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Sprinttechnik - Druckversion

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RE: Sprinttechnik - icheinfachma - 06.09.2014

(06.09.2014, 09:28)hkrueger schrieb: Wird jetzt aktiv oder nicht aktiv angeferst?
Warum führt ein schwacher Hüftbeuger zu hohem Anfersen?

Wenn der Hüftbeuger ermüdet, hat die Ferse mehr Zeit, nach oben zu kommen und muss dann hinter dem Gesäß wieder nach unten gezogen werden, was mehr Arbeit für den Hüftbeuger bedeutet.


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 06.09.2014

Anfersen wird mE nicht aktiv durchgeführt, sondern ist - wie bereits von icheinfachma - beschrieben eine Folge des vorherigen Rückschwungs des Beines verbunden mit dem schnellen Beschleunigung des Oberschenkels nach vorne..

Allerdings bin ich der Meinung, dass Bolt schon relativ früh "voll" anferst. In dem Video "100m Usain Bolt slow motion .." sieht man eindeutig, dass er schon nach 30-40m voll anferst und nicht erst später, wenn die Muskeln schon leicht ermüdet sind. Das gleiche gilt für Lemaitre.
Bolts Ferse berührt fast sein Gesäß. 
Sicherlich .. zum Schluss des Rennens geht Bolts Ferse noch geringfügig höher, aber das ist nun wirklich nicht viel. (Die Sohle seines linken Schuhs ist kurz vor der Ziellinie fast waagerecht, am Anfang fehlen da noch ein paar Winkelgrade)
Und das, was auf der Ziellinie passiert, ist wieder eine andere Sache.


RE: Sprinttechnik - icheinfachma - 06.09.2014

Mir geht es so, dass ich immer dann anferse, wenn ich mich kräftig nach hinten abstoße bzw. mich auf die 'backside mechanics' konzentriere. Wenn ich stattdessen das Bein nach unten beschleunige und dann gleich wieder hoch ziehe, ferse ich auch nicht an. Ich schlussfolgere daraus, dass übermäßige 'backside mechanics' zu einem höheren Anfersen führen. Das, was bei überbetonten bm anders ist, ist eine längere und stärkere Rückwärtsbewegung des Beines auch noch nach Bodenkontaktverlust. Also muss auch das im Zusammenhang mit Anfersen stehen. Inwieweit, erschließt sich mir zwar noch nicht ganz, aber ich hätte schon eine Idee.


RE: Sprinttechnik - MZPTLK - 06.09.2014

(06.09.2014, 10:22)icheinfachma schrieb: Mir geht es so, dass ich immer dann anferse, wenn ich mich kräftig nach hinten abstoße bzw. mich auf die 'backside mechanics' konzentriere. Wenn ich stattdessen das Bein nach unten beschleunige und dann gleich wieder hoch ziehe, ferse ich auch nicht an. Ich schlussfolgere daraus, dass übermäßige 'backside mechanics' zu einem höheren Anfersen führen. Das, was bei überbetonten bm anders ist, ist eine längere und stärkere Rückwärtsbewegung des Beines auch noch nach Bodenkontaktverlust. Also muss auch das im Zusammenhang mit Anfersen stehen. Inwieweit, erschließt sich mir zwar noch nicht ganz, aber ich hätte schon eine Idee.
Man kommt an mehr oder weniger Anfersen nicht vorbei.
Wie will man vorwärts kommen?

Stellt Euch einen EinRadFahrer vor.
Wenn der losfahren, bzw. bescheunigen will, MUSS er sich nach vorn lehnen.
Genauso ist es, wenn er bremsen will, dann MUSS er sich nach hinten lehnen.

Damit der Sprinter zu einer Horizontalbewegung kommen kann, MUSS der Impuls auch in der Peakphase hinter dem KSP erfolgen.

Das Rad hat eine Nabe, die Laufwerkzeuge des Sprinters haben 4.
OS, US, Füsse und Zehen machen für sich gesehen eine Pendelbewegung.

Im Zusammenspiel wird daraus eine Kreisel(kein Kreis!)bewegung der unteren Antriebe.
Ich nenne das Kurbelwellen-Effekt.
Oder auch Radfahrer-Effekt.

Interessant wäre zu testen, ob man Zeit und Energie gewinnt, wenn man Kurbelwellen oder Radantriebe so konstruiert, dass die Antreiber in der Passivphase minimierte Wege haben.
In der Mechanik mag das gehen, aber in der Bio-Mechanik nur eingeschränkt.


RE: Sprinttechnik - hkrueger - 06.09.2014

(06.09.2014, 09:44)icheinfachma schrieb:
(06.09.2014, 09:28)hkrueger schrieb: Wird jetzt aktiv oder nicht aktiv angeferst?
Warum führt ein schwacher Hüftbeuger zu hohem Anfersen?

Wenn der Hüftbeuger ermüdet, hat die Ferse mehr Zeit, nach oben zu kommen und muss dann hinter dem Gesäß wieder nach unten gezogen werden, was mehr Arbeit für den Hüftbeuger bedeutet.

Je näher die Ferse am Gesäß bzw. der Unterschenkel am Oberschenkel umso geringer ist die Entfernung des Massenschwerpunkts von der Hüfte. Auch wenn der Weg weiter wird, die benötigte Kraft für den Hüftbeuger (um den OS nach vorne zu bringen) wird geringer.


Was das für die Arbeit letzlich bedeutet, könnte man anhand Bolt u. Blake ausrechnen und so das Optimum ermitteln.
Vielleicht stellt sich dann raus, dass das Optimum genau dort liegt, wie es im Moment beobachtet werden kann, d.h. einfach von den körperlichen Gegebenheiten abhängt (auf die MZPLTK, Helmuth Klimmer und auch Knueppler immer wieder hinweisen)


RE: Sprinttechnik - v.b. - 07.09.2014

(03.09.2014, 21:25)T-Willy schrieb: @v.b.

dazu habe ich eine Frage:

„Die vektorielle Zerlegung der auf die Tibia wirkenden Kräfte zeigt,

dass die ischiocrurale Muskulatur mit zunehmender Kniestreckung ihre Wirksamkeit verliert“.

Was ist damit gemeint?

Meine Interpretationen :

Bei der explosiven" Nachuntenbewegung" des Femur /Hüftstreckung und gleichzeitiger Streckung des Kniegelenks nimmt der Wirkungsgrad der Ischios  bezüglich Winkelbeschleunigung des Beines in Uhrzeigerrichtung  ab,da der "Umlenkwinkel" der  Ischios zunehmend gegen 0 geht!?

oder warscheinlicher  :
Die gleichzeitige Hüftstreckung und /aber Streckung im Kniegelenk führt bei den dabei wirkenden,extrem großen Kräften  evtl  zu einer autogenen  Hemmung der hüftstreckenden Muskulatur durch Reizung von Rezeptoren in der Kniebeugersehne(Schutz vor Überlastung)!?

Was ist gemeint?
Könnten Sie  dazu etwas schreiben?

TWilly
„Die Kräfte, die durch den M. quadrizeps im Kreuzband erzeugt werden, sind abhängig von der resultierenden Kraft, die den Tibiakopf nach vorn zieht. Diese Resultierende ist wiederum abhängig vom Winkel zwischen Patellarsehne und Tibiaschaft. Mit abnehmender Beugung soll sich die Resultierende, die den Tibiakopf nach vorne zieht, erhöhen.
Mit zunehmender Kniestreckung erhöht sich die im Band gemessene Kraft bis auf circa 207 N in voller Streckung.
Die vektorielle Zerlegung der auf die Tibia wirkenden Kräfte zeigt,
dass die ischiocrurale Muskulatur mit zunehmender Kniestreckung ihre Wirksamkeit verliert, den Tibiakopf zu sichern.
Außerdem wird die Kraftentfaltung der ischiocruralen  Muskeln durch die Stellung des Hüftgelenkes beeinflusst. Bei gestrecktem Hüftgelenk werden sie weniger vorgedehnt und damit passiv insuffizient.“
„Der Begriff „neuromuskuläre Kontrolle“ bezeichnet die unbewusste Aktivierung von dynamischen Stabilisatoren eines Gelenkes auf mechanische Stimuli. Propriozeption (afferente Informationen über die Stellung des Gelenkes) ist die sensorische Quelle für Informationen, die die neuromuskuläre Kontrolle eines Gelenkes ermöglichen. Propriozeptive Informationen werden von verschiedenen Mechanorezeptoren gemeldet, die in Muskeln, Gelenken (Bändern und Kapsel) und in der Haut vorkommen.“
„Die motorische Kontrolle erfolgt auf drei Ebenen: Spinale Reflexe, Hirnstamm-Kontrolle und kognitive Programme.“
 
1 Beispiel:  nach der Umkehrpunkt des Kniegelenks in der vordere Schwungphase, Fußgelenk bewegt sich weiter nach vorne – nach unten (anfersen – auspendeln),  Knie streckt sich – IMG verliert Kraft „Wirksamkeit“  den Tibiakopf zu sichern  (Trägheitsmoment des Unterschenkels).  Wird in dieser Moment Huftstrecker aktiv? Überstreckung im Knie ist nur mit der Verletzung möglich.
Also: Anfersen kann sein, aber Umkehr  des Fußgelenks und des Kniegelenks muss gleichzeitig
stattfinden!
2 Beispiel:  Weltelite Sprinter haben größerer Kniewinkel  (Stutzphase, Vertikalmoment),  
Weltelite Sprinter haben kleinere  Amortisation (Stutzphase, Vertikalmoment). ( Ralf Buckwitz )
In die Stutzphase - Vertikalmoment, muss Huftstrecker aktiv sein, aber: „mit zunehmender Kniestreckung, die ischiocrurale Muskulatur  ihre Wirksamkeit verliert, den Tibiakopf zu sichern“.
Meine Meinung: Kniegelenk nimmt  „automatisch“ die Position (Kniewinkel) wo IMG genügend Kraft entwickeln kann um „den Tibiakopf zu sichern“.
 
v.b.


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 07.09.2014

(07.09.2014, 08:41)v.b. schrieb: T-Willy
...........
1 Beispiel:  nach der Umkehrpunkt des Kniegelenks in der vordere Schwungphase, Fußgelenk bewegt sich weiter nach vorne – nach unten (anfersen – auspendeln),  Knie streckt sich – IMG verliert Kraft „Wirksamkeit“  den Tibiakopf zu sichern  (Trägheitsmoment des Unterschenkels).  Wird in dieser Moment Huftstrecker aktiv? Überstreckung im Knie ist nur mit der Verletzung möglich.
Also: Anfersen kann sein, aber Umkehr  des Fußgelenks und des Kniegelenks muss gleichzeitig
stattfinden!
Ich habe ein kleines Problem mit der hier gebrauchten Definition des Anfersens. Ich weiß nicht, wie Du das meinst.
Der Begriff "Anfersen" wird eigentlich nicht für die vordere Schwungphase sondern nur für die hintere Schwungphase benutzt. Die hintere Schwungphase endet mit dem Mittelstütz.


Zu Deiner weiteren Aussage:
"2 Beispiel:  Weltelite Sprinter haben größerer Kniewinkel  (Stutzphase, Vertikalmoment), ....."


Tja, das ist eben die Frage....

ich zitiere ich mal Letzelter/Letzelter : (Letzelter,S./Letzelter M. (2005): Der Sprint Eine Bewegungs- und Trainingslehre, S. 295/296)


"LEHMANN und VOSS (1977) haben zudem den Kniewinkel kurz und zu Beginn des Stützes von Topathleten und Nachwuchssprintern verglichen. Während vor Beginn der Stützphase kein Unterschied besteht, denn  der Winkel besteht in beiden Gruppen durchschnittlich 160°, ist der Unterschied am Anfang des Stützes auf 9° gewachsen. Anscheinend  ist nicht so sehr der Winkel selbst, sondern die Art und Weise, wie er zu Stande kommt, von Bedeutung. Die Nachwuchssprinter strecken das Knie als Vorbereitung der Greifbewegung, während Top-Athleten das ihre beugen und so kurz vor dem Fußaufsatz den Kniewinkel um jenen Betrag verringern, um den ihn die Nachwuchssprinter erhöhen. Dadurch setzen sie ihren Fuß näher dem KSP auf und reduzieren den Anteil des Bremskraftstoßes."


RE: Sprinttechnik - Atanvarno - 07.09.2014

(07.09.2014, 10:50)Knueppler schrieb:
(07.09.2014, 08:41)v.b. schrieb: "2 Beispiel:  Weltelite Sprinter haben größerer Kniewinkel  (Stutzphase, Vertikalmoment), ....."
Tja, das ist eben die Frage....

ich zitiere ich mal Letzelter/Letzelter : (Letzelter,S./Letzelter M. (2005): Der Sprint Eine Bewegungs- und Trainingslehre, S. 295/296)


"LEHMANN und VOSS (1977) haben zudem den Kniewinkel kurz und zu Beginn des Stützes von Topathleten und Nachwuchssprintern verglichen. Während vor Beginn der Stützphase kein Unterschied besteht, denn  der Winkel besteht in beiden Gruppen durchschnittlich 160°, ist der Unterschied am Anfang des Stützes auf 9° gewachsen. Anscheinend  ist nicht so sehr der Winkel selbst, sondern die Art und Weise, wie er zu Stande kommt, von Bedeutung.

Sind Erkenntnisse aus einer 1977 durchgeführten Studie noch relevant für die Diskussion der Sprinttechnik aktueller Weltklasseathleten? Letzelter/Letzelter an sich könnte man für diese Diskussion als veraltet betrachten, wenn man bedenkt, dass von den 50 schnellsten 100m-Zeiten nur 2 (Maurice Green 1999) vor 2005 erzielte wurden (4, wenn man Ben Johnson hinzuzählt).
Für mich als Sprintlaien scheinen allein diese statistischen Betrachtungen darauf hinzudeuten, dass sich in den letzten 10 Jahren grundlegend etwas im Sprint verändert hat.


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 07.09.2014

Das Buch ist aber aus 2005 ... und alles das, was bis zu diesem Zeitpunkt bekannt war, wird wohl in diese Einschätzung eingeflossen sein. Andernfalls hättest Du natürlich vollkommen Recht.

Aber es muss dort einen Denkfehler bezüglich der Kniewinkel geben. Nach dieser Beschreibung hätten Nachwuchssprinter beim Bodenkontakt sogar einen größeren Kniewinkel als Top(p)sprinter.


RE: Sprinttechnik - Knueppler - 07.09.2014

Bei den Frauen gab es aber FloJo, die immerhin 10,49 lief. Ja, ich weiß .... Die Wahrscheinlichkeit, dass sie gedopt war, sehe ich bei 95%.
Mit FloJo begann damals auch die Diskussion über das Greifen, bzw.  wurde forciert. Laut Letzelter/Letzelter hatte diese Diskussion bereits 1985 begonnen.