14.04.2015, 10:58
Es ist erstaunlich, wie schwer es auch noch im 21sten Jahrhundert manchen (Gott sei Dank nicht allen!) deutschen LA-Trainern fällt, die Befunde empirischer Wissenschaften zu akzeptieren, geschweige, in ihre Trainingsmaßnahmen zu integrieren. Da fühlt man sich in die 60er Jahre zurückversetzt, als demjenigen, der versuchte, Trainingsmaßnahmen mit physikalischen Erkenntnissen zu begründen, eine mechanistische Weltanschauung vorgeworfen wurde.
Heute, ein halbes Jahrhundert danach, wird in ähnlichen Diskussionen immer noch eine Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis herbeigeredet, eine „Verwissenschaftlichung“ des Trainings moniert und eine Kluft zwischen Elfenbeinturm und Realität herbeigeredet. „Verwissenschaftlichung“ heißt das Übel! Als ob „verwissenschaftlichen“ bedeuten würde: verkomplizieren.
Wissenschaft, zumindest die Naturwissenschaft, zu der auch die Biomechanik zählt, will verdeutlichen, entflechten, entwirren, vereinfachen, von individuellen „Philosophien“ befreien, allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten schaffen und somit für individuelle Philosophien ein solides Fundament zur Verfügung stellen, auf die der „Praktiker aufbauen kann und muss.
Stattdessen wird
- gezweifelt: „…ob sich das … auf die Wirklichkeit übertragen lässt…“ (Biomechanik ist quantifizierte, objektivierte Wirklichkeit)…
- geklügelt: „Das Paradoxon ist paradox.“…
- philosophisch geschöngeistigt: „…solange man das Muskelkonzert auf natürliche, harmonische und koordinierte Weise spielt…“…
- und es werden Heidegger und Adorno bemüht, obwohl nicht bekannt ist, inwieweit diese bei der Lösung biologischer und physikalischer Fragestellung hilfreich sein könnten…
- und jedem Trainer seine eigene Trainingsphilosophie gegönnt!
- vor allem werden keine Quellenangaben geliefert, mit denen man seine eigenen Überzeugungen (Entschuldigung: „Philosophien“! Klingt doch viel abgehobener!) untermauern könnte.
- und im speziellen Fall des Sprints das hohe Lied der Quadris gesungen, obwohl deren übermäßiger Einsatz den Sprinter nicht nach vorn, sondern nach oben zu Känguru-Sprüngen beschleunigen würden.
Doch mit dieser Äußerung würde man dem Känguru Unrecht tun; denn selbst bei seinen beidbeinigen „Fluchtsprüngen“ macht es genau das, was notwendig ist, um hohe horizontale Geschwindigkeiten zu gewinnen: den Boden mit Hilfe der Ischios (und der Glutäen…, ja, auch Kängurus haben Ischios und Glutäen!) in einer möglichst weiträumigen dynamischen explosiv-ballistischen Aktion unter dem Körper hindurch nach hinten reißen und mit den Knie- und Fußgelenk“streckern“ durch teils nachgebende, teils unterstützende (also modulierende) Aktionen dafür Sorge tragen, dass ein möglichst langer Bodenkontakt (= möglichst großer Beschleunigungsweg für die Ischios) gewährleistet ist. Nebenbei: Beim Känguru (und vielen anderen schnelllaufenden Spezies) ziehen Sehnen und Faszien von den Ischios sogar bis zum Fersenbein und beeinflussen damit zusätzlich den Abdruck von den Zehen – vorwiegend nach vorn!
Und wer glaubt, allein die Tatsache, dass der Mensch (im Gegensatz zum Känguru) über sich selbst und seine Bewegungsphänomen nachdenken kann, wäre Beleg genug, dass die Bewegungsgesetzte für ihn nicht gelten müssen, der irrt.