athlet betrachtet werden. Grundsätzliche Tendenzen werden jedoch ersichtlich.


(19.10.2015, 16:39)MZPTLK schrieb: Und falls die im Bereich von sagen wir 35 Grad liegen sollte, hiesse das noch nicht unbedingt, dass dieser Winkel  - für alle Drehstosser - theoretisch der optimalste wäre?!

Siehe hierzu die obigen Ausführungen.


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - MZPTLK - 20.10.2015

@Solos: Ganz vielen Dank!
Ich denke, dass Forschungsbedarf und Verbesserungsmöglichkeiten bestehen.
Das kann/sollte noch nicht der Weisheit letzer Schluss sein.


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - dominikk85 - 20.10.2015

wie ist denn die Weitendifferenz zwischen 35 und 42 grad bei identischer V0 und abstoßhöhe?

und umgekehrt wieviel langsamer darf man mit 42 grad abstoßen um die gleiche weite zu erzielen?


RE: Drehstoß - Geschichtliches und Technisches - MZPTLK - 20.10.2015

(20.10.2015, 12:22)dominikk85 schrieb: wie ist denn die Weitendifferenz zwischen 35 und 42 grad bei identischer V0 und abstoßhöhe?

und umgekehrt wieviel langsamer darf man mit 42 grad abstoßen um die gleiche weite zu erzielen?
Die Wank-Tabelle lesen bitte.