22.12.2014, 15:42
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 22.12.2014, 15:52 von icheinfachma.)
(22.12.2014, 14:30)MZPTLK schrieb:(22.12.2014, 14:24)icheinfachma schrieb: Wie gesagt, ich habe mir sehr detaillierte Gedanken zum Thema gemacht.Das ist schön.
Wenn du dich in der Hinsicht fortbilden möchtest, würde ich dir empfehlen, die Gesetzte Newtons zunächst gründlich zu verstehen. Ich kann dir ein Physik-Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe als Pdf schicken, das mir auch jetzt im Studium noch gute Dienste leistet. Dort kannst du dir den Stoff und Übungsaufgaben durcharbeiten. Weiteres Werkzeug wären Integration und trigonometrische Funktionen, der freie Fall, die gleichmäßig beschleunigte Bewegung und noch ein paar andere Dinge, auf die du bei deinen Recherchen stoßen wirst.
Dann kannst du dich an den Sprint machen. Du musst dort lernen, in Modellen zu denken, also komplizierte Sachverhalte und Zusammenhänge auf ihre Charakteristika herunterbrechen. Sonst verhedderst du dich. Du kannst im Nachhinein die Modelle verfeinern. An der Stelle kannst du dir dann schon mit deinem Physikgrundwissen eigene Gedanken über die auf den Sprinter wirkenden Kräfte, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen machen.
Ich schlage dir folgende Reihenfolge vor: Beginne mit dem Abschnitt der konstanten Höchstgeschwindigkeit, wenn du das verstanden hast, kannst du die Beschleunigungsphase vornehmen und schließlich die Phase des Geschwindigkeitsverlustes. Du kannst zunächst ein Modell erstellen, in welchem du einen linearen Geschwindigkeitsverlauf des Körperschwerpunktes und ein konstantes Wirken von Kräften annimmst. An dieser Stelle kannst du unterstützend die Publikationen von Seagrave, Young usw. konsultieren und dort einen ersten Praxisbezug kennenlernen.
Wenn du dann noch tiefer einsteigen willst, musst du die Phasen des Bodenkontaktes von den Flugphasen unterscheiden und den Weg des Körperschwerpunktes nachvollziehen, der sich aus zwei überlagerten Funktionen zusammensetzt. Dabei sind Trigonomietrie, freier Fall und gleichmäßig beschleunigte Bewegung von Bedeutung.
Dann kannst du (du erinnerst dich an das Modell der konstanten Kräfte), dessen Kurve integieren und so den Kraftstoß berechnen. Von diesem Kraftstoß kannst du durch Differenzieren auf die tatsächliche Zeitkurve schließen, wenn du die Bodenkontaktzeit/Flugzeit in die Berechnungen einbeziehst und berücksichtigst, dass die Kraftverläufe parabol verlaufen.
Wenn du dir über diese physikalischen Grundlagen im Klaren bist, kannst du einen Schritt weiter gehen und dich mit biomechanisch-bewegungswissenschaftlichen Aspekten auseinandersetzten. Dazu musst du dann Literatur konsultieren. Themen sind die genauen Bewegungsabläufe und ihre Begündung im physikalischen und anatomischen Kontext, und spezieller die Erkenntnisse zur Sprinttechnik aus den letzten v.a. 10 Jahren (USA) sowie die muskulären Untersuchen seit den 90ern (Deutschland, USA). Du wirst dann auch ein paar Aha-Effekte haben und manche Sachen erst dann verstehen. Erst dann kannst du die physikalischen Modelle etwas modifizieren und auch nur dann kannst du die neueren Erkenntnisse über Sprinttechnik wirklich verstehen.
Aspekte, die du wahrscheinlich noch nicht näher betrachtet (aber schon davon gehört) hast oder kennst, werden sich dir dann bei weiteren Recherchen erschließen. Auch in diesem Jahr wurde über Biomechanik im Sprint publiziert, es ist noch nicht jedes Detail erforscht.
Du kannst mich, falls du dich tatsächlich auf diese Reise begeben willst (was ich mir nicht ohne weiteres vorstellen kann), zwischendurch gern fragen. Ich bleibe aber bei der Behauptung, dass man die Sprinttechnik anders als die meisten anderen Disziplinen der Leichtathletik ohne die physikalischen Grundagen nicht versteht. Darin sehe ich einen Grund dafür, dass ich noch keinen Trainer in meinem persönlichen Umfeld getroffen habe, mit dem ich mich über Sprinttechnik unterhalten konnte.
Oft werden womöglich die "new studies" abgetan als neuartig und gefährlich, da noch unbekannt, weil man sie physikalisch nicht versteht. Und wenn man sie nicht versteht (was ich niemandem vorwerfe, denn nicht jeder hat eine Affinität zur Physik oder die nötige Zeit, Bildung, Intelligenz, um sich mit Wissenschaft zu beschäftigen), dann kann entweder die technischen Modelle einfach hinnehmen oder ablehnen, eben weil sie für den Physik-Laien unlogisch erscheinen. Die von dir angesprochenen Begriffe horizontal vs. vertikal sind zum Beispiel ein Knackpunkt, wenn es um Verstehen und Nicht-glauben-wollen geht.
In den USA hat man einen Weg gefunden, Wissen zu etablieren: Es gibt, anders als in Deutschland, Verbindungsleute zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der methodischen Anwendung. Nicht wenige der dortigen Trainer im Hochleistungsbereich sind gleichzeitig als Wissenschaftler (z.B. Biomechanik) aktiv und in diverse Insitute involviert. Da fällt dann die Kluft zwischen Theorie und Praxis weg, weil besagte Leute beides sind. Solche Trainer sind nicht selten erfolgreich in höchstem Maß und werden dann auch in die Trainerausbildung involviert. Da sie durch ihre Erfolge eine fachliche Autorität genießen, werden ihre Fortbildungsinhalte begehrt angenommen. Wissen lässt sich offenbar am besten in Form von "Erfolgsrezepten" vermitteln. Das kann man hierzulande in Fortbildungen nicht anbieten. In Deutschland bleibt es dem Trainer überlassen, ob er sich eine Scheibe an Erfolgsmenschen abschneidet. Der DLV hat im Bereich Sprint vor einigen Jahren begonnen, vom Erfolg anderer zu lernen und das nicht ohne Erfolg, auch wenn man sicher noch an der Verbesserung der Lage arbeitet.
Während die Biomechanik gewisse Reserven im Sprint bietet (bemerkenswert z.B. Knipphals und Jakubcyk), werden in Zukunft wahrschienlich die Motorik und ferner die Psychologie ein Rolle spielen und wünschenswerterweise auch die Verletzungsprävention ohne Leistungseinbußen.
Am Ende sind die praktischen Schlussfolgerungen recht einfach und du kannst sie schnell googeln und nachlesen. Nur die Herleitung und Erforschung dieser Dinge ist eben eine Wissenschaft für sich. Und alle wollen eben immer Beweise - entweder wissenschaftliche, die sie nich verstehen oder den Erfolg jener Strategien, was immer zieht.