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RE: Sprinttechnik - hkrueger - 18.08.2014

(18.08.2014, 09:56)Knueppler schrieb: Es handelt sich um das Semi-Finale über 100m in London 2012 (übrigens mit Verena Sailer). Betrachte bitte nur Okagbare und Madison (jetzt heißt sie Bartoletta). Erkennst Du irgendwelche Unterschiede?

Ich bin in der Beziehung nicht so geschult und sehe vielleicht, was ich sehen will. Okagbare macht halt wesentlich längere Schritte! Es wirkt kraftvoller! Der Kniewinkel ist größer (also hinten OS zu US)


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 18.08.2014

(18.08.2014, 11:06)hkrueger schrieb:
(18.08.2014, 09:56)Knueppler schrieb: Es handelt sich um das Semi-Finale über 100m in London 2012 (übrigens mit Verena Sailer). Betrachte bitte nur Okagbare und Madison (jetzt heißt sie Bartoletta). Erkennst Du irgendwelche Unterschiede?

Ich bin in der Beziehung nicht so geschult und sehe vielleicht, was ich sehen will. Okagbare macht halt wesentlich längere Schritte! Es wirkt kraftvoller! Der Kniewinkel ist größer (also hinten OS zu US)
Leider habe ich wenig Zeit zu antworten:

Okagbare pendelt den Unterschenkel kurz vor der Stützphase aus, während Madison das eben nicht macht. Ihr Unterschenkel bremst ab.
Weiterhin klappt Madison den Fuß ab und landet vorne auf dem Ballen. Sie fängt das Gewicht im Fuß sehr gut ab und ihre Ferse berührt nicht den Boden. Okagbare rollt dagegen mit dem Fuß in der Stützphase ab.
(Ich schreibe das jetzt, ohne gerade auf das Video zu schauen). Madison hat im Fußgelenk fast keine Amortisationsphase.

Durch das Auspendeln des Unterschenkels hat Okagbare einen größeren Winkel im Kniegelenk (siehe dazu auch die Diskussion um das Lombardsche Paradoxon). Ich gehe davon aus, dass ein größerer Kniewinkel bei der Landung auch eine geringere Amortisation im Knie begünstigt. Deutsche Sprinter hatten früher bei der Landung wohl einen kleineren Kniewinkel und "knickten" dann mehr ein. Ok, wichtig ist wohl auch der Winkel zwischen Oberkörper und Oberschenkel bei der Landung.
Jedenfalls ist es wohl vorteilhaft, wenn man den Fuß näher am Körperschwerpunkt aufsetzt. (das hat noch weitere Folgen, aber wie gesagt .... ich habe keine bzw. wenig Zeit)
Ich bin früher - wie viele andere auch - wie Madison gelaufen, mit FloJo wurde aber das Greifen/Auspendeln erst richtig populär.

Was jetzt Gertrude als Weiterentwicklung diese Technik durch Mills/Bolt meint .... kann ich nicht beurteilen. Gewisse Dinge sehe ich auch schon mal, kann sie aber (noch) nicht richtig identifizieren.
Vielleicht irrt sich auch Getrude ... wer weiß .... wenn sie uns ihre Erkenntnisse nicht mitteilt, können wir das nicht nachprüfen.

Jedenfalls müsste die Erkenntnis, dass während der gesamten Stützphase eine Kontraktion der Ischios stattfindet, eigentlich Konsequenzen für das Krafttraining haben.


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 18.08.2014

Durch das Auspendeln des Unterschenkels ist der Fuß zunächst weiter weg vom Körperschwerpunkt. Durch die Gesamtbewegung (Senken des Oberschenkels) wird der Fuß wieder an den Körperschwerpunkt herangeführt. Das heißt, dass die horziontale Auftreffgeschwindigkeit des Fußes eine andere ist.  
Bei geringerer Auftreffgeschwindigkeit sind die Bremskräfte auch geringer.

(Einiges davon ist in den Büchern von Ralph Mann und Letzelter,M/Letztelter, S. enthalten Smile)


RE: Sprinttechnik - hkrueger - 18.08.2014

(18.08.2014, 12:02)Knueppler schrieb: Okagbare pendelt den Unterschenkel kurz vor der Stützphase aus, während Madison das eben nicht macht. Ihr Unterschenkel bremst ab.
Weiterhin klappt Madison den Fuß ab und landet vorne auf dem Ballen. Sie fängt das Gewicht im Fuß sehr gut ab und ihre Ferse berührt nicht den Boden. Okagbare rollt dagegen mit dem Fuß in der Stützphase ab.

Vielen Dank für die Hinweise! Die meisten Sachen sehe ich bzw. sind mir jetzt bewusst.

Nur die Bemerkung "Madison landet vorne auf dem Ballen[...]  ihre Ferse berührt nicht den Boden" irritiert mich, da sie impliziert, dass Okagbare auf der Ferse landet.
Später heißt es "Okagbare rollt dagegen [...] ab" was ich auch so interpretiere, dass ein Fersenaufsatz stattfindet.
Landet Okagbare auf der Ferse oder eher auf dem Mittelfuß? Im Video sehe ich das auch nicht eindeutig...


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 18.08.2014

(18.08.2014, 12:57)hkrueger schrieb:
(18.08.2014, 12:02)Knueppler schrieb: Okagbare pendelt den Unterschenkel kurz vor der Stützphase aus, während Madison das eben nicht macht. Ihr Unterschenkel bremst ab.
Weiterhin klappt Madison den Fuß ab und landet vorne auf dem Ballen. Sie fängt das Gewicht im Fuß sehr gut ab und ihre Ferse berührt nicht den Boden. Okagbare rollt dagegen mit dem Fuß in der Stützphase ab.


Landet Okagbare auf der Ferse oder eher auf dem Mittelfuß? Im Video sehe ich das auch nicht eindeutig...

Ich muss gestehen, dass ich das auch nicht eindeutig sehe .... könnte aber schon eher der Mittelfuß sein.

Es gibt noch eine Sache, die ich mir aber in diesem Video nicht angeschaut habe.
Heutzutage wird in der hinteren Stützphase das Knie nicht mehr voll gestreckt, während ich früher auf maximale Streckung geachtet habe.
Die Zeit, die man durch maximale Streckung verliert, kompensiert wohl nicht den minimalen Raumgewinn. (Yasmin Kwadwo hat berichtet, dass ihr in Wattenscheid noch die volle Streckung beigebracht wurde, in Mannheim ist man davon abgekommen)


RE: Sprinttechnik - Gertrud - 19.08.2014

(18.08.2014, 12:02)Knueppler schrieb: Jedenfalls müsste die Erkenntnis, dass während der gesamten Stützphase eine Kontraktion der Ischios stattfindet, eigentlich Konsequenzen für das Krafttraining haben.

Die Ischios arbeiten auch schon vor dem Fußaufsatz in der Abwärtsphase zum Boden – etwas später und etwas länger im Stütz nach hinten als der glutaeus maximus, während die vasti kurz vor dem Fußaufsatz die höchsten Ausschläge haben. Das sind Konsequenzen, die Hansjörg und ich schon vor mehr als 20 Jahren im Krafttraining gezogen haben – übrigens ein Punkt mehr, warum die beidbeinige Kniebeuge die Erfordernisse im Sprint absolut nicht abdeckt. Infolgedessen gibt´s auch keinen dicken Ar… (siehe Sabine Braun, Usain Bolt). Klaus Baarck sagte mal:  "Wie kommt es, dass Sabine eine so schmales Gesäß hat und trotzdem so gute Sprungleistungen erzielt!" Das alles meine ich immer, wenn ich von Akribie spreche. Ich bin aber heute weit davon entfernt, Starrköpfige zu überzeugen. Ich mache weiter so in der exakten Analyse wie bisher!!! Vielleicht verstehen Sie jetzt meine Denkweise etwas besser?! Wink 

Entscheidend sind aber immer das Gesamtkonzept und die Philosophie vom Sprint, die dahintersteckt. Es bringt daher auch wenig, wenn man an einigen Passagen Veränderungen vornimmt. Man muss das gesamte frühere deutsche Sprintkonzept revolutionieren. Ich sehe alles vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verträglichkeit. Da habe ich große Sorgen bei zwei deutschen Sprintern, dass der Schuss gesundheitlich irgendwann nach hinten losgeht, weil man Auge mich in der Hinsicht meistens nicht trügt. Ich habe Bilder "seziert". Die Vernetzungen in meinem Kopf werden immer größer und die Fehlerquote immer geringer. Letztens sprach mich ein Trainer an und sagte: "Kannst du nicht den Supervisor in unserem Verein machen?" Dann gibt´s kaum Verletzungen. Der hat meine Stärke erkannt. Ich habe dankend abgelehnt, weil ich für mich eine andere Aufgabe sehe.

Spätestens dann, wenn man bei Lehrgängen mit dem Besenstiel ankommt und die beidbeinige tiefe Kniebeuge einführen will, merke ich, dass ich da falsch aufgehoben bin und ich eigentlich den Heimweg antreten kann. So wird manchmal eine ganze Nation (sprich: junge Trainer als Multiplikatoren) in die Irre geführt!!! Deshalb habe ich etwas gegen "Teams", die mir von oben aufgesetzt werden. Ich picke mir meine "Wissenskörner" da heraus, wo ich es für sachlich und fachlich angebracht halte. Für mich zählt keine Hierarchie, die nicht sachkundig auf allerhöchstem Niveau untermauert ist. Ich bin nicht schwierig, sondern konsequent und habe ein strenges Zeitbudget!!! Ich beteilige mich auch kaum noch an Debatten, ob die Mannschaft in Zürich erfolgreich oder nicht erfolgreich war. Man kann einen fahrenden Zug nicht aufhalten. Das sollen diejenigen richten, die gut dafür bezahlt werden.

Das Thema ist sehr viel komplexer als angenommen. Manche kommen durch folgende Aussagen zu falschen Schlüssen, weil sie die Verletzungsträchtigkeit aus nicht fundierten Kenntnissen heraus nicht berechnen können: Mit großem Kniewinkel und anteriorem Becken steigt bei erhöhter Dehnung die Kontraktionskraft. (Sinngemäß kurz zusammengefasst aus einer Abhandlung übernommen)

Gertrud


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 19.08.2014

(19.08.2014, 06:55)Gertrud schrieb: Spätestens dann, wenn man bei Lehrgängen mit dem Besenstiel ankommt und die beidbeinige tiefe Kniebeuge einführen will, merke ich, dass ich da falsch aufgehoben bin und ich eigentlich den Heimweg antreten kann. So wird manchmal eine ganze Nation (sprich: junge Trainer als Multiplikatoren) in die Irre geführt!!!

Wobei man zugeben muss, dass fast die gesamte Weltelite idR zwar nicht die tiefe Kniebeuge aber immerhin eine halbe Kniebeuge durchführt. Selbst Usain Bolt macht an der Maschine ungefähr halbe Kniebeugen (das Video kennt ja nun jeder).
Aber keine Bange. Ihre Warnung vor Kniebeugen ist mit Sicherheit bei einigen (aufstrebenenden) Trainern auf fruchtbaren Boden gefallen.
Mir persönlich macht es Spaß ein bisschen kreativ zu sein und neue Übungen zu entwickeln. Manchmal bin ich selbst erstaunt mit welch geringen Gewichten man auskommen kann. Wenn irgendein Fachkundiger bei uns auftauchen würde und die Übungen sehen würde ... ich glaube, der würde lauthals lachen.
In meinen Internetrecherchen treffe ich aber schon mal auf Übungen, die Weltklasseathleten durchführen, die meinen Übungen vom Prinzip her ähneln, nur dass da die "Ausrüstung" hochmodern ist.


RE: Sprinttechnik - dominikk85 - 19.08.2014

Was sagen sie zum von mir verlinkten FAZ Artikel? da scheint ja schon eine einsicht da zu sein.


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 19.08.2014

Im Grunde genommen steht in diesem Artikel das drin, was seinerzeit in Mainz (November ?) 2012 vorgestellt wurde.

Im FAZ-Artikel heißt es allerdings:
"Vereinfacht gesagt, heben Weltklasse-Sprinter nicht mehr ihre Knie und auch nicht ihre Fersen."

Diese Aussage ist meines Erachtens etwas missverständlich und wenn ich sie richtig interpretiere (ich denke, dass damit die Bewegungen in der Max-Phase beschrieben werden sollen) auch nicht richtig ist. 
Dafür hätte ich dann auch wieder "Beweise" Big Grin


RE: Sprinttechnik - dominikk85 - 19.08.2014

(19.08.2014, 09:52)Knueppler schrieb: Im Grunde genommen steht in diesem Artikel das drin, was seinerzeit in Mainz (November ?) 2012 vorgestellt wurde.

Im FAZ-Artikel heißt es allerdings:
"Vereinfacht gesagt, heben Weltklasse-Sprinter nicht mehr ihre Knie und auch nicht ihre Fersen."

Diese Aussage ist meines Erachtens etwas missverständlich und wenn ich sie richtig interpretiere (ich denke, dass damit die Bewegungen in der Max-Phase beschrieben werden sollen) auch nicht richtig ist. 
Dafür hätte ich dann auch wieder "Beweise" Big Grin
Ich vermute mal diese aussage kommt dadurch, dass der Artikel von einem "laien" geschrieben wurde. Ich vermute mal der Journalist wollte damit den "buttkick" (also das direkte nach oben ziehen des fußes gleichzeitig mit dem kniehub was ja jetzt anstelle von erst anfersen dann kniehub modern ist) beschreiben.

hier ist noch mal der Link

http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/leichtathletik-em/sprint-revolution-die-formel-schall-13088467.html